Zum zweiten Mal findet die weltweit größte Computer- und Videospielmesse nur im Netz statt.
Statt auf Partystimmung und Begegnung setzt die Koelnmesse dabei auf Reichweite.
Ein Rundgang über die digitale Spielwiese
Köln – Aufgepasst! Jetzt wird’s wichtig. Zumindest wenn man der Animation Glauben schenkt, die in blauen Buchstaben und mit dramatischem Soundeffekt auf englisch ankündigt: „World Premiere“. Eine Weltpremiere also – eine Enthüllung, die allen Videospielfans den Atem rauben könnte. Die Opening Night Life, sowas wie die Startschuss-Show der Gamescom, geizt am Mittwochabend nicht mit solchen Weltpremieren.
Was danach jeweils zu sehen ist: Ein kurzes Video, tolle Effekte, tolle Animationen. Vieles erinnert an Hochglanz-Action-Filme aus Hollywood. Vieles ist interessant, vieles aber nicht wirklich neu, wie die Spielefans in den Kommentaren direkt anmerken. Nach zwei Stunden und mehr als 30 Videos ist die Show auch schon wieder vorbei. Doch damit geht die Gamescom erst richtig los. Ein Rundgang über die Messe, die zum zweiten Mal in Folge nicht mit Hunderttausenden Besuchern in Köln stattfindet, sondern rein digital.
Viele Informationen auf engem Raum
„Es gibt so viel zu sehen“, sagt Felix Falk, Geschäftsführer des Branchenverbands game, über die zweite digitale Gamescom, die auch am heutigen Freitag noch läuft. Recht hat er. Auf den ersten Blick ist es sogar viel zu viel. Wer nicht weiß, wonach er eigentlich sucht, der wird auch nicht fündig. Hier ein neuer Trailer über ein Spiel, in dem eine Holzfäller-Familie durch eine bunte Dinosaurierwelt hüpft, da die Information, dass ein großer Spielehersteller Flutopfer in NRW und Rheinland-Pfalz unterstützt. Einen Klick weiter gibt es Links zu bereits erschienenen Spielen oder Übersichtsseiten einzelner großer Spieleentwickler. Doch was ist hier wirklich wichtig? Was muss man als Gamescom-Besucher auf jeden Fall gesehen haben? Schwer zu sagen bei einer solchen Fülle an Informationen.
Einen Hinweis gibt es dann aber doch im Bereich „Most anticipated“ – die wohl am sehnlichsten erwarteten Spiele also, das meiste schon bekannt aus der Opening Night. „Elden Ring“, „Deathloop“ oder „Far Cry 6“ heißen die Titel, die das Portal hier etwa präsentiert. Also Draufklicken. Wieder ploppt ein kurzes Vorstellungsvideo auf, mal eine Minute, mal zehn Minuten lang. Wieder ist das Material kinotauglich. Selbst spielen kann der Messebesucher hier nichts. Doch selbst solche kleinen Videos können ganz große Höhepunkte sein. Auf der Gamescom 2019 bildeten sich die längsten Schlangen nicht vor einer Spielestation, sondern am Stand des Spiels „Cyberpunk 2077“. Bis zu vier Stunden warteten die Fans, nur um vorher nie gezeigte Ausschnitte des Spiels zu sehen. Abgesehen davon: So ein Highlight wie 2019 fehlt in diesem Jahr.
Und auch wenn es auf der Messe nicht ausschließlich darum geht, neue Titel zu testen – so ganz ohne fehlt der Messe ein wichtiger Teil. Letztlich geht es nicht darum, wie schön die Spiele aussehen, sondern wie sie sich mit dem Controller in der Hand anfühlen.
Bekloppt und wunderschön
Ein ganz kleines bisschen Messegefühl kommt am ehesten in der sogenannten Indie Arena auf. Dort haben Spiele kleinerer Entwickler ihren Platz. Mit einem virtuellen Figürchen läuft der Besucher dort auf seinem Computerbildschirm von Stand zu Stand und kann die Spiele sogar testen. Die einzelnen Demoversionen müssen dafür aber erst noch gedownloadet werden.
Oft lohnt sich das Warten: Zum Beispiel für das herrlich bekloppte Einparkspiel „You suck at Parking“ aus Belgien. Richtig gehört: es geht dabei wirklich nur darum, einzuparken. Ein buntes kastenförmiges Auto, ein vorgeschriebener Parkplatz und die Aufgabe: beides irgendwie zusammenbringen. Wer Einparken langweilig findet, der hat noch nie auf einem Minenfeld eingeparkt oder auf einer Klippe, auf der riesige Magneten versuchen, das Auto von seinem ohnehin schon knapp bemessenen Weg abzubringen.
Bekloppt ist aber nicht das einzige, was die Indie Arena kann. Sie kann auch was fürs Auge. Viele Spiele der kleineren Entwickler sind zwar grafisch eher minimalistisch gehalten, das heißt aber nicht, dass sie nicht auch wunderschön sein können. Nichts anderes als das ist etwa „Tunic“ aus Kanada, bei dem der Spieler mit einem knuffigen Fuchs in grünem Gewand eine mysteriöse Insel entdeckt.
Was sonst noch alles passiert
Ansonsten passiert auf der digitalen Gamescom vieles von dem, was normalerweise auch im Präsenzformat der Messe stattfindet. Nur eben nicht auf die vielen Hallen verteilt, sondern gebündelt auf einer Plattform – live oder auf Abruf.
Studenten der Hochschule Mittweida zeigen, wie sie innerhalb von drei Tagen ein Videospiel programmieren. Zwei junge Männer namens Ben und Christian erzählen, wie sie den Weg vom gemeinsamen Studium zum eigenen Entwicklerstudio gemeistert haben. Das Jugendforum NRW warnt vor Kriminellen, die ihre jugendlichen Opfer in Online-Spielen suchen. Youtuber mit Namen wie „HandOfBlood“ oder „Swag_dracula“ filmen sich dabei, wie sie Videospiele spielen. Mal schauen eine Hand voll Messebesucher zu, mal Tausende.
Die langen Warteschlangen hat auf der digitalen Gamescom vermutlich niemand vermisst. Doch genauso sicher würde jeder Messebesucher wohl lieber das Gedränge und den Zeitaufwand auf sich nehmen, um das Gamescom-Gefühl und das Miteinander zu spüren, was die Messe nun mal ausmacht. Vielleicht im nächsten Jahr.
„Türöffner in die digitale Welt“
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat im vergangenen Jahr rund 40 Millionen Euro für die Förderung der Videospiel-Entwicklung ausgezahlt. Insgesamt seien 140 Anträge zwischen 40 000 und 10 Millionen Euro eingegangen, sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU/Foto) bei der politischen Eröffnung der Gamescom am Donnerstag.
Bis sich in der deutschen Spielebranche eine Wirkung der Förderungen zeigt, dauert es aber noch. „Spieleentwicklung ist ein Dauerlauf und kein Sprint“, sagte Felix Falk, Geschäftsführer des Branchenverbands game. Die Entwicklung eines Spiels dauere oft mehrere Jahre.
Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker lobte den Innovationsgeist der Messe. Sie freue sich aber darauf, die Gamescom-Besucher bald wieder in Köln begrüßen zu dürfen.
Dorothee Bär (CSU), Staatsministerin für Digitalisierung der Bundesregierung, stellte die Innovationskraft von Videospielen in den Vordergrund. „Games sind für viele der Türöffner in die digitale Welt“, sagte sie. „Sie sind das Medium unserer Zeit.“ (sim)
Kommentar zur Gamescom: Das Beste aus beiden Welten
von Simon Westphal
Zum zweiten Mal findet die größte Computer- und Videospielemesse rein digital statt. Im vergangenen Jahr aus der Not in kürzester Zeit zusammengezimmert, hat die Koelnmesse die längere Vorlaufzeit genutzt, aus Fehlern gelernt und an vielen Stellen nachjustiert. Die zweite digitale Gamescom ist ganz sicher besser als die erste. Dennoch: So gut das kostenfreie Onlineangebot technisch auch funktioniert – richtiges Gamescom-Gefühl kommt zu keinem Zeitpunkt auf. Ohne volle Hallen, lange Schlangen, die Partystimmung in den Deutzer Hallen und anderswo in der Stadt, ist die Gamescom nicht das Mega-Ereignis, das Spielefans so lieben.
Es ist aber auch eine Chance. Das Geschäftsmodell der digitalen Messe ist ein anderes als bei der Präsenzmesse. Ohne Ticketverkäufe und Standgebühren setzt die Gamescom auf Reichweite. Aus 370 000 Besuchern in Köln werden mit den neuen sogenannten Reichweiten-Partnern aus aller Welt mehrere Millionen. Von all dem wird nichts weggeworfen, wenn die Gamescom im nächsten Jahr zurück nach Köln kommt, sagen die Veranstalter. Das Konzept der digitalen Messe ist alleinstehend kein Konzept für die Zukunft – weil sich mit Präsenzmessen mehr Geld verdienen lässt, aber auch, weil sich der Mehrwert für die Fans digital in Grenzen hält.Nun stellt sich bis 2022 die Aufgabe, die beiden Welten, digital und analog, sinnvoll zu kombinieren. Auf der einen Seite die Videospiel-Party in Köln, auf der anderen Seite die digitalen Möglichkeiten, weltweit Präsenz zu zeigen. Gelingt das, könnte der rein digitale Ausflug für die Gamescom im Rückblick als wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu ganz neuen Messekonzepten sein – nicht nur für die Spielebranche.