Pervitin, bekannt als Methamphetamin, wurde in der Wehrmacht als „Panzerschokolade“ verwendet, um Soldaten leistungsfähiger zu machen.
Panzerschokolade und Stuka-TablettenFronteinsatz im Drogenrausch – wie Drogen in den Kriegen zum Einsatz kamen

Soldaten der deutschen Wehrmacht
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„Stimulans für Psyche und Kreislauf“, hieß es unschuldig auf einem Werbeplakat für Pervitin. Das Wundermittel gegen Müdigkeit, niedrigen Blutdruck und Depressionen. Man hätte es auch anders bewerben können: Pervitin hält knallwach, macht euphorisch und selbstbewusst, senkt die Hemmschwelle und das Schmerzempfinden. Aber das hätte wohl zu sehr nach Droge geklungen.
Was Pervitin, ungeachtet seiner harmlosen Spitznamen wie „Panzerschokolade“ oder „Fliegermarzipan“, zweifellos war. Ein Rauschgift, das heute besser bekannt ist als Meth oder Crystal Meth, kurz für Methamphetamin. Als Partydroge gewinnt es seit Jahren an Beliebtheit, kann aber auch Wahnvorstellungen auslösen. Bei starkem Konsum drohen Psychosen, Abmagerung, Zahnverlust und mehr.
Im Zweiten Weltkrieg wurde Meth alias Pervitin massenhaft von deutschen Soldaten eingenommen. 35 Millionen Tabletten bestellte die Wehrmacht allein im Frühsommer 1940, während des Feldzugs gegen Frankreich und die Benelux-Staaten. Manche Forscher sind der Ansicht, dass ohne Pervitin die frühen „Blitzkriege“ mit ihrem rasend schnellen Vorstoßtempo gar nicht möglich gewesen wären. Später allerdings war NS-Ärzten die Sache nicht mehr geheuer, sie rieten zu maßvollem Einsatz und sorgten dafür, dass das Mittel 1941 rezeptpflichtig wurde. Für das Militär galt das allerdings nur bedingt.
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Bis dahin konnte man Pervitin ganz normal kaufen, es gab sogar Pralinen, die mit dem Mittel versetzt und als „Hausfrauenschokolade“ angepriesen wurden. Schwer vorstellbar – aber in den 20ern konnte man schließlich auch Kokain und Heroin in der Apotheke nebenan bekommen. Letzteres übrigens als geschütztes Markenzeichen von Bayer; erfunden vom Aspirin-Vater Felix Hoffmann. Die Leverkusener vertrieben Heroin als Hustenmittel und, ausgerechnet, Medizin gegen Morphinsucht.
Härterer Stoff aus dem Versuchslabor
Trotz der wachsenden Bedenken gegen Pervitin wurde später mit dem „D IX“ genannten Präparat sogar ein noch härterer Stoff ausgegeben, etwa an Besatzungen der winzigen Zwei-Mann-U-Boote, die tagelange Einsätze ohne Schlafmöglichkeit zu absolvieren hatten. „D IX“ bestand aus dem Opioid Eukodal sowie Kokain und Methamphetamin. Wegen der angenommenen schädlichen Wirkungen testeten Wehrmachtmediziner den Drogencocktail an KZ-Gefangenen.
Der Autor Norman Ohler hat für sein Buch „Der totale Rausch“ Dokumente entdeckt, denen zufolge es ob des Pervitin-Missbrauchs unter anderem zu Herzproblemen kam; auch von Halluzinationen war mitunter die Rede. Inwieweit das womöglich zu Zwischenfällen führte, lässt sich schwer feststellen – ebenso, ob flächendeckend Suchtprobleme bei Frontsoldaten auftauchten oder blieben. Diesbezügliche Untersuchungen habe es nach dem Zweiten Weltkrieg schlicht nicht gegeben, sagt Suchtforscher Daniel Deimel von der TU Nürnberg: „Zum einen hatten die Menschen andere Sorgen, und zum anderen wurde ja ohnehin eher kollektiv über den Krieg und die Folgen geschwiegen.“
Das Thema „Soldaten unter Drogen“ wurde im Wesentlichen erst im Vietnamkrieg angegangen, als die Soziologin Lee Robbins eine Studie unter den – gar nicht mal wenigen – US-Veteranen durchführte, die im Einsatz Heroin konsumiert hatten. Ergebnis: Eine Suchterkrankung ist keineswegs programmiert. „Dieser Glaube, dass man nach dem ersten Heroinkonsum sofort an der Nadel hängt, ist eher ein 80er-Jahre-Abschreckungsmärchen“, sagt Deimel. „Es gibt verschiedene Kontextfaktoren, die eine Rolle bei der Frage spielen, ob jemand eine Abhängigkeitserkrankung entwickelt oder nicht. Das liegt nicht nur an der Substanz selbst, sondern etwa auch am Preis und an sozialen Bedingungen.“ So hatte Robbins herausgefunden, dass vor allem die Soldaten abhängig wurden, die bereits vor dem Kriegseinsatz eine Drogenvergangenheit hatten.
Suchtanzeichen auch in der Feldpost erkennbar
Anzeichen für zumindest psychische Abhängigkeiten der Wehrmachtssoldaten von dem „Wunderstoff“ lassen sich aber auch rückblickend erkennen, etwa in Feldpostbriefen. So sprach der spätere Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll mehrfach über Pervitin und bat seine Eltern, ihm mehr davon an die Front zu schicken. Offenbar reichte ihm die zugeteilte Menge nicht.
Dem „Führer“ selbst übrigens wohl auch nicht. Es gibt Anzeichen, dass Adolf Hitler schwer methabhängig war und sich das von seinem Leibarzt selbst zusammengerührte Mittel täglich hat spritzen lassen, vielleicht auch Opioide wie Oxycodon. Zeitzeugen zufolge nahm er fortwährend auch mit Pervitin versetzte Vitaminpillen. Die Morphiumsucht seines Paladins Hermann Göring war schon damals kein Geheimnis.
Auch die alliierten Streitkräfte griffen vor allem für Piloten zu Muntermachern aus der Drogenküche – sie setzten auf Meth-ähnliche, wenn auch weniger potente Benzedrine. Denn Soldaten mit Aufputschmitteln kampftauglicher zu machen, war an sich nichts Neues – vor den synthetischen Drogen dienten etwa Alkoholrationen demselben Zweck. Auch Koffein spielte eine große Rolle, weshalb in NS-Deutschland die begrenzt verfügbare Menge an Kaffee dem Militär vorbehalten war, während die Zivilbevölkerung auf Muckefuck umsteigen musste. Als „weiches“ Mittel gegen Müdigkeit gab – und gibt – es seit 1935 etwa Scho-Ka-Kola, mit Koffein versetzte Schokolade in Dosen, Spitzname „Fliegerschokolade“.
Pervitin noch bis 1988 genutzt
Groß problematisiert wurde die Einnahme von Pervitin auch nach dem Krieg nicht. Sogar der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer gönnte sich gelegentlich eine Pille davon, noch im Alter von 88 Jahren. Als „Hallowach“ für Kampfpiloten wurde es sowohl in der Bundesrepublik als auch der DDR vorrätig gehalten. Erst 1988 verschwand Pervitin vom Markt.
Das überrascht, hat aber Gründe, denn Methamphetamine dienen auch legalen medizinischen Zwecken. „Viele Substanzen kommen aus dem Medizinsektor und werden erst in einem anderen Kontext zur illegalen Droge“, sagt Deimel. „Wir sehen das am Beispiel Fentanyl: ein sehr potentes synthetisches Opioid, das in der Schmerzbehandlung zum Einsatz kommt. Aber es wird zudem eben auch illegal produziert und auf dem Drogenmarkt gehandelt. Die Übergänge sind da oft fließend.“