- Die Restriktionen werden gelockert, die Sorge vor einer neuen Infektionswelle bleibt.
- Nur mithilfe eines Impfstoffs kann die Pandemie beendet werden, sagt Klaus Cichutek.
- Der Präsident des Paul-Ehrlich Instituts im Interview mit Philipp Jacob
Herr Cichutek, fast jeden Tag erreichen uns Nachrichten, wonach einem Unternehmen ein Meilenstein bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs gelungen ist. Wie bewerten Sie die derzeitigen Forschungsprojekte?
Weltweit gibt es acht Impfstoffprojekte in der klinischen Entwicklung. Doch was heißt das? Alle Arzneimittelentwickler und Regulatoren müssen prüfen, ob ein potenzieller Impfstoff eine spezifische Immunantwort hervorruft. In Deutschland berät das Paul-Ehrlich-Institut zu allen Impfstoffkonzepten gleichermaßen und macht keinen Unterschied. Es wäre viel zu früh für eine Priorisierung eines bestimmten Impfstoffkonzepts.
Das Institut
Das Paul-Ehrlich-Institut in Langen bei Frankfurt ist für die Sicherheit von Impfstoffen und biologischen Arzneimitteln zuständig. Sein Präsident Klaus Cichutek (64, Foto) ist gleichzeitig Professor für Biochemie an der Universität Frankfurt.
Benannt ist das Institut nach Medizin-Nobelpreisträger Paul Ehrlich (1854–1915). Das Institut genehmigt klinische Studien mit Impfstoffen und könnte sie auch national zulassen – das geschieht aber meist EU-weit durch die Europäische Arzneimittelagentur in Amsterdam. (EB)
Wir wissen aber aus unseren Beratungsgesprächen mit den Arzneimittelentwicklern, dass nach Herstellerangaben bei mRNA-Impfstoffen die Herstellung von größeren Dosen in kürzerer Zeit von wenigen Wochen erfolgen könnte, und damit schneller, als das bei anderen Konzepten vielleicht der Fall wäre. Die Sicherheitsanforderungen bei der Herstellung für RNA-Impfstoffe sind zudem etwas niedriger als bei Impfstoffen, für die der Erreger in großen Mengen angezüchtet werden muss, weil nur Erbinformation von ungefährlichen Erreger-Bestandteilen vermehrt wird und nicht das infektiöse Virus.
Was zeichnet mRNA-Impfstoffe aus?
Diese Impfstoffe enthalten die Erbinformationen mRNA, die den Bauplan für diejenigen Virusstrukturen umfasst, die vom menschlichen Immunsystem erkannt werden und zur Erzeugung einer schützenden Immunantwort durch die Impfung dienen. Diese Erbinformation wird vom Körper als Bauplan genommen, die einzelne Virusstruktur – das Spike-Protein oder ein Teil davon – in wenigen Körperzellen selbst zu produzieren. Die Zellen präsentieren dieses sogenannte Antigen dem Immunsystem, was die gewünschte Immunantwort auslöst. Bei einem späteren Kontakt der geimpften Person mit Sars-CoV-2 erkennt das Immunsystem diese Antigene wieder und kann das Virus gezielt bekämpfen, weil das Immunsystem durch die Impfung darauf vorbereitet wurde.Vorteil dieser mRNA-Impfstoffe ebenso wie der DNA-Impfstoffe könnte unter anderem sein, dass davon relativ schnell viele Impfdosen hergestellt werden können. Bisher aber noch nicht ermittelt ist die Menge RNA pro Impfstoffdosis, die für einen Immunschutz notwendig ist.
Gesundheitsminister Jens Spahn mutmaßt, dass es auch noch Jahre dauern könnte, bis ein Impfstoff verfügbar ist – aufgrund möglicher Rückschläge. Wie sehen Sie diese Problematik?
Meine Standardantwort folgt der aktuellen Einschätzung der WHO: 15 bis 18 Monate. Gerechnet ab jetzt. Ich muss betonen, dass wir trotz aller Erfolgsmeldungen noch in einer frühen Phase der Entwicklung sind, und nicht in einer späten. Es ist erfreulich, dass wir weltweit bisher mehr als 100 Forschungsprojekte haben, die sich mit einem Impfstoff beschäftigen.
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Eine der klinischen Studien haben wir als Paul-Ehrlich-Institut in Deutschland ja auch schon genehmigt. Ich rechne damit, dass wir im Laufe des Jahres noch drei weitere Anträge eingereicht bekommen und genehmigen können. Am Ende brauchen Sie aber einen Datensatz, der zeigt, dass ein Impfstoffprodukt wirkt und dass es sicher ist, also keine schweren Nebenwirkungen hervorruft. Auf diesem Weg gibt es theoretisch natürlich Tausende mögliche Komplikationen.
Es wurde ja bereits versucht, Impfstoffe gegen Coronaviren zu entwickeln. Gelungen ist das bisher nie. Warum nicht?
Die Projekte gegen das Sars-Coronavirus-1, das 2003 in Asien aufgetreten ist, waren erfolgversprechend, sind dann aber eingestellt worden aus Mangel an Bedarf. Beim Mers-Coronavirus sind wir drangeblieben und stehen kurz vor weiteren klinischen Prüfungen. Weil das Mers-Coronavirus nur noch in bestimmten Regionen beim Menschen vorkommt, können Arzneimittelentwickler alternativ beim Wirksamkeitsnachweis auf Tierdaten ausweichen. Das klingt alles vielleicht nach geringfügigem Erfolg, doch helfen uns diese Erkenntnisse jetzt bei der Entwicklung eines Impfstoffs für Sars-CoV-2 sehr. Auch bei der Ebola-Krise haben wir nicht mit Entwicklungen aufgehört, nachdem es den ersten Impfstoff gab.
Was halten Sie von einer Impfpflicht?
Mit Impfungen können wir die Ausbreitung von Infektionskrankheiten wirksam bekämpfen. Im Fall von Sars-CoV-2 scheint die Bereitschaft zur Impfung sehr hoch zu sein. Das könnte sich vermutlich auch in der geringen Zahl der Impfgegner widerspiegeln. Denn meist ist es ja so, dass Impfgegner die Notwendigkeit und den Nutzen von bestimmten Impfungen gar nicht mehr erkennen, weil in ihrem Umfeld die jeweilige Infektionskrankheit nicht mehr auftritt. Beim neuen Coronavirus ist das anders.
Heute sehen Sie vielleicht Menschen in Ihrem unmittelbaren Umfeld, die schwer an der vom Virus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 erkranken. Ich glaube, wir alle verstehen die Brisanz der Lage. Wir wollen wieder zu einem normalen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben zurückkehren. Mit den bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus gewinnen wir Zeit, um einen Impfstoff zu bekommen, den wir dringend brauchen. Denn nur der Impfstoff ist am Ende die Lösung des Problems.