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Betonplatte erschlug 66-JährigeTragischer Unfall auf A3 - Wer hat Schuld am Tod von Anne M.?

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Kriminalbeamte und Mitarbeiter von Straßen NRW untersuchten nach dem Unglücj vor vier Jahren  die Betonplatten an der Lärmschutzwand der A3.

Kriminalbeamte und Mitarbeiter von Straßen NRW untersuchten nach dem Unglücj vor vier Jahren die Betonplatten an der Lärmschutzwand der A3.

Es war ein besonders tragisches Unglück, dem die Kölnerin Anne M. zum Opfer fiel. Vier Jahre danach beginnt nun die Verhandlung um ein herabstürzendes Schallschutzwand-Element.

Von jetzt auf gleich wurde die 66-jährige Kölnerin Anne M. aus dem Leben gerissen — von einer sechs Tonnen schweren Betonplatte in ihrem VW Polo eingequetscht und erschlagen. Jede Hilfe kam im November 2020 zu spät, die Frau verstarb noch am Unfallort auf der Autobahn A3 zwischen den Anschlussstellen Köln-Dellbrück und dem Autobahnkreuz Köln-Ost. Schon einen Monat später stellte ein vom damaligen nordrhein-westfälischen Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) vorgestellter Bericht Pfusch am Bau als Ursache fest: Mehrere sechs Tonnen schwere Betonelemente der Schallschutzwand waren demnach nicht planmäßig montiert und befestigt worden. Dennoch dauerte es fast vier Jahre seit dem Unglück, bis am Dienstag vor dem Landgericht nun der Prozess gegen drei Beschuldigte begann.

Prozess um Vorfall auf der A3: Großes öffentliches Interesse

Das Interesse der Öffentlichkeit war enorm. Der Zuschauerbereich auf Saal 142 im Justizzentrum war fast bis auf den letzten Platz belegt. Womöglich waren sie von einem Gefühl beschlichen, das Nebenklageanwalt Claude-Henrik Husemann, der die Schwester und die hochbetagte Mutter des Opfers vertritt, vor Prozessbeginn auf den Punkt brachte: „Letztlich hätte es jeden von uns treffen können.“ Eine „tickende Zeitbombe“ sei die Betonplatte gewesen. „Ich denke, jeder von uns fährt seit dem Unfall mit einem anderen Gefühl an diesen Lärmschutzwänden vorbei“, so Husemann weiter. Mutter und Schwester des Opfers wohnten dem Prozess nicht bei.

Vorwurf der fahrlässigen Tötung

Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass die drei Angeklagten wussten, dass die Betonplatte nicht dem Plan entsprechend montiert worden sei. Einem 62 Jahre alten Bauingenieur wird Totschlag durch Unterlassen und Baugefährdung vorgeworfen. Zwei jeweils 59 Jahre alten ehemaligen Mitarbeitern des Landesbetriebs Straßen.NRW wirft die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung vor. Laut Anklage sei der 62-Jährige Bereichsleiter bei der vom Landesbetrieb Straßen.NRW für den achtspurigen Ausbau beauftragten Baufirma gewesen. Im Rahmen des Ausbaus waren auch 200 sogenannte Lärmschutzwand-Vorsatzschalen mit einem Gewicht von jeweils sechs Tonnen in Halterungen in der Betonwand eingehängt worden. Beim Einbau habe sich jedoch herausgestellt, dass bei sieben der Platten die Maße nicht mit den Halterungen übereinstimmten.

Er blieb untätig, obwohl das zu erwartende Versagen der Halterungen für ihn erkennbar war
Oberstaatsanwalt Dr. René Seppi

Nach dem Baustellen-Motto: „Was nicht passt, wird passend gemacht“, sollen mit Kenntnis des 62-Jährigen improvisierte Haltewinkel angeschweißt worden sein. Als Folge sei dann aber der Korrosionsschutz nicht mehr ausreichend gewesen. Straßen.NRW sei damals über die vom Plan abweichende Befestigung informiert gewesen und habe daraufhin von der Baufirma ein Statik-Gutachten gefordert. Dieses habe dem 62-Jährigen im September 2008 vorgelegen. Demnach seien weder statische Tragfähigkeit, noch Dauerhaftigkeit der abgeänderten Haltewinkel gewährleistet gewesen. Das Gutachten soll der Ingenieur aber nicht an Straßen.NRW weitergeleitet haben. „Er blieb untätig, obwohl das zu erwartende Versagen der Halterungen für ihn erkennbar war“, sagte Oberstaatsanwalt Dr. René Seppi bei der Anklageverlesung. Damit habe der Angeklagte „billigend den Tod eines Menschen in Kauf genommen“.

Bei der Abnahme der Konstruktion im November 2008 durch den Landesbetrieb, erfolgte diese unter Vorbehalt des Nachweises der Sicherheit durch ein statisches Gutachten. Die beiden 59-jährigen Angeklagten hätten in der Folge nicht nachgefragt, wo das geforderte Gutachten bleibe. Das hätte aber als Verantwortliche auf Seiten von Straßen.NRW ihrer Kontrollpflicht entsprochen. „Hätten Sie es getan, hätten sie Kenntnis davon erlangen können.“ Damit, so Seppi weiter, hätten die beiden Männer ihre Kontrollpflichten verletzt. Es kam, wie es kommen musste: Mit den Jahren kam es zu Korrosion an den zurechtgeschusterten Halterungen, bis schließlich am 13. November 2020 eine der 2,50 mal 5,30 Meter großen Lärmschutz-Vorsatzschalen herausbrach. „Sie löste sich von der Betonwand, kippte nach vorne, stürzte ungebremst auf den Kleinwagen und erschlug die Geschädigte“, sagte Oberstaatsanwalt Seppi.

Angeklagte weisen Vorwürfe zurück

Der 62-Jährige wies über seine Verteidiger die Vorwürfe zurück. Es habe sich um einen Unfall gehandelt, der „unvorhersehbar“ gewesen sei, sagte Verteidigerin Dr. Kerstin Stirner. Ihr Mandant habe das Gutachten „nicht zur Kenntnis genommen und erst recht nicht unterschlagen“, sagte Verteidigerin Dr. Kerstin Stirner in einer ersten Stellungnahme. Zudem sei nicht der Mandant als Bereichsleiter für die Montage der Betonplatten verantwortlich gewesen, sondern der Bauleiter. Dieser sei jedoch inzwischen verstorben, so Stirner weiter. Ihr Mandant wäre selbst nicht unzählige Male selbst im Auto an besagter Schallschutzmauer vorbeigefahren, wenn er, wie von der Staatsanwaltschaft behauptet, Kenntnis von besagtem Gutachten gehabt hätte. „Mein Mandant ist sicher nicht lebensmüde“, sagte Stirner.

Befangenheitsantrag gestellt

Auch einer der 59-Jährigen wies über Verteidiger Christoph Lepper jede Verantwortung für den Tod der 66-Jährigen von sich. Der zweite 59-Jährige ließ über Verteidiger Rolf E. Köllner dem Gericht ausrichten, dass er sich schweigend verteidigen werde. Seine Verteidigung ließ er aber gleich mehrere Anträge stellen. Unter anderem wird dabei die Besetzung des Gerichts bemängelt. Auch ein Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen zählt dazu. Zudem möchte seine Verteidigung den Prozess für eine Weile aussetzen, weil bei der Fülle der Unterlagen (siehe Infotext) ein zeitraubendes Aktenstudium notwendig sei. Der Prozess wird fortgesetzt. Angesetzt sind bisher 26 Prozesstage. Voraussichtlich bis Ende Dezember soll das tragische Unglück verhandelt werden.