Die marode Zentralbibliothek am Neumarkt sollte für 81,5 Millionen Euro saniert werden. Doch das Vorhaben wird viel teurer und steht auf der Kippe. Nun hat sich der Sohn von Heinrich Böll, René Böll, in einem offenen Brief an OB Reker gewandt, der der Rundschau exklusiv vorliegt.
Offener Brief an Kölns OB RekerRené Böll sieht Erbe seines Vaters gefährdet
Mit großer Betroffenheit verfolge er die Berichterstattung zur Sanierung oder Abriss der Zentralbibliothek am Neumarkt, schreibt René Böll an Reker. In der Zentralbibliothek wird auch der Nachlass von Heinrich Böll verwaltet. „Wie Sie wissen, hat mein Vater Heinrich Böll die Bibliothek 1979 am heutigen Standort gemeinsam mit dem damaligen Ministerpräsidenten Johannes Rau und dem Oberbürgermeister der Stadt Köln John van Nes Ziegler eröffnet,“schreibt der Sohn des Literatur-Nobelpreisträgers. Das Haus sei damals als international bedeutende Architektur einer öffentlichen Bibliothek gefeiert worden. Noch heute profitiere die Stadt von diesem Vorzeigeprojekt. Das Schreiben liegt der Rundschau exklusiv vor.
„Die Entscheidung meines Vaters war damals eine bewusste und wohlüberlegte, denn sein Vorlass befand sich in dieser Zeit in der Boston University Library/USA und die Eröffnung der Zentralbibliothek bot ihm den Anlass, seine Materialien, zu denen wichtige Romanmanuskripte und Korrespondenzen gehörten, wieder in seine Heimatstadt zurückzuholen, und sie somit für Köln und seine Bürger und Bürgerinnen langfristig zugänglich zu machen. Bis heute ist das Heinrich-Böll-Archiv die wichtigste Forschungseinrichtung – national und international - zum Leben und Werk meines Vaters. Hier konnten im Laufe der Jahre viele Ausstellungen gezeigt und Veranstaltungen angeboten werden, hier entstand in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung die große 27bändige Gesamtausgabe Heinrich Bölls.“
In seiner Eröffnungsrede habe Böll den Wunsch formuliert, sein Archiv dauerhaft an diesem Standort und in diesem Gebäude zu beheimaten, weil hier auch die räumlichen Bedingungen für die Aufbewahrung der heterogenen Archivmaterialien in den Magazinen ideal waren. Daran habe sich nichts geändert. „Hinzu kommt die räumliche Verbindung zur Germania Judaica, Kölner Bibliothek zur Geschichte des Deutschen Judentums, die sich ebenfalls in der Zentralbibliothek am Josef-Haubrich-Hof befindet und die meine Eltern mitgegründet haben. Auch das Literatur-in-Köln-Archiv, der Ort, an dem die Kölner Literatur bewahrt wird, und das eine wichtige Anlaufstelle für Kölner Autoren und Autorinnen ist, bereichert die Zentralbibliothek als lebendigen und historisch bedeutsamen Ort der Literatur.“
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2009 habe die Erbengemeinschaft Heinrich Böll sich bewusst dafür entschieden, auch das Arbeitszimmer Bölls der Öffentlichkeit in der Zentralbibliothek zugänglich zu machen. „Täglich können Besucher und Besucherinnen der Bibliothek, darunter viele Schulklassen den Schreibort eines Literaturnobelpreisträgers und Ehrenbürgers der Stadt Köln besichtigen.“
Wie berichtet, ist die Sanierung des Hauses bis ins Detail geplant. Die Kosten wurden zunächst auf 81,5 Millionen Euro kalkuliert. Nach Informationen der Rundschau liegt der Betrag inzwischen aber deutlich im dreistelligen Millionenbetrag. Vor allem die CDU will daher intensiv die Variante Abriss und Neubau prüfen lassen. Auch der langfristige Umzug an die Hohe Straße wird in der Stadtspitze diskutiert. Auf der Einkaufsstraße ist bislang ein mehrjähriges Interim für die Bibliothek geplant.
„In Anbetracht der derzeitigen Kampagne gegen eine Sanierung der Bibliothek bin ich entsetzt und sehe das Erbe meines Vaters an diesem historischen Standort gefährdet“, schreibt Böll. Die Einbindung der Bibliothek in das Kulturquartier am Josef-Haubrich-Hof führt zu Synergien der hier ansässigen Kultureinrichtungen und wertet das Viertel kulturell auf. Das soll nun alles willkürlich aufs Spiel gesetzt bzw. zerstört werden? Ich bin fassungslos!
„Ich bitte Sie deshalb sehr dringlich darum“, heißt es an Henriette Reker gewandt, „sich für die Generalsanierung der Zentralbibliothek am Josef-Haubrich-Hof einzusetzen, damit dieser besondere und einzigartige Ort für Köln und seine Bürger und Bürgerinnen erhalten bleibt! Ich bin überzeugt, dass eine Sanierung auch baukulturell die Bewahrung einer starken architektonischen Aussage darstellt.“
Zur Person
René Böll ist Maler und Grafiker. Er wurde 1948 in Köln als Sohn von Heinrich Böll geboren und ist einer der Mitgründer der Heinrich-Böll-Stiftung und Nachlassverwalter seines Vaters. Erst im Dezember wurde er mit der Familie anlässlich des 50. Jahrestages der Verleihung des Literaturnobelpreises an seinen Vater von Henriette Reker ins Historische Rathaus eingeladen. (mft)
Archiv und Nachlass
140 Regalmeter bildeten den Bestand, den Heinrich Böll 1984 an die Stadt verkaufte und der im Historischen Archiv bewahrt wurde. Dazu zählen Typoskripte der nach 1946 verfassten Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane sowie Briefe und weiteres Material, etwa die Nobelpreisurkunde, die Urkunde zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft. Vieles wurde durch den Einsturz 2009 zerstört. Das Heinrich-Böll-Archiv hat seinen Sitz in der Zentralbibliothek und arbeitet intensiv mit dem Historischen Archiv zusammen. Das Böll-Archiv ist eine Einrichtung der Stadtbibliothek und sieht sich als Dokumentations- und Informationsstelle über das Leben und Werk Heinrich Bölls. (mft)