Köln-Ehrenfeld – Beim Kinobesuch Anzug und Krawatte zu tragen, ist bei jungen Männern in Ehrenfeld zurzeit gerade mal nicht der angesagte Dresscode. Vor 60 Jahren war das noch anders. Und wer ganz besonders „in“ sein wollte, trug eine Haartolle – wie Elvis Presley. Der Rock ’n’ Roll-Star jener Jahre glänzte 1962 als Boxer „Kid Galahad“ an der Seite von Charles Bronson in dem Streifen „Harte Fäuste – heiße Liebe“. In den Helios-Lichtspielen an der Venloer Straße – und davor – wurde damals noch ganz großes Kino geboten.
„Ich würde die Männer auf dem Bild schon gern kennenlernen, über damals reden und erfahren, was aus ihnen geworden ist“, sagt Thor Zimmermann beim Betrachten des Fotos. Der seit mehr als 30 Jahren überzeugte Wahl-Ehrenfelder hat den Schnappschuss von den „Helios-Lichtspielen“ mit neun weiteren Motiven als kleine Postkartenserie „Ehrenfeld 1963“ herausgebracht.
Kölner sammelt Postkarten aus Leidenschaft
„Alte Postkarten aus Ehrenfeld zu sammeln ist eine Leidenschaft von mir“, erzählt Zimmermann. Gewissermaßen als Nebenprodukte schuf er auch eigene kleine Postkartenserien, die als Set oder auch einzeln verkauft werden. Möglich wurde dies, als er bei Ebay kleine Dia-Sammlungen aufstöberte. Eine zeigt verschiedene Straßenansichten aus der Zeit Ende der 1970er Jahre.
Die jetzt herausgebrachte Bilderserie muss Anfang der 1960er Jahre entstanden sein. Vermutlich bei einem Sonntagsspaziergang entlang der Venloer Straße vom Kirmesplatz in Bickendorf. Dort sieht man eine Losbude und andere Kirmesstände. Die Besucher haben sich alle sichtlich herausgeputzt, nicht anders als die jungen Elvis-Fans, die zur gleichen Zeit erwartungsvoll mit den Händen in der Hosentasche vor dem Helios-Kino standen. Zu sehen sind ansonsten überwiegend trostlose Straßenszenen mit lückenhaften Häuserzeilen in einem Teil der Venloer Straße, der sich immer schon stiefmütterlich behandelt fühlte.
„Ich kann nur jeden ermuntern, der noch Dias oder Negative mit solchen Motiven zu Hause hat, diese digitalisieren zu lassen. Gerne können sich die Leute auch an mich wenden“, sagt Thor Zimmermann. Er kam 1987 nach Köln als er seinen Zivildienst in einem Vogelsanger Kinderheim ableistete. In Ehrenfeld eröffnete er 1990 die Galerie am Schlachthof und gehörte zu den frühen Mitgliedern der Kunstszene. Später war Thor Zimmermann 20 Jahre in einem Fachgeschäft für Einrahmungen tätig.
„Ehrenfeld war runtergerockt“
Seine Begeisterung für das alte Ehrenfeld will der 55-Jährige nicht als reine Nostalgie verstanden wissen, im Sinne von „Schaut her, wie schön und besser doch früher alles war“. Er wolle die Bilder aus alter Zeit vor allem für die Zukunft bewahren, damit die nicht einfach verschwinden. Jedoch auch, um zu verdeutlichen, was bei der weiteren Stadtentwicklung möglicherweise bewahrenswert ist, betont Zimmermann, der als Vertreter der „Wählergruppe Gut“ im Stadtrat sitzt.
Eine weitere Faszination sind für ihn Geschichten, die ihm Menschen erzählen, die sich erinnern, wie die Zeiten waren als die Aufnahmen entstanden. „Man sieht ja an der Ehrenfeld 1963-Serie, wie rau und runtergerockt Ehrenfeld in dieser Zeit noch war. An vielen Stellen gab es ja auch noch Kriegsschäden“, sagt Thor Zimmermann. Passend dazu habe ihm eine Frau erzählt, dass ihr früher oft die Kriegsversehrten aufgefallen seien, wenn sie damals als Kind an der Hand der Mutter über die Venloer Straße ging. Sie habe dann gefragt, warum dem Mann ein Bein oder ein Arm fehlten, aber keine Antwort bekommen. „Guck da nicht hin„ hieß es dann“, erzählt Zimmermann.
Die Postkartensets sind online und in der Bunt-Buchhandlung an der Venloer Straße erhältlich. Online können die Motive auch einzeln erworben werden. Thor Zimmermann hat dabei auch schon Publikumsfavoriten ausmachen können. Das sei zum einen die Szene vor den Helios-Lichtspielen und zum anderen „Aus der 70er-Serie der Mercedes in der Klarastraße“. Eine Aufnahme, die vor mehr als 40 Jahren entstand. Ein Ehepaar in schicker Mercedes-Limousine fährt knapp am Fotografen vorbei.
Weitere Details erzählen ganze Geschichten: Im Vordergrund links ist ein Ford-Transit geparkt, der mit seiner türkischsprachigen Aufschrift ganz dem damaligen Klischee von Ehrenfeld zu entsprechen scheint. Ein Stückchen weiter rechts im Hintergrund ist ein Wagen ganz offenkundig im absoluten Halteverbot abgestellt. Zu sehen ist auch, dass auf gleicher Höhe mit dem Wagen an einem Haus das komplette Erdgeschoss von Plakatwänden verdeckt ist. Auch andere Fassaden machen einen ruinösen Eindruck. Fahrbahn und Gehsteig wirken dagegen ziemlich neu ebenso wie die frisch gepflanzten Bäume im Hintergrund.