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Nach der BetriebsversammlungDer große Frust der Mitarbeiter bei Ford in Köln

Lesezeit 5 Minuten
Ford in Niehl

Arbeiter vor dem Fordwerk in Köln

Köln – Die Stimmung ist am Tag der Betriebsversammlungen für die 18.000 Ford-Mitarbeiter in Köln gedrückt. Jeder im Werk wartet auf den großen Schnitt, der als Erstes zwischen 3000 und 4000 Kollegen am Standort Köln treffen wird. Aber wen?

„150 Fiesta weniger am Tag von 1300, das steht ja schon fest“, grummelt ein Mann auf dem Weg zu seiner Schicht. Auch wenn Ford das als übliche Nachfrageschwankung bezeichnet, die dem Brexit-getrübten Markt in England zuzuschreiben sei, ist das ein weiteres Negativsignal für die Belegschaft.

Ford in Niehl (1)

Arbeiter am Tor in Köln

Als Angestellter einer Montagefirma, die für den Cockpitbau zuständig ist, hält sich der 55-Jährige auf dem Weg zur Arbeit nicht für konkret betroffen. Aber er weiß auch, wenn schon Angestellte von Ford entlassen werden, dann wirkt sich das bald auch auf die Zulieferfirmen im Supplier Park aus.

Bei der Betriebsversammlung im ehemaligen Motorenwerk, wo eigentlich nur 5000 Menschen Platz haben sollten, müht sich Ford-Chef Gunnar Herrmann, vor viel, viel mehr Zuhörern den Glauben an den Standort Köln zu retten. Wie schon am Morgen bei einer Betriebsversammlung der Produktentwickler in Merkenich skizziert Herrmann eine Firma, die sich für die Zukunft aufstellt. Kein einfaches Unterfangen, wenn in einem Atemzug zu erklären ist, wie es überall mit der Autoindustrie rapide bergab geht.

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„Nichts Neues“

„Ich habe nicht weiter zugehört. Es gab doch nichts Neues. Und mir war es wichtiger zu hören, was die Kollegen denken“, sagte ein Arbeiter. Nach 14 Uhr verlassen Hunderte die Versammlung. Sie wollen und müssen pünktlich zum Schichtwechsel an ihrem Arbeitsplatz sein. „Nichts Neues“, fasst auch ein 52-Jähriger das Gehörte zusammen. Als Alleinverdiener hat er Frau und Tochter zu ernähren. Seit 30 Jahren ist er im Unternehmen und hofft, nicht unmittelbar betroffen zu sein: „Es ist doch traurig genug, auch wenn es einen Kollegen trifft.“

Es gibt viele im Werk, die schon seit Jahren Autos bauen und auch nichts anderes gelernt haben. Ein 48-Jähriger gehört dazu. „Ich habe vielleicht Glück, und meine zu 70 Prozent geschädigte Lunge verhilft mir zu einer Arbeitsunfähigkeit. Denn hier wird ja wohl doch irgendwann die gesamte Produktion nach Rumänien verschoben.“

Frust vieler Mitarbeiter ist groß

So überzeugend war die Rede von Gunnar Herrmann also nicht. Und große Chancen auf dem Arbeitsmarkt rechnet sich der Mann in seinem Alter auch nicht mehr aus: „Von dem, was meine Frau als Friseurin verdient, können ich und die beiden Kinder nicht leben.“ Der Frust vieler Mitarbeiter ist groß.

Vorboten für die Schließung gab es viele. Für eine Ford-Mitarbeiterin war seit dem Kommentar von Ford-Boss Jim Hackett zur Bilanz im vorigen Herbst klar, dass Stellenstreichungen folgen werden. Dann wurde das Controlling schärfer. „Einige Arbeiten, für die früher zehn Leute notwendig waren, müssen heute mit sechs Mann erledigt werden,“ sagt ein 48-Jähriger.

Die Abfindungsangebote finden viele gar nicht so üppig, auch wenn von Angeboten von mehr als 30.000 Euro die Rede ist. „Da muss man doch mal sehr genau rechnen, ob man mit dem, was man dann noch alles abgezogen bekommt, auch später über die Runden kommt“, sagt ein 57-Jähriger. Ford zeigte sich gestern weiter zuversichtlich, die aus den USA vorgegebene Stellenstreichung größtenteils auf der Basis eines freiwilligen, vorzeitigen Ausscheidens regeln zu können.

Viele Mitarbeiter wollen nach dem Besuch der Betriebsversammlung, die eigentlich nur eine Routineveranstaltung sein sollte, aber an diesem Tag besondere Bedeutung hatte, erst einmal mit Niemandem sprechen, der nicht zum Unternehmen gehört. Vom Glanz der Präsentation des neues Fiesta-Modells, die vor mehr als zwei Jahren in der gleichen Halle pompös inszeniert wurde, ist überhaupt gar nichts zu spüren.Vor dem Hintergrund der insgesamt angespannten Lage in der Autoindustrie kann auch Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer wenig Zukunftsträchtiges in der Strategie des Konzerns erkennen. „Einfach nur Arbeitsplätze abzubauen, ist ein Akt der Hilflosigkeit“, sagt der Professor von der Universität Duisburg-Essen. „Dieser Versuch, sich gesund zu schrumpfen, ist keine nachhaltige Lösung.“ Er vermisse bei Ford strategische Lösungen.

So hält Dudenhöffer den Verkauf des Pkw-Geschäfts von Ford in Europa für einen denkbaren Weg – nach dem Vorbild von General Motors, das sich von seiner verlustreichen Marke Opel trennte und an den französischen PSA-Konzern (Peugeot, DS, Citroen) verkaufte.

Der deutsche Autobauer verzeichnete in diesem Jahr erstmals seit 1999 wieder einen Gewinn – durch einen Sanierungsplan, der mit massiven Kostensenkungen verbunden war. Opel nutzt inzwischen PSA-Plattformen. Aber es gibt auch neue Perspektiven: Unter Regie von PSA will Opel zum Beispiel einen Neustart auf dem russischen Markt wagen, von wo sich der Autobauer 2015 nach einer Absatzkrise zurückgezogen hatte.

Nach Ansicht Dudenhöffers kommt auch Ford in Europa nicht um eine Neuaufstellung und Kooperationen mit anderen Herstellern umhin. „Bei der Profitabilität sieht es bei Ford in Europa sehr schwer aus“, so Dudenhöffer. Der Gewinnanteil, den Europa bei Ford beitrage, habe im Fünf-Jahres-Schnitt zwischen 2014 und 2018 gerade einmal ein Prozent betragen. So gesehen sei der Markt Europa für Ford „wirklich unwichtig“, so der Experte. Zugleich habe Ford europaweit aber 52 000 Mitarbeiter, das seien 27 Prozent der weltweiten Belegschaft.

Während die Mitarbeiter in Köln am Dienstagmorgen mit ungewissem Gefühl in die Betriebsversammlungen gingen, verbreitete der Konzern mit einer Pressemitteilung Aufbruchstimmung: Darin kündigte er an, seine Modellpalette zu elektrifizieren. Zum Start dieser Initiative stellte Ford einen sogenannten Mild-Hybrid für Fiesta und Focus in Aussicht. Dieser soll Anfang 2020 in den Handel kommen. Dafür erweitern die Kölner ihren 1,0 Liter großen Turbo-Dreizylinder-Benziner um einen elektrischen Startergenerator mit 48-Volt-Technik. Der helfe beim Anfahren, verlängere die Start-Stopp-Phasen und könne beim Bremsen mehr Energie zurückgewinnen.