Interview

Deutsche Auto-Branche
„Am meisten unter Druck geraten wird VW“

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Ein VW vom Typ "E-up" wird an einer Stromtankstelle aufgeladen.

Auf elektrische Zukunft ausgerichtet: Volkswagen hat mit Modellen wie dem ID.4 früh die Weichen Richtung E-Auto gestellt. Nun sollen wieder Milliarden in die Verbrennertechnik fließen.

Die Auto-Branchenexpertin Helena Wisbert äußert sich im Rundschau-Interview zur Absatzkrise bei E-Autos. Haben die deutschen Hersteller zu früh auf die elektrische Modelle umgestellt?

Die Deutschen kaufen längst nicht so viele E-Autos wie vonseiten der Politik und der Hersteller erhofft. Autobranchen-Expertin Helena Wisbert, Professorin für Betriebswirtschaft an der Ostfalia-Universität in Wolfsburg und Direktorin am Duisburger CAR-Institut, sprach mit Maik Nolte über die Herausforderungen für die deutschen Autobauer.

Frau Wisbert, der Absatz an E-Autos bricht ein – liegt das wirklich vor allem am Wegfall des Umweltbonus? Oder verliert die E-Mobilität generell an Reiz?

Der Hauptgrund ist tatsächlich der Preis – zum einen durch die ausgelaufene Prämie, zum anderen sind E-Autos in den vergangenen zwei Jahren im Schnitt auch um sechs Prozent teurer geworden. Die Preisdifferenz zu vergleichbaren Verbrennern ist somit noch größer geworden, am höchsten ist sie im Volumensegment, also bei Kompakt- und Mittelklassemodellen – dort, wo das Gros der Kunden hinschaut. Der zweite Grund ist, dass diejenigen, die in Deutschland bereits ein E-Auto fahren, meist die Möglichkeit haben, private Ladepunkte zu nutzen. Um die E-Mobilität in die Masse zu tragen, brauchen wir eine bessere öffentliche Ladeinfrastruktur. Da ist noch einiges zu tun, zumal es dort noch große Preisunterschiede und wenig Transparenz gibt. Der dritte Grund ist eher deutschlandspezifisch, denn das E-Auto hat hierzulande immer noch ein Imageproblem. Auch die Politik hat einen Teil dazu beigetragen, dass der Glaube an die E-Zukunft ein bisschen verloren gegangen ist. Nicht nur mit dem Aus für den Umweltbonus: Vom ursprünglichen Ziel, dass im Jahr 2030 15 Millionen E-Autos auf Deutschlands Straßen unterwegs sein werden, spricht ja heute niemand mehr – das ist stillschweigend unter den Teppich gekehrt worden.

Auf dem Weg zum viel zitierten „Verbrenner-Aus“ nehmen deutsche Autobauer jetzt wieder den Fuß vom Gaspedal. Das wirkt, als hätten auch die Hersteller den Glauben an die E-Zukunft verloren.

Dahinter stehen vor allem betriebswirtschaftliche Kalkulationen, es geht ja nicht zuletzt um die Auslastung der Werke trotz der rückläufigen Absatzzahlen und auch darum, dass sich mit E-Autos bekanntlich nicht das ganz große Geld verdienen lässt. Da setzen die Hersteller lieber länger auf die Margen-Bringer, also die Verbrenner. Zumal deren Aus im Jahr 2035 auch längst nicht in Stein gemeißelt ist. Und sollte es dazu kommen, dass auch über den bisherigen Planungshorizont 2035 hinaus Verbrenner verkauft werden dürfen, dann ist es natürlich auch sinnvoll, da weiter zu investieren.

Rechnen Sie denn damit, dass das Verbrenner-Aus kippt?

Viele europäische Parteien, vor allem konservative, hatten das zu einem Europawahlthema gemacht und eine Abkehr gefordert. Die Europäische Kommission hatte in ihrer Verordnung ja auch schon ein Review für das Jahr 2026 festgesetzt – dann soll geprüft werden, wie der Stand ist und wo Änderungsbedarf besteht. Ich denke, dass dann die Frist für das Verbrenner-Aus nochmal verschoben wird. Für die deutsche Automobilindustrie wäre das allerdings ein Rückschlag, denn die Milliardeninvestitionen in die Entwicklung von E-Autos und Umstellung der Werke sind bereits zum großen Teil getätigt und mit Absatzzahlen von E-Autos kalkuliert, die zum Teil von einem Absatz von 70 bis 80 Prozent E-Autos in Europa in 2030 ausgehen. Und dieser Anteil wird nicht kommen, wenn das Verbrenner-Aus 2035 nicht kommt.

Könnte man also sagen, die deutschen Autobauer haben zu früh oder zu optimistisch auf die reine E-Zukunft gesetzt?

Das ist schon eine witzige Frage – denn in den vergangenen Jahren hieß es ja eher, dass sie zu spät dran seien und den Wandel zur E-Mobilität zu verschlafen drohen. Dass sich der Absatz so entwickelt, war wirklich nur schwer vorhersehbar. Womit aber alle eigentlich gerechnet hatten, war, dass sich die Elektromobilität auch ohne staatliche Unterstützung viel schneller etablieren würde, was aber nicht der Fall ist. Auch die Preise haben sich nicht so entwickelt wie angenommen, namentlich die Kosten bei der Batterieherstellung.

Die möglichen Folgen dieser nicht vorhergesehenen Entwicklung deuten sich bereits an: VW hält sich mit Neueinstellungen zurück, Audi stellt sogar ein ganzes Werk infrage.

Die Hersteller stehen vor ganz unterschiedlichen Problemen: VW hat es im Volumensegment mit einem generell hohen Wettbewerbs- und Preisdruck zu tun. Audis Elektro-Q8, der im Brüsseler Werk gefertigt wird, verkauft sich schlicht nicht gut. Mercedes wiederum musste feststellen, dass es in China eigentlich noch gar keinen Markt für E-Autos im Premiumsegment gibt – man ist davon ausgegangen, dass sich die Vorliebe für Verbrenner in diesem Segment ändern wird. Das ist aber nicht passiert. Also setzen sie auf die Modelle, die in China noch gut laufen, sprich: die S-Klasse. VW steht zusätzlich vor der Problematik, dass es seine Werke zu hundert Prozent auf E-Mobilität umgestellt hat und es jetzt an Flexibilität in der Produktion mangelt, mit der Folge, dass Werke nicht ausgelastet sind. BMW hat es anders gemacht und die Produktionslinien so aufgebaut, dass sowohl Verbrenner als auch E-Autos auf der gleichen Linie produziert werden können. Das gibt ihnen natürlich mehr Spielraum.

Chinesische Hersteller wie BYD drängen mit Nachdruck auf den europäischen Markt. Sind die deutschen Autobauer dieser Konkurrenz gewachsen?

Im Premiumsegment haben Mercedes, BMW und Audi nichts zu befürchten, die werden ihre Spitzenposition auch weiterhin halten. Am meisten unter Druck geraten wird VW, weil der Konzern sich wegen der viel höheren Produktionskosten langfristig nicht auf einen Preiskampf im Volumensegment einlassen kann. Dass man für einen VW immer ein bisschen mehr bezahlt als für ein vergleichbares Modell einer anderen Marke, hat bei den Verbrennern bislang zwar funktioniert. Aber dafür muss dem Käufer eben auch mehr geboten werden – und bei E-Autos wird auch mehr erwartet. In Sachen Reichweite ist VW mittlerweile auf einem guten Weg, bei der Software sind Tesla und die chinesischen Hersteller weiter vorn. Da muss VW nachziehen, das ist die große Baustelle.


Nächster Schritt zur Feststoffzelle

Europas größer Autobauer Volkswagen kommt bei der Einführung der Feststoffzelle einen Schritt voran, die als nächste Generation von E-Auto-Batterien gilt. Mit dem US-Partner QuantumScape habe man eine Lizenzvereinbarung geschlossen, die VW die Produktion von Feststoffzellenakkus für bis zu eine Million E-Autos pro Jahr ermögliche, teilte die Batterietochter PowerCo mit. Noch sei die Technik aber nicht serienreif. Die Feststoffzelle gilt als nächster großer Schritt in der Batterieentwicklung. Anders als in Lithium-Ionen-Akkus kommt in ihnen kein flüssiges Elektrolyt zum Einsatz, sondern ein festes. Die Hersteller erhoffen sich mehr Reichweite, schnelleres Laden und weniger Verschleiß. (dpa)