Die politische Stabilität Deutschlands erfordert Reformen und Klartext, insbesondere zu Rente, Verteidigung und Pflege. Merz steht vor einer Herausforderung.
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Nach der BundestagswahlUnd jetzt bitte Klartext
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Friedrich Merz hat den Auftrag zur Regierungsbildung.
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Zuletzt wuchsen seine Träume in den Himmel. Auf utopische 60 Prozent schätzte Olaf Scholz die Chance, noch einmal Bundeskanzler zu werden. Tatsächlich landeten er und seine Partei nach chaotischen Ampel-Jahren und einem kraftlosen Wahlkampf mitsamt dem Ex-Partner FDP im Keller. In Zeiten, in denen die politische Weltordnung gefährlich wankt und Trump die schützende Hand über Europa wegzieht, braucht Deutschland vor allem einen handlungsfähigen, durchsetzungsstarken und krisenfesten Regierungschef.
Das trauten die Wählerinnen und Wähler Scholz nicht mehr zu. Dann schon eher Friedrich Merz. Der Wahlsieg der Union ist ein eindeutiges Signal für einen Regierungswechsel, auch wenn zeitweise weitaus bessere Werte in Aussicht standen. Friedrich Merz trug die unerschütterliche Überzeugung, zum Regieren geboren zu sein, mit breiter Brust vor sich her – und lief damit auch ins Risiko. Der Versuch, sich mit dem energischen Vorstoß („all in!“) zur Migrationspolitik selbst ein Entschlossenheits-Denkmal zu setzen, ging daneben. Die Verluste der Union von einigen Prozentpunkten gegenüber früheren Umfragen muss der Kanzler-Kandidat wohl sich selbst und seinem Wortbruch zum Umgang mit der AfD ankreiden.
Ein Drittel der Stimmen geht an die extremen Ränder
Dennoch hat Friedrich Merz das Ziel erreicht. Er hat den Auftrag zur Regierungsbildung. Es spricht alles dafür, dass Deutschland von einem Parteienbündnis aus der demokratischen Mitte regiert werden kann. Allerdings ist auch klar: Ein Drittel der Stimmen ging an Parteien an den extremen Rändern. Vor allem die Wirkung der Linken und der AfD auf junge Wähler sollte den Parteien der Mitte zu denken geben. Auch wenn Regierungsbeteiligungen der AfD oder der Linken auszuschließen sind – die Extremen stellen eine starke Opposition.
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Mehr als zwei Drittel der Deutschen hatten vor der Wahl die Sorge, dass keine stabile Regierung zustande kommt – nicht ohne Grund. Denn selbst für das aus Unionssicht favorisierte Zweier-Bündnis mit der SPD wären die Hürden hoch. Und für den Fall, dass die Grünen als dritter Partner gebraucht werden (was bis zum späten Abend noch offen war), müsste Merz nicht nur die regierungsmüden Sozialdemokraten ins Boot holen, sondern auch die Union auf schwarz-rot-grüne Linie bringen. Wobei der bisherige Scharfmacher Söder schon am Wahlabend in dieser Frage erstaunlich vernünftig klang.
Sicher ist: Die Verhandlungspartner werden mehr oder weniger dicke Scheiben von ihren Wahlversprechen abschneiden müssen. In der Steuerpolitik, bei der Migrationsbeschränkung, beim Bürgergeld, einer möglichen Wehrpflicht und beim Klimaschutz wird es ohne Kompromisse keinen Millimeter weiter gehen. Und auf eine Lockerung der Schuldenbremse kann der CDU-Chef seine Partei jetzt schon mal einstimmen.
Die neue Regierung wird die Stabilität und die Kraft brauchen, nach außen und innen entschieden zu handeln. Und dafür ist vor allem eines wichtig: Klartext. Bei heiklen Themen wie Rente, Verteidigungsetat, Pflegekosten kam vor der Wahl nicht die ganze Wahrheit auf den Tisch. Was unter Merkel und Scholz kaum gelang, ist dringend fällig. Reformen wagen und offen, aber besonnen die notwendigen Einschnitte kommunizieren. Es gibt Politiker in der Union und in der SPD, denen zuzutrauen ist, die Menschen auf diesen Weg mitzunehmen. Friedrich Merz allerdings muss in diesem Punkt seine Fähigkeiten noch unter Beweis stellen.