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Agrippina wäre stolzDieses Buch porträtiert starke Frauen aus Köln

Lesezeit 4 Minuten
Judith Gerwenig, Funkemariechen bei den Roten Funken, dem Vereinsturm Ulrepforte, 8/2021

Judith Gerwenig, Funkemariechen bei den Roten Funken

Die Karlsruher Autorin Christiane Möschle und die Kölner Fotografin Bettina Flitner stellen 28 Protagonistinnen vor – an Orten, die ihnen wichtig sind. Ein tolles Buch mit starken Fotos kam dabei heraus.

Was macht Köln zu Köln? Nicht lange überlegen. Ganz spontan. Der Dom, der Rhein, der Karneval. Viel Kultur. Die Veedel. Der Duft nach Eau de Cologne.

Fragen, die sich auch die Karlsruher Autorin Christiane Möschle und die Kölner Fotografin Bettina Flitner stellten, ehe sie begannen, ihr gemeinsames Buchprojekt umzusetzen. „Frauenperspektiven Köln“ stellt 28 Protagonistinnen vor, an Orten, die ihnen wichtig sind.

Köln, RSK, Buch "Frauenperspektiven in Köln" mit Bettina Fliner (schwarzes Oberteil) und Christiane Moschle

Christiane Möschle und Bettina Flitner (r.) mit ihrem gemeinsamen Buchprojekt

Christiane Möschle sagt: „Es gab Frauen, die mussten da unbedingt rein. Aber die Mischung, bekannt und unbekannt, war uns beiden von Anfang an sehr wichtig. Wir wollten ganz verschiedene Berufe dabei haben und gleichzeitig interessante Orte vorstellen!“ Und Bettina Flitner ergänzt: „Ich lebe schon so lange in Köln, also ewig, ich bin selbst aus der Südstadt, aber ich habe viele Ecken kennengelernt, die ich vorher nicht kannte.“

Es gab Frauen, die mussten da unbedingt rein. Aber die Mischung, bekannt und unbekannt, war uns sehr wichtig.
Christiane Möschle, Autorin

Oberste Priorität bei der weiblichen Sicht auf eine allzu bekannte Stadt, so beide übereinstimmend: „Eine Verbindung von Frau und Ort zu schaffen und im Porträt den Menschen zu erfassen.“ Manche gehören unbedingt dazu. Und manche Orte ganz selbstverständlich zu ihnen. Der Rathausturm zu Henriette Reker. Der FrauenMediaTurm, der früher Bayenturm hieß, zu Alice Schwarzer. Reker und Schwarzer, Bürgermeisterin und Ur-Feministin, markieren Anfang und Ende von „Frauenperspektiven Köln“.

Mit dabei: Barbara Schock-Werner, Kölns einzige Dombaumeisterin

Dazwischen trifft man beispielsweise auf Katja Lavassas, die von sich sagt: „Ich bin aus Köln, man sieht es nur nicht direkt.“ Hier, wo sie geboren und wo sie aufgewachsen ist, hat die Puppenspielerin ihre Wurzeln. Ausgesucht hat sie sich nicht nur ihren berühmten Arbeitsort, das Hänneschen-Theater, sondern auch den Nordfriedhof, wo ihre Großmutter begraben ist: „Sie war eine starke Persönlichkeit, der keiner was wollte oder konnte, sie wurde geliebt und verehrt.“ Heute lebt sie mit Mann und Kindern im Haus der Großmutter. In Kamerun, der Heimat ihres Vaters, war Lavassas nie.

Auf Barbara Schock-Werner, Kölns erste und bisher einzige Dombaumeisterin, die mit der Kathedrale, für deren denkmalpflegerisches Wohl und Wehe sie von 1999 bis 2012 verantwortlich war, noch immer eng verbunden ist: „Wenn man sich eine Weile den Räumen aussetzt und nicht einfach so durchmarschiert, wird sich das Tempo verändern. Man wird ruhiger.“

Biggi Wanninger als Sensation in der Männerdomäne Karneval

Oder auf Parfumeurin Alexandra Kalle, WDR-Mitarbeiterin Melitta Erven und Judith Gerwing, die Funkenmariechen ist – und hauptberuflich Unternehmen berät, was Finanzen betrifft. Nicht nur Reker, Schwarzer und Schock-Werner sind Pionierinnen. Als die Kabarettistin Biggi Wanninger 1999 Präsidentin der Stunksitzung wurde, galt das als Sensation in der Männerdomäne Karneval. „Ich fand das nichts Besonderes. Warum sollte das keine Frau machen können?“, sagt Wanninger souverän. Dass sie das E-Werk gewählt hat, spricht für sich.

Manche Beiträge sind in Form von Interviews abgedruckt, andere als Fließtext. Jedem Kapitel ist eine Biografie angeschlossen, auch die Orte werden erläutert und ihre Geschichte erzählt. Die Porträts und Fotostrecken von Bettina Flitner setzen die „Frauenperspektiven“ ausdrucksstark ins Bild und in Szene. Da blickt die ewige Dombaumeisterin im knallroten Pulli mit verschränkten Armen und breitem Lächeln von einer Leiter im Domgebälk herab, präsentiert einen Schraubenschlüssel, der sie ganz knapp überragt und zeigt im Freien mit ausgebreiteten Armen, wie wenig Angst ihr die Höhe macht.

Agrippina war schwer zu fotografieren

Henriette Rekers weiße, lange Bluse wirkt fast wie ein liturgisches Gewand. Puppenspielerin Katja Lavassas in ihren tief sitzenden olivgrünen Cargohosen, die mit dem helleren Grün des Rasens korrespondieren, strahlt gleichzeitig Lässigkeit und Lebensfreude aus, gepaart mit der aufrechten Haltung und der ruhigen Gelassenheit einer Frau, die weiß, was sie kann. Beim Puppenspiel, im Hänneschen Theater, führt sie mit sicherer Hand.

Bis die schwierigste Aufnahme von allen im Kasten war, das wunderschöne Coverbild mit einem Denkmal von Kölns Stadtmutter an der Riehler Straße, brauchte Fotografin Bettina Flitner starke Nerven: An Agrippinas versteinerten Mimik lag das nicht. „Ich habe verdammte vier Stunden gewartet, bis das Licht auf Agrippina gefallen ist – und dann waren’s zwei Minuten!“

Christiane Möschle und Bettina Flitner: Frauenperspektiven Köln. Panima, 512 Seiten, 42 Euro.