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Interview

DGB-Chefin Fahimi
„Wir brauchen eine Investitionsoffensive im Eiltempo“

Lesezeit 6 Minuten
15.01.2025, Berlin: Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), äußert sich anlässlich der DGB-Bundesvorstandsklausur in der DGB-Zentrale

Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)

Yasmin Fahimi ist Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB. Zur anhaltenden Wirtschaftskrise und möglichen Auswegen haben wir mit ihr gesprochen.

Vor der Bundestagswahl ist ordentlich Druck auf dem gesellschaftlichen Kessel: Die Wirtschaftskrise hält an, und wie es gelingen kann, aus ihr herauszukommen, ist unter den Parteien hochumstritten. Was erwartet Yasmin Fahimi, die oberste Gewerkschafterin des Landes, angesichts dessen von einer neuen Bundesregierung?

Frau Fahimi, am 23. Februar gibt es vorgezogene Neuwahlen. Ist das eher eine Chance oder ein Risiko für Deutschland?

In jedem Fall ist es eine Herausforderung, weil wir nach wie vor gute und schnelle Entscheidungen brauchen, um das Wirtschaftswachstum zu stimulieren und aus der Krise herauszukommen – am besten mit einer Investitionsoffensive im Eiltempo. Wir müssen der notwendigen Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft mehr Schwung verleihen. Deshalb fordern wir einerseits massive Investitionen in die Infrastruktur – vom Straßenbau über Eisenbahntrassen bis zum Glasfaser-Netz. Andererseits müssen wir in Deutschland genauso entschlossen in die soziale Infrastruktur investieren, in Kindertagesstätten, Bildung und Krankenhäuser beispielsweise. Eine gute soziale Ausstattung und Absicherung der Menschen sind auch von substanzieller Bedeutung für wirtschaftliche Stabilität.

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Woher soll das Geld für soziale Sicherung und öffentliche Investitionen kommen?

Um unser Land aus der Krise zu führen, wird es notwendig sein, mehr finanzielle Mittel zu mobilisieren. Man kann Jahrhundertaufgaben wie die Energiewende oder eine höhere Verteidigungsfähigkeit nicht aus dem jährlichen Regelhaushalt des Staates finanzieren. Die Kosten dafür müssen länger gestreckt und angemessen auf die Generationen verteilt werden, die davon profitieren. Perspektivisch geht es um Beträge von alljährlich rund 100 Milliarden Euro zusätzlich. Solche Dimensionen sind nur mithilfe zusätzlicher Kreditaufnahmen machbar. Andernfalls können aus dem Regelhaushalt Pflichtaufgaben des Staates nicht mehr solide finanziert werden. Jede neue Bundesregierung wird daher einsehen müssen, dass es ohne eine Reform der Schuldenbremse nicht geht. Bislang fehlt die goldene Regel, nach der Investitionen, die nachweisbar Wachstum und damit Wohlstand und mehr Steuereinnahmen auslösen, ausgenommen werden von der Schuldenregel.

Im DGB-Positionspapier zur Bundestagswahl heißt es: „Es braucht eine höhere Besteuerung derjenigen in diesem Land, denen das nicht wehtut“. Wer ist damit gemeint?

Es geht um hohe Millionärseinkommen, etwa zehn Prozent unserer Bevölkerung, und um die Supervermögenden, etwa ein Prozent der Bevölkerung. Sie sind seit Jahrzehnten nicht ausreichend an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt. Während alle anderen Bürger den Gürtel enger schnallen müssen, sind viele dieser sehr vermögenden Menschen selbst von Krise zu Krise immer reicher und reicher geworden. Das geht so nicht mehr. Wir brauchen mehr Gerechtigkeit und deshalb eine Vermögenssteuer.

Das wird mit einer unionsgeführten Bundesregierung kaum zu machen sein. Welchen Beitrag können die Gewerkschaften zur Wirtschaftswende leisten – müssten sie ihre Mitglieder nicht zu Verzicht mahnen?

Nein, definitiv nicht. Es wäre Gift für die Binnennachfrage und damit für die Konjunktur, dem Verzicht der Arbeitnehmerschaft das Wort zu reden. Außerdem sprechen wir hier über Einkommen, die überhaupt keinen finanziellen Spielraum mehr für Verzicht haben. Denn in der Lebenspraxis bedeuten die gestiegenen Mieten und die höheren Preise für Lebensmittel und Energie schon jetzt Verzicht. Das sind faktische Reallohnverluste, die wir mit ordentlichen Tarifergebnissen versuchen zu kompensieren. Und ein Ausspielen von Investitionen gegen Sozialausgaben darf es nicht geben.

Stellenabbau in der Industrie und eine Rekordzahl an Insolvenzen kommen doch nicht von ungefähr. Haben Arbeitgeber nicht allen Grund, vor aus dem Ruder laufenden Sozialversicherungsbeiträgen, also hohen Lohnnebenkosten zu warnen?

Es ist unredlich, wenn die Beschäftigten jetzt die Suppe auslöffeln sollen, die andere angerührt haben. Sie sind nicht Ursache der wirtschaftlichen Schwäche. Eine Deckelung der Sozialabgaben zielt auf eine reine Entlastung der Arbeitgeber. Denn die Beschäftigten wären gezwungen, die Einschnitte durch zusätzliche private Vorsorge oder Eigenleistungen zu kompensieren. Das aber können sich ohnehin immer weniger Menschen leisten. Wenn man die Sozialversicherungssysteme und damit die Beiträge entlasten will, dann sollten die Sozialkassen endlich angemessene Steuerzuschüsse für die versicherungsfremden Leistungen erhalten. Am besten allerdings stabilisieren wir die Sozialversicherungen mit einem hohen Niveau an guter, stabiler Beschäftigung.

Was heißt das?

Das heißt, wir müssen mehr Menschen in vollzeitnahe Beschäftigung bringen, etwa indem sozialversicherungsfreie Minijobs endlich abgeschafft werden. Menschen in Minijobs können keine Rentenansprüche aufbauen. Viele Frauen werden durch Minijobs zudem in sehr geringer Erwerbstätigkeit gehalten, anstatt wirtschaftliche Unabhängigkeit und volle gesellschaftliche Teilhabe zu erreichen. Im Übrigen wird dann auch keine entsprechende Einkommensteuer gezahlt, und die Kaufkraft ist geringer. Das hohe Maß an sozialversicherungsbefreiter Beschäftigung destabilisiert also die Sozialversicherungssysteme und es entsteht in der Folge volkswirtschaftlicher Schaden.

Im Wahlkampf werden Rufe nach einem Mindestlohn von 15 Euro laut. Macht das die wirtschaftliche Genesung schwieriger?

Dass höhere Mindestlöhne für die Wirtschaftskrise verantwortlich sind, ist Quatsch. Den Zusammenhang gibt es erwiesenermaßen nicht. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind nicht die Lohnkosten, sondern es geht um ungelöste strukturelle Schwächen des Wirtschaftsstandorts Deutschland. So leidet die gesamte Industrie unter den im internationalen Vergleich viel zu hohen Energiepreisen, hier braucht es schnelle Entlastung. Die Netzentgelte beispielsweise müssen raus aus der Strombepreisung. Und natürlich müssen wir die Bürokratie entschlacken, wo sie hinderlich ist. Es ist auch mehr Personal in der öffentlichen Verwaltung notwendig. Nur so lassen sich Planungsverfahren und Antragsprozesse real beschleunigen, ohne Regeln etwa zum Schutz von Beschäftigten oder der Umwelt abzubauen, denn auch Deregulierung hat Grenzen. Oder glauben Sie ernsthaft, alle wirtschaftlichen Probleme wären über Nacht verschwunden, würden die Unternehmen von allen Auflagen befreit?

Was meinen Sie?

Die Fähigkeit zur Selbstkritik ist bei vielen Arbeitgebern wenig ausgeprägt. Und sie stellen gerne viele hohe Ansprüche an andere, nicht aber an sich selbst. Sonst wären Managementfehler, die viele Unternehmen in die Krise geführt haben, ein größeres Thema. Beispiel Volkswagen: Dort wurden eben nicht die Effizienzpotenziale der verschiedenen Marken gehoben, stattdessen sind die Flotten falsch aufgestellt worden.

Klingt das nicht sehr nach Klassenkampf?

Wen meinen Sie damit? Ich nehme wahr, dass sich im Arbeitgeberlager einige am liebsten aus der Sozialpartnerschaft verabschieden würden. Das provoziert zunehmend Konfliktsituationen, die unserem Land mit Sicherheit nicht guttun. Denn das schafft nur Unruhe und Planungsunsicherheit. Es gibt überhaupt keinen Grund, den Beschäftigten soziale Rechte abzusprechen, noch ihnen vorzuwerfen, faul, krank und teuer zu sein. Die, die nie ihren Frieden mit dem Sozialstaat gemacht haben, scheinen gerade Morgenluft zu wittern. Da soll im Windschatten der wirtschaftlichen Herausforderungen vieles an sozialem Fortschritt revidiert werden, was aus ihrer einseitigen Sicht nur als Kostenfaktor gilt. Dabei waren der soziale Ausgleich und die gesellschaftliche Stabilität immer ein Standortvorteil Deutschlands. Das gerät nun zunehmend in Gefahr, und das ist nicht gut.