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Großer JubelComeback der Linken - Dämpfer für das BSW

Lesezeit 4 Minuten
Die Linke feiert mit Heidi Reichinnek (rechts)

Die Linke feiert mit Heidi Reichinnek (rechts) ihr gutes Abschneiden.

Die Linken sind völlig aus dem Häuschen, während das BSW um den Einzug in den Bundestag bangt. Über einen Wahlabend, den so vor kurzem kaum jemand erwartet hätte.

Die Linke wieder im Bundestag, das Bündnis Sahra Wagenknecht zittert: Darauf hätten vor drei Monaten nur wenige gewettet. „Die Linke lebt“, ruft Spitzenkandidat Jan van Aken einer jubelnden Menge zu, die ihr Glück kurz nach 18 Uhr kaum fassen kann: Die Linke nach ersten Hochrechnungen zwischen acht und neun Prozent.

Co-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek wischt sich auf der Bühne die Tränen aus dem strahlenden Gesicht, die Arena Berlin im Osten der Hauptstadt tobt. „Was ist das für ein fulminantes Erlebnis“, ruft Reichinnek ihren Anhängern zu. Ihre Linke hat das geschafft, was vor kurzem noch undenkbar schien: Nach dem Absturz 2021, als die Partei mit 4,9 Prozent nur über Direktmandate knapp in den Bundestag einzog, ist ihr das Ticket ins Parlament nach diesem Wahlsonntag nicht mehr zu nehmen.

„Wir schaffen das“

Ganz anders die Lage beim BSW, das sich vor gut einem Jahr von der Linken abgespalten hat: Nur 4,7 bis 5,0 Prozent in den ersten Prognosen, das ist gefährlich nahe an der Fünf-Prozent-Hürde. Laut geklatscht wird bei der Wahlparty im früheren Berliner Kino Kosmos an der Karl-Marx-Allee trotzdem. Die junge Partei macht sich Mut. „Ich sag's mal so: Einfach kann jeder“, sagt Generalsekretär Christian Leye kurz nach 18.00 Uhr. Die Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali treibt das Publikum an: „Wir schaffen das, wir kommen da rein.“

Gegen 18.30 Uhr kommt Parteigründerin Sahra Wagenknecht auf die Bühne. Sie spricht ruhig. „Wir müssen jetzt wirklich noch ein paar Stunden mit Unsicherheit verbringen“, sagt Wagenknecht. „Aber ich sage ganz klar, selbst wenn es nicht reicht, dann ist das eine Niederlage, aber es ist nicht das Ende des BSW.“

Warum hat es bei der Linken geklappt?

Klar ist an diesem Abend, dass die Linke weit besser abgeschnitten als vor wenigen Wochen gedacht - und das BSW schlechter. Dafür kam viel zusammen. Im Oktober übernahm bei der Linken ein neues Führungsduo, der locker auftretende ehemalige Bundestagsabgeordnete van Aken und die junge Strategin Ines Schwerdtner. Im November starteten die drei Parteigranden Gregor Gysi (77), Bodo Ramelow (69) und Dietmar Bartsch (66) die „Mission Silberlocke“, um mit drei Direktmandaten den Einzug ins Parlament zu sichern. Da lag die Linke in Umfragen noch bei drei Prozent.

Die „Silberlocken“ waren ein genialer PR-Schachzug, der die drei älteren Herren zu Tiktok-Stars machte. Noch mehr Erfolg in sozialen Netzwerken hatte die junge Linken-Gruppenchefin Reichinnek, die neben van Aken als Spitzenkandidatin ins Rennen ging. Ihre Wutrede gegen die gemeinsame Abstimmung der Union mit der AfD wurde millionenfach geklickt.

Diese Brandmauer-Debatte mobilisierte Tausende, in die Linke einzutreten - viele aus Frust über SPD und Grüne. Der Mitgliederboom half im Haustürwahlkampf. Nach van Akens Worten klopften die Genossinnen und Genossen an mehr als 600.000 Türen. Mit einer „Mietwucherapp“ und einem Heizkostenrechner erreichte die Linke Zehntausende Menschen mit praktischer Lebenshilfe. „Perfektes Teamwork“, sagt van Aken am Wahlabend.

Warum schnitt das BSW schlechter ab?

Beim BSW - bei den Wahlen in Ostdeutschland im Herbst noch zweistellig - kriselte es derweil, obwohl Wagenknecht auf ihrer „Sahra-kommt“-Tour durch Deutschland viele Leute anzog. Bei der Wahlparty im Kosmos wiederholt sie, andere politische Kräfte hätten versucht, das BSW „mit allen Mitteln“ aus dem Bundestag herauszuhalten. „Ich finde, es ehrt uns schon, mit welchem Aufwand sie uns bekämpft haben“, sagt Wagenknecht.

Dazu kamen eigene Probleme in der jungen Partei. In Hamburg wurde mit zwei Mitgliedern gestritten. Der BSW-Europaabgeordnete Friedrich Pürner verließ die Partei mit Vorwürfen, es herrsche eine „Kultur des Misstrauens und der Überwachung“. In Bayern gingen Mitglieder aus Protest gegen die Abstimmung des BSW mit Union und AfD beim „Zustrombegrenzungsgesetz“.

Wagenknechts strikte Migrationspolitik kam nicht überall an. Zugleich zog ihr eigentliches Topthema Ukraine-Frieden und Verständigung mit Russland weniger angesichts der plötzlich so unübersichtlichen Weltlage. Ihr Mobilisierungsmotor stotterte.

„Ich wusste, das wird eine knappe Kiste“, sagt Parteivize Shervin Haghsheno am Rande der Wahlparty im Kosmos. An der Spitzenkandidatin lag es aber aus seiner Sicht nicht. Wagenknecht habe Übermenschliches geleistet. „Ich weiß wirklich nicht, wie sie das macht.“ (dpa)