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Viel mehr als nur SteinDer Dom bietet ein Zuhause für viele Tier- und Pflanzenarten

Lesezeit 5 Minuten

Üppige Moospolster wachsen auf Balustraden am Dom.

  1. Wer denkt, dass der Kölner Dom ein Gebilde aus nacktem Stein ist, auf dem vielleicht ein paar Tauben leben, liegt falsch.
  2. Mehr als 72 Pflanzenarten sind hier zu finden, außerdem Kleinteire und Vögel
  3. Dr. Iris Günther, Expertin für Flora und Fauna des Doms, gibt uns einen spannenden Einblick in die Lebenswelt des Kölner Doms

Köln – Die Natur ist überall. Auch in Köln findet sich eine erstaunliche Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Diese Botschaft vermittelt die Biologielehrerin Dr. Iris Günthner (45) seit rund 20 Jahren. Ihre Doktorarbeit hat sie über das Naturempfinden des Menschen in der Großstadt geschrieben. Das Paradebeispiel ist für sie der Kölner Dom – ein Felsbiotop mit einem überraschenden Artenreichtum.

Die Ringeltaube baut ihre Nester im Osten der Kathedrale.

„Hier gehen Zwergfledermäuse und Wanderfalken auf die Jagd. Singvögel wie Blaumeise und Hausrotschwanz bauen am Dom ihre Nester, auch eine Schleiereule ist hier beheimatet. Weitere Bewohner der Kathedrale sind Steinmarder, Wildbienen und Kirchenmäuse“, zählt Günthner auf. Während Mäuse schon dabei gesichtet wurden, wie sie durchs Kirchenschiff huschen, hat die Schleiereule bisher noch niemand gesehen. „Anhand von Gewöll, das wir gefunden haben – ausgewürgtes Fell und Knochen von Beutetieren – konnten wir sie aber eindeutig identifizieren.“

Dr. Iris Günthner, Expertin für die Flora und Fauna des Doms.

Mehr als 40 Blühpflanzen leben am Dom

Die dreifache Mutter, die auf dem Land lebt und selbst Schafe und Hühner hält, erforscht seit ihrer Studienzeit die Flora und Fauna des Doms. Bei Führungen erläutert sie, was diesen Lebensraum ausmacht. „Die Kathedrale ist praktisch ein Gebirge in der Stadt. Sie bietet unzählige Nischen, Winkel, Vorsprünge und Brüstungen, die von allerlei Flechten, Moosen und Farnen besiedelt werden.“ 32 Arten von Flechten, neun verschiedene Moose, mehr als 40 Blühpflanzen sowie verschiedene Baumarten konnten bisher am Dom nachgewiesen werden – darunter Mauer-Zimbelkraut und Mauer-Glaskraut, das mit den Römern ins Rheinland kam. Außerdem Schwarzer Nachtschatten, Afrikanisches Greiskraut, Kanadisches Berufkraut, Tüpfelfarn, Holunder, Brombeere, Sal-Weide, Zitterpappel, Weißbirke und der aus Asien stammende Schmetterlingsflieder.

Üppige Moospolster wachsen auf Balustraden am Dom.

„Die Pflanzen vermehren sich über Sporen und Samen, die vom Wind oder von Vögeln herangetragen werden. Entscheidend für eine erfolgreiche Besiedelung des nackten Steins sind ausreichende Feuchtigkeit und ein Mindestmaß an Nährboden.“ Der entsteht etwa durch Staub aus der Luft oder durch die Verwitterung des Gesteins. Rund 50 verschiedene Gesteinssorten sind im Dom verbaut, darunter Schlaitdorfer Sandstein, Krensheimer Muschelkalk, Berkumer Trachyt, Stenzelberger Andesit und Londorfer Basaltlava.

Am Dom herrscht trockenes Klima

In Fugen und porösem Stein bauen sich Fischernetzspinnen Netze und Wohnröhren. Wildbienen legen ihre Eier in kleine Löcher und spachteln sie zu. Unter dicken Polstern aus Silbermoos, Grauem Zackenmützenmoos, Mauer-Drehzahnmoos oder Brunnenlebermoos tummeln sich Keller- und Mauerasseln, Räder- und Wimperntiere sowie Springschwänze.

 Zu den hier lebenden Pflanzenarten zählt auch der Tüpfelfarn.

Weil der Stein wenig Feuchtigkeit speichert, herrsche am Dom ein trockenes Klima, erzählt Günthner bei einem Rundgang über die Domdächer in 45 Metern Höhe. „Auf der schattigen Nordseite ist es kühler und feuchter, im Süden wärmer – hier sorgt die Sonnenbestrahlung im Sommer für enorme Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht.“

Kunst am Dom: Beifuß, Mäusedorn, Affen und ein Seehund

Ein beeindruckender Artenreichtum findet sich auch im künstlerischen Bild- und Skulpturenprogramm des Doms. Unzählige florale Muster mit Knospen und Blättern, Blüten und Früchten zieren Kapitelle, Pfeiler, Maßwerk-Elemente und Schlusssteine. Die Vorlagen dafür lieferten den Steinmetzen Pflanzen mit dekorativem Blattwerk wie Ahorn, Beifuß, Efeu und Wermut, aber auch Heilpflanzen wie Hopfen, Huflattich, Stieleiche und Weißdorn. An der Außenfassade sind steinerne Affen, Bären, Hirsche und Wildschweine zu finden. Im Innern der Kathedrale tummeln sich Esel, Ochsen, Elefanten und Löwen, im Fußbodenmosaik unter dem Hochaltar ist ein Seehund als Symbol des Nordens eingelassen.

Im berühmten „Altar der Stadtpatrone“ in der Marienkapelle, um 1445 von Stefan Lochner geschaffen, krabbelt unten rechts ein Hirschkäfer durchs Bild (siehe Foto), daneben wächst eine Akelei. 36 Pflanzenarten hat Gartenarchitektin Margarete Comes auf dem Gemälde identifiziert, darunter Alraune, Kriechender Günsel, Gundermann, Leberblümchen, Schwarzes Bilsenkraut, Spitzwegerich, Stechender Mäusedorn und Sumpfblutauge. Vielen davon sprachen die Menschen des Mittelalters eine heilende oder Unheil abwehrende Wirkung zu. (fu)

Auf rund 1000 Tonnen wird das Gewicht der lebenden Biomasse am Kölner Dom geschätzt. Der allergrößte Teil davon besteht aus Mikroorganismen. Denn bei dem dunklen Belag, der die Fassade überzieht, handelt es sich keineswegs um Ruß aus Abgasen, sondern um winzige Lebewesen. Die auch Blaualgen genannten Cyanobakterien schützen sich durch Chlorophyll-Bildung vor der Sonne – daher rührt die schwarz-grüne Färbung. „Das ist kein Dreck, sondern die natürliche Patina des Doms“, betont Günthner.

Eine Rabenkrähe startet im Sturzflug von einer Fiale.

Wüstenbussarde sollen Tauben verscheuchen

Dass das Gotteshaus mit Unmengen an Kleinstlebewesen überzogen ist, schade ihm nicht. Nur wenn sich Bäume in Fugen einnisten und die Wurzeln das Mauerwerk zu sprengen drohen, werde die Dombauhütte tätig.

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Problematischer sind die Tauben. Ihr säurehaltiger Kot schädigt das Gestein. Die wenigen Ringeltaubenpärchen, die ihre Nester im Osten der Kathedrale bauen, und dafür auch mal Kabelbinder und Plastikrührstäbchen verwenden, sind noch vergleichsweise harmlos. Doch in der Westfassade nisten mehr als hundert Stadttauben in großen Kolonien. Um den Taubenbestand zu kontrollieren, werden Nistplätze angeboten, die Eier später geschüttelt oder durch Gipseier ersetzt. Und Falkner Marco Wahl lässt alle vier Wochen seine zwei amerikanischen Wüstenbussarde Abby und Akasha sowie den afrikanischen Lannerfalken Jambo um den Dom kreisen – damit die Tauben Angst bekommen und das Weite suchen.

Zu den hier lebenden Pflanzenarten zählt die Sal-Weide.

Dagegen machen die Wanderfalken – Nachkommen eines in den 80ern am Dom ausgesetzten Pärchens, die jetzt in Groß St. Martin nisten – gezielt Jagd auf Tauben am Dom. Auch die Rabenkrähen, die gerne Taubeneier fressen, tragen zur Populationskontrolle bei.

Das Mauer-Zimbelkraut lebt auch am Dom.

Brombeerhecken sollen Dom überwuchert haben

Bei den Pflanzen sei ein ungehemmtes Wachstum nicht zu befürchten, so Günthner. Dafür fehle es schlichtweg an Erde und Wassernachschub. So habe der Dürresommer 2018 in der Domvegetation Spuren hinterlassen. „Vieles ist vertrocknet. Doch die Natur erobert sich den Raum zurück, sobald die passenden Bedingungen herrschen.“ So soll nach dem Krieg eine neun Meter hohe Birke aus dem Domgestein gewachsen sein. Und in der ersten Beschreibung der Domvegetation von 1862 – 18 Jahre vor der Vollendung der Kathedrale – ist davon die Rede, dass ein Teil des Bauwerks mit Brombeerhecken überwuchert war.