Ford-Betriebsrat im Interview„Das Hamsterrad dreht sich schneller“
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Köln – Im Büro von Ford-Betriebsrat Martin Hennig hängt eine Urkunde anlässlich seiner 45-jährigen Betriebszugehörigkeit. Jetzt zieht er sich zurück. Den Betriebsratsvorsitz am Kölner Standort mit 14 000 Mitarbeitenden hat der 62-Jährige an Benjamin Gruschka (41) übergeben und so den Generationswechsel im Gremium vollzogen. Mit beiden sprach Ralf Arenz.
Herr Hennig, ist das der richtige Zeitpunkt für den Wechsel?
Hennig: Ja, nach 46 Jahren im Unternehmen und 42 Jahren im Betriebsrat entspricht das meiner persönlichen Lebensplanung. Ich möchte mehr Zeit mit meiner Familie verbringen! Es sähe vielleicht auch etwas komisch aus, wenn im Zuge des Umbaus bei Ford und der Stellenstreichungen die Mitarbeitenden, die älter als 60 Jahre alt sind, das Unternehmen verlassen – und der Betriebsratsvorsitzende bleibt.
Sie scheinen sehr zufrieden mit dieser Entscheidung.
Hennig: Ich glaube, ich kann auf eine gute Bilanz als Betriebsratsvorsitzender zurückblicken. Und wir haben ein gutes Team, das die Arbeit fortsetzt.
Gruschka: Martin Hennig hat zwei Autos nach Köln geholt, zuletzt das Elektroauto, das ab 2023 gebaut wird. Das hat vor ihm noch kein Betriebsratsvorsitzender geschafft.
Herr Gruschka, sehen sie sich gut vorbereitet?
Gruschka: Ja, den Wechsel haben wir frühzeitig geplant. Ich bin seit acht Jahren im Leitungsteam von Martin Hennig. Ich bin im Vorstand der IG Metall, habe Tarifverträge ausgehandelt und die Vertrauensleute bei Ford organisiert. Anders als Martin Hennig bin ich noch nicht im Aufsichtsrat der Ford-Werke. Für diese Aufgabe habe ich noch eine Lernkurve vor mir.
Wie erfolgt der Wechsel?
Hennig: Ende des Jahres höre ich bei Ford auf. Es läuft darauf hinaus, dass Benjamin Gruschka auch den Vorsitz des Gesamtbetriebsrates der Ford-Werke übernimmt. Im Europäischen Betriebsrat ist er noch nicht vertreten. Hier wird es also eine Übergangslösung geben. Mittelfristig soll er auch hier den Vorsitz übernehmen.
Der Generationswechsel erfolgt in turbulenten Zeiten.
Gruschka: Das stimmt: Corona-Pandemie, Herausforderungen durch CO2 -Grenzwerte, Transformation der Branche hin zu Elektromobilität, Standortentscheidungen bei Ford. Zu tun gibt es genug.
Hennig: Das Hamsterrad dreht sich schneller. Eine Restrukturierung schließt sich gefühlt an die nächste an. Früher gab es einen Zyklus von etwa drei oder vier Jahren, in dem etwa über Modelle und Standorte entschieden werden musste.
Die Personen
Martin Hennig begann 1975 eine Lehre als Werkzeugmacher bei Ford in Köln. 1979 kam er in die Jugendvertretung, betreute als Betriebsrat verschiedene Bereiche, war Geschäftsführer des Gremiums unter Vorgänger Dieter Hinkelmann. Fast neun Jahre war er Chef des Betriebsrats in Köln, achteinhalb Jahre des Gesamt- und des Europäischen Betriebsrates.
Benjamin Gruschka ist seit 1997 bei Ford. Er ist gelernter Elektroniker, studierte dann BWL und Marketing. Er war in der Jugendvertretung, seit 2006 ist er im Betriebsrat, leitete seit 2012 den IG-Metall-Vertrauenskörper. Seit 2013 ist Gruschka im Vorstand der IG Metall. (raz)
In Köln ruht die Fiesta-Produktion wegen Chipmangels fast durchgehend seit Mai. Wie lange noch?
Gruschka: Am 22. November startet die Fertigung wieder, wenn auch nicht in Vollauslastung.
Wirklich?
Hennig: Der Plan scheint Stabilität zu haben. Das ist wichtig, damit wir der Belegschaft ein Signal geben können, dass es weitergeht. Die verzichtet in der Kurzarbeit ohnehin auf viel Geld, auch wenn Ford das Kurzarbeitergeld auf 80 beziehungsweise 87 Prozent für Verheiratete aufstockt, und fragt sich, ob die Firma das Problem mit den Halbleitern in den Griff bekommt. Das Management muss sich jetzt den Hintern aufreißen, damit die nötigen Teile auch geliefert werden. Wir bauen zunächst rund 1800 Fahrzeuge des alten Modells, die noch in der Fertigung sind. Das dauert etwa zwei bis drei Tage. Dann bauen wir das neue Modell, das die Kunden, die das alte bestellt hatten, zum Preis des alten Modells bekommen können.
Gruschka: In den ersten Wochen fertigen wir pro Tag zunächst 300 Autos des neuen Modells, dann 500 pro Tag. 2022 wollen wir Vollauslastung erreichen.
War die Kurzarbeit gerecht verteilt zwischen den Werken. Im rumänischen Craiova, wo Fahrzeuge auf Fiesta-Basis entstehen, gab es weniger Kurzarbeit.
Hennig: Ford hat allokiert und die Teile dorthin gegeben, wo die Fahrzeuge mit der höchsten Gewinn-Marge gebaut werden. Das waren der Kuga in Valencia und der Puma in Craiova. Dem haben wir jetzt einen Riegel vorgeschoben.
Ford will 2030 nur noch E-Pkw bauen. Sind dann fünf Motorenwerke in Europa nötig?
Hennig: Sicherlich nicht. Wir wirken auf das Management ein, dass Werke, in denen Teile des Antriebsstrangs gebaut werden, Teile für E-Autos bauen.
Gruschka: Beim Getriebewerk in Köln haben wir noch etwas Zeit für eine Transformation. Hier wird das Getriebe für den Transit gebaut. Bei Nutzfahrzeugen erfolgt der Umstieg auf reine E-Autos ja später.
Ford investiert 270 Millionen Euro in das Getriebewerk im britischen Halewood, um dort Teile für E-Autos zu bauen.
Hennig: Das ist für Halewood eine gute Nachricht, aber eine unternehmerische Fehlentscheidung. Die Technik kennen die Mitarbeitenden in Halewood nicht, es gibt aber Subventionen und einen Tarifvertrag, der geringere Löhne möglich macht. Das ist ein ungesunder Bieterwettbewerb, bei dem Standorte gegeneinander ausgespielt werden. Die Entscheidung für Halewood war eine politische Entscheidung.
Gruschka: In Halewood müssen 400 Mitarbeitende eingestellt werden, und es ist fraglich, ob es dort genug qualifizierte Leute für die Jobs gibt. In Köln gäbe es dafür schon ausreichend qualifiziertes Personal. Hier haben wir auch Prozesse im Getriebewerk gestrafft, um wettbewerbsfähiger zu sein. Da hat die Entscheidung für Frust gesorgt.
Wettbewerb droht auch dem Standort Saarlouis, wenn es um einen Nachfolger für den Focus geht.
Hennig: Saarlouis steht in direkter Konkurrenz zu Valencia, zumal Ford das Produktportfolio straffen will. Auch hier sind wir in heißen Diskussionen mit dem Management.
In Köln entsteht ab 2023 ein E-Auto auf VW-Plattform. Ist ein weiteres Modell nötig, wenn der Fiesta ausläuft?
Hennig: Der Fiesta wird gebaut, so lange der Kunde ihn kauft. Es ist ja gerade der Vorteil von Köln, dass hier auf zwei Systemen parallel Autos gebaut werden können. Ford braucht aber auf jeden Fall eine eigene, bei Ford entwickelte E-Auto-Plattform. Auch wenn wir auch auf VW-Basis bestimmt das schönere Auto bauen (lacht).
Gruschka: Wir sind bei der Elektromobilität schon etwas später dran. Die VW-Plattform sorgt dafür, dass wir nicht den Anschluss verlieren. Eine eigene Plattform braucht Ford dringend. Denn letztlich können wir die Kosten nur über die Fertigungstiefe beeinflussen. Die muss auch möglichst tief sein, um Beschäftigung zu sichern. Unser Ziel ist die Fertigung von 250 000 Autos im Jahr in Köln. Das ist dann Vollauslastung im Zwei-Schicht-Betrieb. Es gibt übrigens schon erste Arbeiten und Abrisse auf dem Werksgelände für die Fertigung des ersten E-Modells. Aber klar ist auch, dass für ein Elektroauto weniger Teile benötigt werden und weniger Mitarbeitende in der Fertigung. Auch müssen Mitarbeitende qualifiziert werden.
Fürchten Sie weitere Entlassungswellen, nachdem im Zuge des Umbaus von Ford in Deutschland schon 5400 Stellen weggefallen sind?
Hennig: Wir sehen keinen Kahlschlag. Es gibt vielleicht einen schleichenden Abbau über die Fluktuation oder Altersteilzeit. Den hat es auch zuletzt gegeben, so dass in Deutschland sogar mehr Stellen entfallen sind als ursprünglich geplant. Viel hängt in Köln vom Hochlauf der E-Mobilität ab und davon, ob es ein zweites E-Modell gibt.
Gruschka: Die Zukunft hängt außerdem an der Komponentenfertigung und an der eigenen Plattform. Die ist auch nötig zur Sicherung der Beschäftigung im Entwicklungszentrum. Hier arbeiten rund 3300 Frauen und Männer. Das sind kaum weniger als die derzeit rund 3500 in der Fiesta-Fertigung.
Hennig: Es ist uns auch gelungen, nach außen vergebene Aufträge wie etwa die Türenfertigung wieder zu Ford zu holen.