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Rundschau-Debatte des TagesWie kam es zum Brückendrama um Rahmede?

Lesezeit 4 Minuten
Rund einen Monat nach der Sprengung der A45-Talbrücke Rahmede in Lüdenscheid will die Stadt nach anderthalb Jahren belastendem Umleitungsverkehr ein komplettes Lkw-Durchfahrtsverbot verhängen.

Rund einen Monat nach der Sprengung der A45-Talbrücke Rahmede in Lüdenscheid will die Stadt nach anderthalb Jahren belastendem Umleitungsverkehr ein komplettes Lkw-Durchfahrtsverbot verhängen.

Auf der „Sauerlandlinie“ muss der Verkehr seit 18 Monaten bei Lüdenscheid abfahren und sich über überfüllte Ausweichstrecken quälen, bis die inzwischen gesprengte Talbrücke Rahmede neu gebaut ist. Trägt die Politik daran eine Mitschuld? Und was wusste Hendrik Wüst?

Das Problem kennt ganz NRW, und das Sauerland leidet besonders darunter: Seit der Vollsperrung der maroden und inzwischen gesprengten A45-Talbrücke Rahmede im Dezember 2021 stecken Lüdenscheid und die Umgebung dieser Stadt im Verkehrschaos.

Wie konnte das geschehen?

Mit dieser Frage beschäftigt sich im Landtag seit Anfang Mai ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA), der an diesem Montag mit der Zeugenbefragung, also mit seiner eigentlichen Aufklärungsarbeit beginnt.

Warum gibt es diesen Ausschuss im Landtag?

Der U-Ausschuss „Brückendesaster und Infrastrukturstau“ wurde auf Antrag von SPD und FDP eingesetzt. Er soll unter anderem die Frage klären, warum die Sanierung oder der Neubau einer 450 Meter langen Autobahnbrücke so lange verschoben wurde, bis der Einsturz drohte. Schon 2014, also in der Regierungszeit von SPD und Grünen, wurde entschieden, die Rahmedetalbrücke nicht zu sanieren, sondern auf einen Neubau zu warten. Dieser Neubau sollte 2019 beginnen, wurde dann jedoch verschoben, und in dieser Zeit war der heutige NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) Verkehrsminister. Die Opposition dürfte also besonders Wüsts Rolle unter die Lupe nehmen. Der CDU-Politiker bestreitet persönliche Versäumnisse aus seiner Ministerzeit. Die Entscheidungen seien stets von Fachleuten in der Verwaltung getroffen worden. Heute wissen wir: Es waren Fehlentscheidungen.

Geht es dabei nur um die Rahmedetalbrücke?

Nein. Der Ausschuss beschäftigt sich mit dem baulichen Zustand ähnlicher Brücken im Land insgesamt – und der ist besorgniserregend. „NRW ist ein Hotspot in Bezug auf sanierungsbedürfte Autobahnbrücken“, schrieb Landesverkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) vor wenigen Wochen in einem Brief an seinen Amtskollegen im Bund, Volker Wissing (FDP). Krischer hält Wissing vor, dass es ihm nicht gelinge, die Brücken zügig zu sanieren. In der Zuständigkeit der Autobahn GmbH des Bundes befänden sich 873 Brücken in NRW, die in den kommenden zehn Jahren saniert werden müssten. 2021 seien aber nur 31 und im Jahr 2022 nur 43 saniert worden.

Die Ergebnisse einer Studie, die die Industrie- und Handelskammern am Rhein in Auftrag gegeben hatten, lassen befürchten, dass „Rahmede“ überall sein könnte. Allein rund 1000 Brücken im Rheinland seien überlastet und könnten dem Verkehr langfristig nicht mehr standhalten, warnte der Präsident der Niederrheinischen Industrie- und Handelskammer (IHK), Werner Schaurte-Küppers, im Mai. Der Zustand der Querungen sei „desaströs“. Wenn es gut läuft, dann könnte dieser Ausschuss also wichtige Erkenntnisse liefern über die künftige Planung und die Pflege von Brücken und Straßen. Wird Hendrik Wüst persönlich aussagen müssen? Das gilt als sicher, und vermutlich wird ihn der Ausschuss sogar mehrfach zur Aussage zitieren. Welche Zeugen werden zuerst vernommen? Die Vernehmung startet am Montag mit der Befragung von drei Professoren: Matthias Kraus (Experte für Stahlbau), Gero Marzahn (Experte für den Erhalt von Brücken) und Reinhard Maurer (Betonbau- und Statik-Experte).

Wer leitet den U-Ausschuss?

Zum ersten Mal in NRW ist das ein Grünen-Politiker: Stefan Engstfeld (53), Landtagsabgeordneter aus Düsseldorf. Er hat vor Beginn seiner Arbeit versprochen, dass in diesem Ausschuss niemand befürchten müsse, „vorgeführt“ zu werden. Engstfeld bittet die Mitglieder auch darum, die Kosten im Blick zu haben. Ein U-Ausschuss kostet die Steuerzahler nämlich rund eine Million Euro pro Jahr. Was ist ein U-Ausschuss überhaupt? Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) gilt gemeinhin als „schärfstes Schwert“ des Parlaments und insbesondere der Oppositionsfraktionen. Sie nutzen ihn nicht nur zur Aufklärung, sondern auch als politisches Kampfinstrument. Ein PUA hat gerichtsähnliche Befugnisse wie die Akteneinsicht und die Zeugenvernehmung.

Bei Falschaussagen drohen empfindliche Strafen bis hin zu Haft. Zeugen können sich von einer Anwältin oder einem Anwalt unterstützen lassen. Ein PUA verkündet aber kein Urteil. Die Erkenntnisse werden zum Schluss in einem Bericht zusammengefasst. Spätestens zum Ende einer Legislaturperiode endet ein U-Ausschuss. Ein neuer Landtag kann aber einen neuen PUA einsetzen, der die Arbeit des Vorgängers fortsetzt.

Derzeit arbeiten im Düsseldorfer Landtag zwei weitere U-Ausschüsse. Einer beschäftigt sich mit den Fällen von Kindesmissbrauch auf einem Campingplatz bei Lügde in Ostwestfalen, der zweite mit der Aufarbeitung der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021.


SCHARFES SCHWERT

Über U-Ausschüsse sind in NRW schon Minister gestolpert. In der vergangenen Legislaturperiode traf es Agrarministerin Christina Schulze Föcking (Foto) und Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (beide CDU). Der U-Ausschuss zur Aufarbeitung der Kölner Silvesternacht 2015 setzte Ex-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ihren Innenminister Ralf Jäger (beide SPD) unter Druck. (mk)


Durchfahrtsverbot

In Lüdenscheid gilt seit Samstag ein Durchfahrtsverbot für schwere Kraftfahrzeuge. Vom heutigen Montag an will die Polizei die Einhaltung an mehreren Stellen in der Stadt stichprobenartig kontrollieren – rund um die Uhr. Das Verbot gilt für Kraftfahrzeuge ab 3,5 Tonnen Gewicht. Ausgenommen sind der regionale Güterverkehr sowie alle Fahrzeuge mit Start oder Ziel Lüdenscheid, also auch etwa Wohnmobile. Wird ein Transitlaster erwischt, kostet das ein Bußgeld von 100 Euro plus Verwaltungsgebühr.

Abgas- und Lärmbelästigung machen den Anwohnern schwer zu schaffen. Fast pausenlos donnern rund 5500 Lkw täglich an ihren Häusern vorbei, die wegen der gesperrten A45 den Weg durch das Stadtgebiet nehmen. Die Stadtverwaltung hofft nun auf spürbare Erleichterungen. (dpa)