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Meinungsaustausch über BetonreplikWas soll passieren mit der Kreuzblume vor dem Kölner Dom?

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Dom, Domplatte, Vorplatz, Kreuzblume

Dom, Domplatte, Vorplatz, Kreuzblume

Macht sie den Dom begreifbarer oder ist genau das der Fehler? Dombaumeister Peter Füssenich, „Kreuzblumen-Vater“ Rudolf Barten und Domdechant Robert Kleine haben unterschiedliche Meinungen.

„Von da oben hatte ich ja eigentlich kaum etwas anderes im Blick als den Dom“, sagt Rudolf Barten und weist mit dem ausgestreckten Arm auf eines der Fenster in der obersten Etage des Gebäudes, in dem sich heute KölnTourismus befindet. Er dreht sich um und erklärt seinen Zuhörern mit strahlenden Augen: „Damals hießen wir noch Verkehrsamt der Stadt Köln, aber Sie sind wohl zu jung, um sich daran zu erinnern.“ Peter Füssenich muss lachen. „Als kleiner Junge war ich hier in der Nähe, als im Jahr 1980 das 100-jährige Jubiläum der Domvollendung mit einer großen Prozession gefeiert wurde“, erklärt der 54-Jährige. Robert Kleine ergänzt: „Auch ich kann mich noch gut an das alte Verkehrsamt erinnern, das war doch für auswärtige Besucher immer einer der ersten Anlaufpunkte.“ Als der Rundschau-Fotograf später den drei Männern seine Fotos von ihnen vor der Kreuzblume zeigt, kommentiert Barten die Motive mit einem lausbübischen Gesichtsausdruck: „Sehen Sie, wenn man das richtig fotografiert, stört die Kreuzblume überhaupt nicht, die steht hier schon ganz gut.“

Rudolf Barten ist der geistige Vater der Kreuzblume. Bis heute ist der 92 Jahre alte Kölner davon überzeugt, dass die originalgetreue Nachbildung einer der Domspitzen an ihrem jetzigen Platz auch ihren richtigen Platz hat. Das sehen Peter Füssenich und Robert Kleine indes etwas anders. „Es ist schon beeindruckend, wenn man von der Kreuzblume aufschaut und das Original in 157 Metern Höhe sieht“, baut Stadtdechant Robert Kleine eine Brücke. Gleichwohl müsse man sich dabei ziemlich verrenken: „Die wunderbare Staffelung der Originalkreuzblume ließe sich von der Domplatte erst erkennen, wenn die Kreuzblume weiter entfernt vom Dom stünde.“ Doch das ist nicht der entscheidende Grund, warum der 57 Jahre alte Geistliche die Kreuzblume an ihrem jetzigen Platz für ungeeignet hält: Die Kreuzblume verstelle den Blick auf die imposante Westfassade unseres Doms mit deutlicher Konsequenz: „Auf den meisten Fotos verdeckt die gegossene Beton-Kreuzblume von 1991 leider das von Steinmetzen geschaffene Hauptportal von 1880“, bedauert Kleine.

Etwas Greifbares vor dem Dom oder schieres Staunen über dessen Dimensionen

Auch Dombaumeister Füssenich bekundet beim Treffen mit Barten durchaus Sympathie für die originalgetreue Replik einer Domspitze. „Die Kreuzblume ist wichtig, weil sie für viele Menschen den ersten Kontakt zum Dom überhaupt herstellt. Hier treffen sich viele Besuchergruppen.“ Gleichwohl erinnert der Baumeister an die Idee des Dombaus, eben das Staunen. „Wenn die Menschen ihre Blicke von hier aus, sozusagen der Nullebene, bis zu den Spitzen des Domes wandern lassen, verlieren sie das Gefühl für die schiere Größe und staunen über die Dimensionen des Domes, die jede menschliche Dimension überschreitet.“ Durch die Kreuzblume an ihrem jetzigen Platz sei dies erheblich eingeschränkt.

Auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner drehen Füssenich und Kleine das Rad der Zeit jedoch erst einmal zurück. Denn die Begegnung mit Rudolf Barten bot ihnen Gelegenheit, einmal vom Urheber der Kreuzblumen-Replik selbst zu erfahren, wie es eigentlich zu diesem Objekt im Stadtraum kam. Denn Barten, der 1932 im gerade eröffneten Elisabeth-Krankenhaus als einer der ersten Neugeborenen das Licht der Domstadt erblickte, war Ende der 1970er Jahre als Leiter der Fremdenverkehrswerbung für die Aktivitäten anlässlich des Domjubiläums verantwortlich. „Wir wollten etwas Greifbares vom Dom außerhalb des Domes platzieren.“ Von seinem Arbeitsplatz aus kam ihm beim Blick auf die Domspitzen der Gedanke, diese einfach herunterzuholen. Damals war er der Kreuzblume am Südturm ohnehin wochenlang sehr nahe. „Zum Muskelaufbau für einen Skiurlaub bin ich in der Mittagspause fast täglich die 530 Stufen bis in 100 Metern Höhe hinaufgelaufen und habe von da zur Spitze hochgeblickt.“

Das Modell aus einem für den Bootsbau üblichen Kunststoff, das der Bildhauer Uspelkat aus Bergisch Gladbach fertigte, wurde im März 1980 aufgestellt. Zehn Jahre später verursachte der Orkan Wiebke heftige Schäden in Deutschland und fegte dabei auch das Modell der Kreuzblume weitestgehend weg. „Mir blutete das Herz, denn von meinem Arbeitsplatz aus konnte ich genau beobachten, wie Wiebke das Modell nach und nach zerlegte.“ Dass im Oktober 1991 ein neues Modell aufgestellt werden konnte, war wieder dem Einsatz von Rudolf Barten zu verdanken. Der damalige Leiter des Verkehrsamtes, Erhard Schlieter, wollte die 80.000 Deutsche Mark, die die Versicherung für die zerstörte Nachbildung gezahlt hatte, für neue Prospekte verwenden. Doch Barten stellte laut seiner Schilderung die rhetorische Frage: „Wie wäre es, wenn wir das Geld als Grundstock für ein neues, festes Modell der Kreuzblume verwendeten?“

Schlieter sei einverstanden gewesen unter der Maßgabe, dass er, Barten, auch das restliche Geld besorge. „Da bin ich dann kötten gegangen“, erinnert sich der kölsche Jung, der seine Liebe und sein Engagement für seine Heimatstadt auch „in die Gene meines Sohns Helmut vererbt“ habe. Anfang der 1990er Jahre habe es seitens der mitwirkenden Ämter der Stadt sowie durch den damaligen Dombaumeister Professor Arnold Wolff wohlwollende Unterstützung für „eine kölsche Lösung“ gegeben. Dass seit nunmehr über 30 Jahre bestehende maßstabsgetreue Betonmodell der südlichen Kreuzblume ist fast zehn Meter hoch, fünf Meter breit und 35 Tonnen schwer. Seitdem ist die Replik eine feste Koordinate für Treffpunkte sowie Ausgangspunkt für zahlreiche Stadtführungen.

Leidenschaftlicher Streit über Kreuzblume soll nach Neugestaltung der Domumgebung beigelegt werden

Genau dies hat aber nach Meinung von Dombaumeister und Stadtdechant neben der verstellten Sicht auf die Westfassade, der weltweit größten Fassade eines Kirchenbaus, zudem die „insgesamt unbefriedigende Platz- und Verkehrssituation“ befördert. „Das ist doch kein Entrée“, so Robert Kleine und weist auf die Briefkästen, die Werbetafel sowie die Stolperfallen beim Übergang von der Straße in den Bereich mit Asphalt, Bürgersteigplatten und Pflastersteinen hin. „Ein schreckliches Konglomerat“, fügt Peter Füssenich hinzu und kritisiert zudem, dass der „wunderbare Taubenbrunnen“ von Ewald Mataré, das eigentliche Kunstdenkmal an dieser Stelle, kaum mehr wahrgenommen werde. Dazu passend fährt dann auch noch im Hintergrund die Bimmelbahn durchs Bild.

In den zurückliegenden Jahren wurde mitunter leidenschaftlich um das Für und Wider der Kreuzblume im Allgemeinen sowie ihren jetzigen Platz im Besonderen gestritten. Eine Vereinbarung zwischen Oberbürgermeisterin sowie Bezirksvertretung Innenstadt sieht vor, über die Kreuzblume erst nach Abschluss der Neugestaltung der westlichen Domumgebung zu befinden. Das wird vermutlich noch dauern, doch alsbald danach dürften die Debatten der Vergangenheit dann wieder emotional und kontrovers hochkochen. Dombaumeister Füssenich betont: „Ich empfehle dringend, bei den stadtplanerischen Überlegungen der westlichen Domumgebung die Kreuzblume mitzudenken und in die gestalterische Realisierung in Sichtweite des Domes einzubeziehen.“

Rudolf Barten beobachtet das Interesse an „seiner“ Kreuzblume sichtlich erfreut, „denn für mich war das Thema ja nach der Neuaufstellung abgeschlossen“. Auch wenn Dombaumeister Füssenich und Stadtdechant Kleine bei dem Treffen verschiedene Varianten eines neuen Aufstellortes andachten – etwa Kurt-Hackenberg-Platz, auf der Terrasse vom Café Reichardt, Ende der Via Culturalis, Bahnhofstreppe oder einfach ein Verrücken um etwa sieben Meter – und Rudolf Barten beim jetzigen Platz blieb, waren sich die Herren bei diesem ebenso respektvollen wie rheinisch-kölschen Gipfeltreffen darin einig: Wenn die Kreuzblume erhalten bleibt, soll ihr Platz in Domnähe mit gutem Blick auf die Originale sein. Eine Aufstellung auf der schäl Sick, auch darin waren sich alle einig, sei undenkbar.