Forscher zu Corona und Aerosolen„Fünf Minuten Stoßlüften reichen nicht aus“
- Martin Kriegel erforscht, wie sich Aerosole im Raum bewegen.
- Die CO2-Konzentration könnte ein Indikator für richtiges Lüften sein.
Berlin – Vor dem Schulstart in der kommenden Woche ist die Unsicherheit groß. Wie hoch ist die Infektionsgefahr in geschlossenen Räumen? Professor Martin Kriegel leitet das Hermann-Rietschel-Institut an der TU Berlin und beschäftigt sich unter anderem mit Fragen der Raumluftströmung.
„Immer, wenn sich Luft bewegt, bewegen sich die Aerosole mit. Insofern fällt es mir schwer zu sagen, wie hoch das Risiko konkret ist“, sagt der Wissenschaftler. Dies hänge auch davon ab, wie viele Viren ein Aerosol trage und wie viele Viren man einatmen müsse, um zu erkranken. Genaue medizinische Daten darüber liegen nicht vor. Klar ist aber, dass Aerosole ein Hauptübertragungsweg sind. Kriegel: „Und diese verteilen sich in einem Raum nun mal sehr schnell.“
Innerhalb von zwei Minuten in jedem Winkel
Um dies genauer zu bestimmen, haben Kriegel und sein Team eine Strömungssimulations-Berechnung gemacht. Das Ergebnis: Innerhalb von zwei, drei Minuten haben sich die Aerosole bis in alle Ecken eines Raums verteilt. Die Zahl der Schüler spielt für die Verbreitung keine wesentliche Rolle. Der menschliche Körper wirkt wie ein Heizkraftwerk und produziert einen stetigen Luftstrom nach oben. Das führt dazu, dass schon nach wenigen Minuten die Luft eines Raumes mit Aerosolen durchmischt ist. Wenn ein Infizierter dabei ist, atmen demnach alle anderen permanent Viren ein. „Stellen Sie sich vor, ein Raucher wäre im Raum und würde permanent rauchen, dann riechen Sie das in jeder Ecke in kürzester Zeit“, sagt Kriegel. Rauchpartikel haben dieselbe Größe wie die Aerosole, die Ausbreitung lässt sich damit gut simulieren.
CO2-Konzentrationen können Aufschluss geben
Als Indikator dafür, wie sehr die Luft mit Aerosolen gesättigt ist, kann laut Kriegel die CO2-Konzentration genutzt werden. Schon vor mehr als 130 Jahren alt habe man festgestellt, dass erhöhte CO2-Konzentrationen ungesund sind. Deshalb gelten dafür bis heute Grenzwerte. „Um nun eine mögliche Virenbelastung in einem Raum zu verringern, muss die Luft regelmäßig durch Lüften erneuert werden“, erklärt Kriegel.
Damit sinkt auch die CO2-Konzentration – sie kann als Gradmesser dafür fungieren, wie gut die Luft ausgetauscht wird. Gerade in meist fenstergelüfteten Schulen wisse man nicht, wie gut die Luftqualität in den Räumen ist. „Als Laie hat man keine Ahnung, wie oft man das Fenster aufmachen muss“, sagt Kriegel. Deswegen sei es ratsam, die CO2-Konzentration über Sensoren zu messen.
Länger und häufiger lüften
Abhilfe schaffen könnten also CO2-Sensoren in jedem Klassenzimmer, die Alarm schlagen, wenn wieder gelüftet werden sollte. „Wir müssen ein neues Lüftungsverhalten lernen“, betont Kriegel. „Und das ist eben deutlich anders, als wir es praktizieren.“ Normalerweise würden an kalten Tagen die Fenster nur kurz aufgerissen und schnell wieder geschlossen, weil die Frische der Luft mit der Temperatur verknüpft werde. „Das ist eben nicht richtig“, sagt Kriegel. „Fünf Minuten Stoßlüften reichen nicht aus. Man muss länger oder häufiger das Fenster öffnen. Und das sieht man eben am CO2-Wert.“ Dies sei zwar eigentlich bekannt, nur nicht so im allgemeinen Bewusstsein verankert. So gebe es auch diverse Lüftungsregeln, etwa vom Umweltbundesamt, die gerade aktualisiert würden. Demnach solle etwa alle 20 Minuten gelüftet werden.
Hilfreich, um die Ausbreitung von Viren in geschlossenen Räumen einzudämmen, sind laut Kriegel zudem alle Gerätschaften, die Frischluft reinbringen, weil sie die Konzentration verdünnen. Bei Luftreinigungsgeräten empfiehlt er, nur auf Filtertechnik zu gehen, also Hochleistungsfilter zu benutzen, um die Luft zu reinigen. „CO2-Sensoren sind natürlich deutlich günstiger.“ Oder eben eine Maske zu tragen. Diese helfe zwar nicht, Aerosole zurückzuhalten oder zu filtern. Mit einer Maske aber werden die Aerosole, die ein Mensch ausatmet, in den Luftstrom umgelenkt, der von seinem Körper aufsteigt, weg von anderen Personen. Kriegel: „Ich würde also dringend empfehlen, in geschlossenen Räumen Masken zu tragen, wenn man die Abstandsregeln nicht einhalten kann.“