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Statement für die MenschenwürdeHans-Böckler-Preis an Günter Wallraff verliehen

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Günter Wallraff 120419

Günter Wallraff

Köln – Gut zwei Wochen nach seinem schweren Fahrradunfall ist der Enthüllungsjournalist und Autor Günter Wallraff (76) am Vorabend des 1. Mai mit dem Hans-Böckler-Preis der Stadt Köln ausgezeichnet worden. Oberbürgermeisterin Henriette Reker lobte „seine journalistische Neugier, seine Leidenschaft, etwas zu verbessern, und seinen Mut“.

Wallraf habe „immer wieder da hingeschaut, wo andere wegsehen“, er habe Menschen in den Mittelpunkt gestellt, die in Gesellschaft und Arbeitswelt im Schatten stehen. „Sein Engagement sucht seinesgleichen.“

Georg Restle hält Laudatio

Auch der Vorsitzende des Stadtverbands Köln des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Witich Roßmann, würdigte den jahrzehntelangen Einsatz der Reporter-Legende im Kampf gegen die Ausbeutung von Arbeitnehmern. „Seine respektlose Offenheit, Themen anzugehen, hat mich als junger Mann bewegt und bewegt mich noch heute.“

Ehrung im Rathaus: Verleger Helge Malchow, der Günter Wallraf vertrat, Keno Böhme (Fahrradkurier), Michael Guggemos (Hans-Böckler-Stiftung), Oberbürgermeisterin Henriette Reker, David Paulussen (Fahrradkurier), Kölns DGB-Chef Witich Roßmann, Sarah Jochmann (Fahrradkurierin), Georg Restle (Monitor) und Orry Mittenmayer (Fahrradkurier, v. l.)

Die Laudatio hielt Georg Restle, Leiter des ARD-Politmagazins „Monitor“, er bezeichnete die Auszeichnung für Wallraff als „ein politisches Statement für die Unantastbarkeit der Menschenwürde, für die Unteilbarkeit der Solidarität und für die kulturelle Vielfalt in unserem Land“.

Wallraff sei ein Vorbild für viele, er stehe für einen kämpferischen Journalismus, „der sich nicht scheut, Position zu beziehen und sich an die Seite der Benachteiligten und Entrechteten zu stellen“.

Auch „Liefern am Limit“ ausgezeichnet

In seinen Undercover-Reportagen deckte Wallraff seit den 60er Jahren gravierende Missstände auf. Für seine Recherchen schuftete er als Fließbandarbeiter bei Ford, in Fabriken und Stahlwerken, er berichtete aus psychiatrischen Kliniken, gab Obdachlosen eine Stimme. Für seinen Bestseller „Ganz unten“ (1985) erlebte er in der Rolle des türkischen Leiharbeiters „Ali“ zwei Jahre lang Ausbeutung, Erniedrigung und Rassismus in deutschen Unternehmen.

Der Preis erinnert an den ersten DGB-Vorsitzenden, den Kölner Ehrenbürger Hans Böckler (1875-1951). Zum ersten Mal gibt es zwei Preisträger: Neben Wallraff wurde auch das Kölner Projekt „Liefern am Limit“ ausgezeichnet. Es setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen von Fahrradkurieren ein, die für karge Löhne Essen für Lieferdienste wie Foodora, Deliveroo und Lieferando ausfahren. Den Preis nahmen die Initiatoren Sarah Jochmann, Keno Böhme, Orry Mittenmayer und David Paulussen entgegen.

Mai-Kundgebung auf dem Heumarkt

Die traditionelle Kundgebung der Gewerkschaften zum Tag der Arbeit am 1. Mai steht dieses Jahr im Zeichen der bevorstehenden Europawahl. Um 12 Uhr startet heute ein Demonstrationszug vom Hans-Böckler-Platz zum Heumarkt, wo um 13 Uhr die Kundgebung beginnt. Auf der Bühne diskutiert der Kölner DGB-Vorsitzende Witich Roßmann mit Schülern der „Fridays for future“-Bewegung und Fahrradkurieren von „Liefern am Limit“ über Zukunftsfragen für Europa wie Klimawandel und digitale Ökonomie.

Ab 14 Uhr gibt es dann ein Kulturprogramm mit den Kabarettisten Wilfried Schmickler und Robert Griess sowie den Bands Kozmic Blue und Löber Akustik. (fu)

Sie hätten „von Köln aus die Gründung von ersten Betriebsräten in dieser völlig neuen Branche initiiert“ und mit kreativen Kommunikationsformen auf die prekären Arbeitsbedingungen vieler Kuriere aufmerksam gemacht, sagte Reker. Wallraff, der an den Folgen des Unfalls leidet, nahm nicht an der Verleihung teil. Derzeit könne er „nur wenige Meter an Krücken zurücklegen“, ließ er durch Verleger Helge Malchow ausrichten.

„Sie rebellieren und riskieren dafür Kopf und Kragen“

Bei dem Sturz hatte er sich Kopfverletzungen und einen Trümmerbruch im Oberschenkel zugezogen, viel Blut verloren. Vor Ostern wurde er aus dem St.-Franziskus-Hospital entlassen, erholt sich nun in seinem Haus in Ehrenfeld. In seiner Dankesbotschaft erklärte Wallraff, mit Hans Böckler, „dessen Engagement und Veränderungswillen ich bewundere, in einem Atemzug genannt zu werden, ist für mich Anerkennung und Verpflichtung“.

Böckler habe „das, was wir heute für sozial gerecht halten und als Selbstverständlichkeit hinnehmen, überhaupt erst ins öffentliche Leben gerückt“. Ausdrücklich würdigte Wallraf das Engagement von „Liefern am Limit“ gegen prekäre Beschäftigung: „Sie organisieren sich, sie rebellieren und riskieren dafür Kopf und Kragen. Oder doch zumindest ihren Job.“