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„Wir haben den Konsens gesucht“Streit zwischen IHK Köln und IHK NRW ist verhärtet

Lesezeit 10 Minuten

IHK-Präsidentin Nicole Grünewald und Hauptgeschäftsführer Uwe Vetterlein wollen die Interessen der Firmen in der Region gegenüber NRW künftig direkt vertreten.

Die IHK Köln ist eine der fünf größten Kammern der Republik. Diese hat sich jetzt mit den 15 anderen Kammern in NRW entzweit.

Ralf Arenz, Jens Meifert und Tobias Wolff sprachen mit IHK-Präsidentin Nicole Grünewald und Hauptgeschäftsführer Uwe Vetterlein.

Die Kölner Kammer ist mit einigem Getöse in den Medien aus der IHK NRW ausgetreten. Musste das sein?

Grünewald: Das „mediale Getöse“ rund um unseren Austritt ist sicher nicht von uns initiiert worden. Doch zu den Gründen: Das Präsidium der IHK Köln ist 2020 mit mir als Präsidentin angetreten, um die IHK Köln politischer auszurichten und der Wirtschaft in der Region wieder eine starke Stimme zu geben. Dafür sind wir damals gewählt worden. Und das tun wir jetzt. Wir haben dazu eine sehr aktive Vollversammlung, die klare Resolutionen auf der Höhe der Zeit verabschiedet. Die erste Resolution, dass wir den Kohleausstieg 2030 nicht unterstützen, hatten wir bereits im Frühjahr 2022.

Das war vor dem Revierertrag.

Grünewald: Genau. Da war von dem „Reviervertrag 2.0“ noch keine Rede. Damals waren sich auch die IHKs noch einig. Zusammen mit der IHK Aachen und der IHK Mittlerer Niederrhein haben wir der Öffentlichkeit im April 2022 eine erste Studie des Instituts SME präsentiert, nach der es bei einem Kohleausstieg 2030 zu Energieengpässen kommt. Hinzu kam dann noch der Gas-Engpass im Zuge der Ukrainekrise. Wir haben dann die Linie gehalten, als der Reviervertrag 2.0 mit dem Ausstiegsdatum 2030 beschlossen werden sollte. Dabei hat uns eine Studie des EWI der Universität Köln bestärkt, nach der es einen massiven und in der kurzen Zeit nicht realisierbaren Zubau bei den Erneuerbaren Energien und Gaskraftwerken geben müsste, um den Strom aus Kohle zu kompensieren.

Haben Sie das gegenüber der Landesregierung deutlich gemacht?

Grünewald: Wir haben gegenüber der Politik seit Anfang 2022 immer betont, dass unsere Unternehmen wissen müssen, wie dieser Ausstieg gelingen soll. Sonst könnten wir den vorgezogenen Ausstieg nicht unterstützen. Das Wichtigste für uns ist die Energiesicherheit für unsere Unternehmen. Denn sonst ist der Wirtschaftsstandort in großer Gefahr. Wir haben vor dem Unterzeichnungstermin auch in Gesprächen mit der Landesregierung mehrfach nach einer entsprechenden Strategie gefragt. Die anderen IHKs und die Landesregierung wussten also schon im Vorfeld, dass wir ohne aussagekräftige Strategie den Vertrag nicht unterschreiben können.

Vetterlein: Wir waren uns mit den anderen Kammern in der Sache einig, bis es zur Entscheidung kam, ob wir den Reviervertrag unterschreiben oder nicht. Es gab auch Ende 2022 eine Mitgliederversammlung von IHK NRW, an der ein Vertreter eines großen Energiekonzerns teilgenommen hat. Er hat sehr viele Bedingungen genannt, unter denen ein Ausstieg 2030 gelingen könnte. Gefragt, ob diese Bedingungen eintreten würden, räumte er ein, das sei unrealistisch. Das hat allerdings nicht dazu geführt, dass IHK NRW insgesamt der Position der drei Kammern gefolgt ist. Als dann im Reviervertrag der Satz stand, dass die Region einen Ausstieg 2030 ausdrücklich unterstützt, haben wir nein gesagt. Damit begann der Dissens.

Vetterlein: In unseren ganzen Gesprächen haben wir die Jahreszahlen 2033 oder 2034 gehört, wenn die Voraussetzungen stimmen.

Fühlen Sie sich von den anderen IHKs im Regen stehen gelassen?

Vetterlein: Na, ja.

Grünewald: Es gab von den anderen Kammern den Vorwurf, wir hätten „einen Alleingang“ gemacht. Das kann man so nicht stehen lassen. Wir waren anfangs gemeinsam unterwegs, und wir sind nicht diejenigen, die ihre Haltung geändert haben. Es gab auch gar keinen Grund dafür. Wir haben viele Gespräche mit verschiedenen Playern geführt und gefragt, ob jemand einen Kohleausstieg 2030 bei gleichzeitiger Energiesicherheit für realistisch halte. Die Antwort war immer, dass das wohl nicht gelingen kann. Wenn die Landesregierung uns dennoch eine plausible Strategie hierzu vorgelegt hätte – das hat sie übrigens bis heute nicht –, wären wir zur Unterschrift bereit gewesen.

Wann wäre denn der geeignete Zeitpunkt?

Vetterlein: In unseren ganzen Gesprächen haben wir die Jahreszahlen 2033 oder 2034 gehört, wenn die Voraussetzungen stimmen.

Nur um den Kohleausstieg geht es im Dissens aber nicht.

Grünewald: Wir wurden dafür kritisiert, dass wir bei IHK NRW immer wieder politische Themen auf die Tagesordnung gesetzt haben. Wir haben eine Resolution angestoßen, dass NRW Industrieland bleiben solle, und wollten uns mit allen gemeinsam damit an die Landesregierung wenden. Der Resolution standen dann sehr langwierige Prozesse bei IHK NRW entgegen: Erst wird auf Fachebene diskutiert, dann unter den Hauptgeschäftsführern und erst dann geht es in die Mitgliederversammlung. Diese Prozesse können sinnvoll sein, wenn man viel Zeit hat. Die haben wir aber in diesem Fall nicht. Die De-Industrialisierung in NRW läuft bereits auf Hochtouren. Es ging uns immer um die Sache. Deshalb hat es uns sehr überrascht, dass der Dissens in politischen Themen dann auf eine persönliche Ebene gezogen wurde. Da gehört er nicht hin.

Vetterlein: Wir fordern von anderen in Politik und Verwaltung schnellere Prozesse. Da müssen wir auch selbst schnell sein. Im Ergebnis stehen Sie allein da.

Was können Sie so bewirken?

Grünewald: Wir haben den Konsens gesucht, aber wir waren in unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs. Nun gibt es da einen Bruch, der sich ausgerechnet am Reviervertrag 2.0 festmacht. Dabei ist es doch mittlerweile Konsens, dass 2030 nicht realistisch ist. Wir finden es richtig, dass wir Klartext geredet haben. Unsere Vollversammlung ist hier mit uns einer Meinung. Wir haben auch viel positives Feedback von Mitgliedsunternehmen bekommen. Wir sind von Seiten der IHK Köln in ständigem Diskurs mit der Politik auf allen Ebenen und weiten das jetzt noch aus. Die Expertise haben wir als größte Kammer in NRW im Haus. Wir stellen jetzt auch in NRW um auf „Direkt-Vertrieb“. Wir sind außerdem nicht alleine. Wir sind nach wie vor in zahlreichen Initiativen engagiert, Metropolregion Rheinland, Zukunftsagentur Rheinisches Revier, Regio Köln-Bonn und vielen mehr.

Die IHK Köln wird den Kohleausstieg 2030 allein nicht verschieben können.

Vetterlein: Wir werden ihn nicht allein verschieben. Wir unterstützen natürlich die Transformation. Und wir sprechen auch Probleme ehrlich an. Das zeigt Wirkung. Bei der Unterzeichnung des Reviervertrags haben sowohl Ministerpräsident Hendrik Wüst als auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ihre Redemanuskripte geändert. Herr Habeck hat erstmals öffentlich gesagt, dass der Ausstieg ein paar Jahre länger dauern könne, weil Energiesicherheit wichtiger sei.

Grünewald: Es geht auch um Vertrauen und um Authentizität. Wir haben uns vorgenommen, die Wahrheit zu sagen.

Und das machen die anderen Kammern nicht?

Grünewald: Die anderen IHKs vermeiden bisher eine klare Positionierung. Wir haben den Anspruch, die starke Stimme unserer Wirtschaft zu sein.

Vetterlein: Wir glauben, dass wir eher Vertrauen gewinnen, wenn wir als ein ehrlicher Makler der Unternehmen, die gerade Investitionsentscheidungen treffen müssen, deren Interessen öffentlich sichtbar vertreten.

Ist denn noch ein Konsens mit den anderen Kammern möglich?

Grünewald: Es gibt einen erheblichen Vertrauensverlust. Es wurde uns gesagt, dass wir keine Anträge mehr stellen sollen, mir wurde gesagt, ich solle darüber hinaus die Vorstandstätigkeit bei IHK NRW einstellen. Dann hätten wir keine Möglichkeit mehr gehabt, relevante Themen zu platzieren. An dem Punkt haben wir gesagt, wenn nicht gewünscht ist, dass die IHK Köln sich einbringt, dann nehmen wir den Beitrag von immerhin 400 000 Euro pro Jahr und machen es besser im „Direktvertrieb“. Wenn wir wieder in der gleichen Geschwindigkeit unterwegs sind und unsachliche Angriffe auf die IHK Köln und ihre Organe unterbleiben, können wir uns eine Zusammenarbeit vorstellen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das nicht der Fall.

Das macht aber mehr Arbeit.

Vetterlein: Die für unsere Mitgliedsunternehmen relevanten Themen werden ohnehin alle bei uns im Haus von unseren Experten bearbeitet. Wir werden trotzdem für die Arbeit mit der Landesregierung personell aufstocken. In den letzten zweieinhalb Jahren haben wir das Haus strukturell ganz neu aufgestellt. Das war eine große Umstellung für die Kolleginnen und Kollegen, es haben sich Abteilungen, Arbeitsweisen und Prozesse geändert.

Wie ist denn generell die Stimmung?

Grünewald: Als wir gewählt wurden, gab es Unruhe, weil wir ja angekündigt hatten, dass wir die IHK Köln transparenter, digitaler und kostenbewusster aufstellen wollen. Uns war schnell klar, dass das in den alten Strukturen nicht funktionieren kann. Deshalb haben wir im Zuge des Hgf-Auswahlprozesses auch nach einem Hauptgeschäftsführer oder einer Hauptgeschäftsführerin gesucht, die Erfahrung mit Change Management hat. Uwe Vetterlein hatte die IHK Darmstadt damals in acht Jahren neu strukturiert. Wir wollten unsere neuen Strukturen jedoch so schnell wie möglich. Nach nun zweieinhalb Jahren steht die „neue IHK“ und wir haben ein sehr gutes Team. Deshalb hätten wir den Mitarbeitenden auch gewünscht, dass jetzt erstmal Ruhe ist. Jetzt kommt wieder etwas Neues. Das ist bei unseren Unternehmen jedoch nicht anders. Durch die Krisen und die Transformation müssen sie sich auch permanent umstellen

Und dann bauen Sie noch das Gebäude um.

Grünewald: Ja, die IHK Köln der Zukunft. Die Vollversammlung hat Ende 2022 mit großer Mehrheit für die Modernisierung unseres IHK-Gebäudes gestimmt. Das war die richtige Entscheidung. Im damals erworbenen Lofthaus gab es keine Veranstaltungsflächen und keinen Platz für unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Weiterbildung und keine Veranstaltungsflächen. Man hätte alles zusätzlich anmieten müssen. Das wäre letztlich teurer gewesen als die Sanierung hier für etwa 100 Millionen. Das ist auch weniger, als ein alternatives Gebäude im Gerling-Quartier gekostet hätte.

Vetterlein: Wir haben dann alle unter einem Dach. Zurzeit befindet sich unsere Weiterbildung in einem gemieteten Gebäude in Braunsfeld. Dort haben wir einen Jahresaufwand von 400.000 Euro, der Mietvertrag läuft bis Ende 2024. Eine Alternative in der Nachbarschaft hätte 800.000 Euro Miete gekostet. Das sparen wir künftig ein.

Bleibt es bei 100 Millionen?

Grünewald: Wir monitoren das natürlich ständig. Der große Vorteil ist, dass wir hier mit dem „Haus der Wirtschaft“ an einem für alle sehr gut erreichbaren Standort zentral im Herzen von Köln bleibende Werte schaffen.

Vetterlein: Wir bauen umfangreich um, schaffen auch Möglichkeiten für neue Arbeitsformen, moderne Schulungs- und Veranstaltungsräume, und nutzen den Platz, den wir hier haben, optimal aus durch Erweiterungen.

Sie ziehen um die Ecke in ein Interimsquartier.

Grünewald: Ja, das war ein Glücksfall. Kommendes Jahr wird das Gebäude 150 Meter weiter in der gleichen Straße frei, in dem jetzt noch die Commerzbank sitzt. Wir ziehen im Herbst 2024 von hier dorthin – und unsere Weiterbildung folgt dann Ende 2024. Wir sitzen ab dann also alle unter einem Dach. Wir sind gut im Zeitplan und stellen für das Gebäude hier im Frühjahr 2024 den Bauantrag.

Wo finden ihre traditionellen Neujahrempfänge demnächst statt?

Vetterlein: Für 2025 haben wir bereits die Flora reserviert. Unser Neujahrempfang 2024 wird noch hier Unter Sachsenhausen stattfinden. Wir freuen uns sehr, dass die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Januar unser Ehrengast sein wird.

Wann ziehen Sie wieder zurück?

Vetterlein: Wenn alles glatt läuft, 2028. Das wäre dann zwei Jahre früher als ursprünglich geplant.


Zur Person

Dr. Nicole Grünewald wurde am 1. Februar 1973 in Köln geboren. Sie studierte Publizistik/Kommunikationswissenschaft, Anglistik und Germanistik an Uni Münster. Nach freiberuflicher Tätigkeit ist sie seit 1998 ist sie Geschäftsführende Gesellschafterin der Werbeagentur The Vision Company. 2009 wurde sie in die Vollversammlung der IHK Köln gewählt. Seit 2020 ist sie Präsidentin der Vollversammlung.

Uwe Vetterlein wurde am 9. Dezember 1960 in Nürtingen/Neckar geboren. Der promovierte Volkswirt war von 1996 bis 2003 Geschäftsführer der IHK Köln für den Bereich Standortpolitik, Unternehmensförderung, Handel und Verkehr. Danach leitete er bis zu seinem Wechsel als Hauptgeschäftsführer der Kölner Kammer im Jahre 2021 die IHK Darmstadt. Vetterlein lebt seit langem in Köln.