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Debatte des TagesNach Forderung von Kinderärzten – ist Grippeimpfen Bürgerpflicht?

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Impfung (1)

Symbolbild

  1. Deutsche Kinderärzte raten dazu, in diesem Herbst Kinder gegen Grippe impfen zu lassen, weil diese den Influenza-Virus maßgeblich übertrage.
  2. In Zeiten der Corona-Pandemie gebe es eine gesellschaftliche Verpflichtung zum Schutz anderer.
  3. Macht die Impfung Sinn?

Berlin – Unter den Corona-Kritikern in Berlin waren einige, die ihre notorisch impfkritische Haltung laut und mit Trillerpfeifen zum Ausdruck gebracht haben. Einige Ärzte und Gesundheitsexperten meinen jedoch, dass man sich angesichts der gleichzeitigen Corona-Pandemie dieses Jahr in jedem Fall gegen Grippe impfen lassen sollte. Gegen Corona gebe es noch keinen Impfstoff, gegen Grippe aber sehr wohl.

Ärzte mahnen

Ärzte und Politiker befürchten für den Winter die Gleichzeitigkeit der schweren Virusinfektionen – wenn die Grippewelle und eine mögliche Verschlimmerung der Covid-19-Lage in den kalten Jahreszeiten zeitlich zusammenfallen. „Gleichzeitig eine größere Grippewelle und die Pandemie kann das Gesundheitssystem nur schwer verkraften“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

Wen impfen?

„Jeder, der sich und seine Kinder impfen lassen will, sollte und kann das tun“, bekräftigte der Gesundheitsminister. Die Bundesregierung habe deshalb zusätzlichen Impfstoff bestellt.Die Ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut spricht sich dagegen weiter für Grippeimpfungen vor allem für Risikogruppen aus. Der Fokus in der Grippe¬saison 2020/21 solle „klar auf Risikogruppen für schwere Krankheitsverläufe liegen“, schreibt das Expertengremium in einer aktuellen Stellung¬nahme. Als Beispiele werden Senioren und chronisch Kranke genannt.

Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, empfiehlt angesichts möglicher Engpässe bei Impfstoffen sich vor allem „auf den Schutz der besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen“ zu konzentrieren. Ratsam seien Grippeschutzimpfungen bei jungen Menschen immer dann, wenn eine erhöhte Gefährdung infolge eines Grundleidens vorliege, zum Beispiel Asthma, Diabetes oder Erkrankungen des Immunsystems.

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In den vergangenen Jahren war vor allem an ältere Menschen appelliert worden, sich impfen zu lassen. Für sie stellt die Grippe in der Regel eine größere Gefahr dar. Angesichts der Corona-Pandemie raten Kinderärzte aber auch zur Impfung von Kindern. „Wir wissen, dass Kinder das Influenza-Virus maßgeblich übertragen“, sagte Johannes Hübner, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie. Abgesehen von den Risiken für die Gesundheit der Kinder gebe es in Zeiten der Corona-Pandemie eine gesellschaftliche Verpflichtung zum Schutz anderer.

Wann impfen?

Die Impfung gegen Grippe sollte nach dem Ratschlag der Mediziner jedes Jahr durchgeführt werden, vorzugsweise im Oktober oder November. Nach der Impfung dauert es etwa zehn bis 14 Tage, bis der Körper einen ausreichenden Schutz aufgebaut hat. Auch eine spätere Impfung zu Beginn des Jahres ist meist noch sinnvoll.

Wie gut nützt die Impfung?

Das Problem der Grippeschutzimpfung ist seit jeher: Niemand kann die Treffsicherheit des Impfstoffs vorhersagen. In manchen Jahrgängen ist sie sehr hoch, in anderen mäßig. Solche Unwägbarkeiten bremsen die Impfbereitschaft der Bevölkerung. Trotzdem ist auch ein nur teilweise effektiver Wirkstoff immer noch besser als gar keine Impfung. Denn wenn von 100 Geimpften 60 bis 70 Prozent gut geschützt werden, dann sind sie im Sinne der Herdenimmunität nicht erreichbar für das Influenza-Virus – und können es auch nicht weitergeben.

Was Impfgegner sagen

Nach einer repräsentativen Studie aus dem Jahre 2016 im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hatten von den 16- bis 85-jährigen Bundesbürgern ein Fünftel teilweise Vorbehalte gegen Impfungen jeder Art, fünf Prozent eine „(eher) ablehnende“ Haltung.

Mit verschiedenen Argumenten zweifeln die Gegner den Sinn von Impfungen an. So sei Impfen überflüssig, weil unter anderem der epidemische Verlauf von Infektionskrankheiten selbst begrenzend sei. Die Nebenwirkungen und Risiken von Impfungen seien unkalkulierbar, es gebe immer wieder Impfschäden. Auch könne Impfen kontraproduktiv sein, weil es das natürliche Immunsystem stresse und schwäche. Geimpfte  nähmen dem Organismus die Chance zur natürlichen Auseinandersetzung mit der Erkrankung.  Impfungen dienten vor allem den Interessen der Pharmaindustrie. (EB)

Was die WHO empfiehlt

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt die Influenza-Regelimpfung für alle Kinder ab einem Alter von sechs Monaten. In den USA sind fast 60 Prozent der Kinder geimpft, mit steigender Tendenz. In Europa folgen erste Länder der Empfehlung, grundsätzlich alle Kinder gegen Grippe impfen zu lassen, etwa Großbritannien oder Finnland. Die WHO empfiehlt zudem die Impfung für Ältere, Schwangere und Menschen mit Vorerkrankungen. Diese Gruppen entwickeln am häufigsten schwere Komplikationen. Gesundheitsfachkräfte müssen sich zu ihrem eigenen Schutz impfen lassen. (EB)ZitatWir müssen uns bei Grippeschutzimpfungen in diesem Jahr deutlich steigern, jedoch nur aufgrund freiwilliger Bereitschaft.Karl Lauterbach,SPD-Gesundheitsexperte