Köln – Als sie ihr Redemanuskript längst zur Seite gelegt hat, spricht Oberbürgermeisterin Henriette Reker irgendwann sehr frei über das Forscherehepaar Dr. Özlem Türeci (54) und Professor Ugur Sahin (55), die Gründer des zu Weltruhm gelangten Pharmaunternehmens Biontech. „Im Grunde haben sie die Menschheit gerettet“, stellt Reker mit spürbarer Bewunderung fest. Sie steht in der Piazzetta des Historischen Rathauses, wo die beiden Mediziner und Wissenschaftler sich kurz zuvor ins Goldene Buch der Stadt eintragen durften und zudem die Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät der Kölner Universität empfingen.
Viele Anekdoten aus Köln im Gepäck
Im Heldenepos um die Entwickler des ersten mRNA-Impfstoffs gegen das Coronavirus war an diesem Freitag die Zeit gekommen, um das Kölner Kapitel ausführlich zu beleuchten und mit Erinnerungen und Anekdoten zu schmücken. Denn Ugur Sahin kam als Vierjähriger mit seiner Mutter aus der Türkei nach Köln, sein Vater hatte da bereits einen Job in den Ford-Werken und schraubte Autos zusammen. Sein Abitur machte er im Gymnasium an der Castroper Straße in Niehl, dann studierte er Medizin und entwickelte seinen Ehrgeiz als Forscher.
Türeci und Sahin sitzen ganz vorne im Rathaus, acht Stuhlreihen sind für die Gäste aufgebaut, zu denen neben Kölner Medizinern auch die Politiker Karl Lauterbach und Staatssekretärin Serap Güler (CDU) gehören. Mittendrin sitzt Gisela Seulen, 80 Jahre alt, die einstige Mathematiklehrerin von Ugur Sahin. Als er sie erblickt, huscht ein überraschtes und ungläubiges Lächeln über sein Gesicht. Dann lauscht das Forscherpaar etwa 40 Minuten den Lobeshymnen, die vom Podium auf sie niedergehen.
Von Beharrlichkeit, Glück und Inspiration ist die Rede. „Der größte Lohn wird das Gefühl sein, die Welt und die Menschen, die Ihnen ihr Leben verdanken, mit dem Impfstoff vor Tod und Leid bewahrt zu haben“, lobt Reker. Universitäts-Rektor Professor Axel Freimuth schwärmt, beide hätten „in Rekordzeit eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus entwickelt und dabei eine neue Technologie zur Marktreife geführt“. Professor Gereon Fink, Dekan der Medizinischen Fakultät, bezeichnet das Ehepaar als „Rockstars der Wissenschaft“, denen es gelungen sei, Medizingeschichte zu schreiben. Und er stellt klar, dass die Impfstoffentwicklung nicht durch einen überraschenden Geniestreich ermöglicht wurde, sondern durch beharrliche Forschung zur Tumorbehandlung.
Als Ugur Sahin ans Mikrofon tritt, erzählt er zuallererst vom Fußball, der nicht nur Hobby, sondern Lebensschule gewesen sei (siehe Interview), vom Kämpfen, vom Hinfallen und Aufstehen und vom Teamgeist, ohne den im Leben und in der Wissenschaft nichts zu erreichen sei. Der Mann mit den Kölner Wurzeln, der mit seinem Unternehmen inzwischen Millionen verdient, trägt blaue Jeans, kariertes Hemd und offenes Sakko. Am Abend steht noch das Jahrgangstreffen seines Gymnasiums auf der Pferderennbahn an, wo er auf ein paar Kölsch mit alten Freunden erwartet wird.
Das Bundesverdienstkreuz mit Stern ist dem Ehepaar bereits verliehen worden, nun kommen sie zu Kölner Ehren. Sie bedanken sich und lächeln sehr freundlich. Und Sahin erinnert immer wieder an das, was ihn antreibt. Als junger Arzt habe er auf Station 3b der Uniklinik gearbeitet, und einem Leukämiepatienten eröffnen müssen, nichts mehr für ihn tun zu können. „Wissenschaft kann den Unterschied für die Menschheit machen“, sagt er nachdenklich.
Sahin würde vermutlich nie von sich behaupten, die Menschheit gerettet zu haben. Das überlässt er anderen. Fertig sind er und seine Frau noch nicht. Noch dieses Jahr sollen die Zulassungen für Kinderimpfstoffe gegen das Coronavirus beantragt werden.