- Täglich landen Covid-Kranke auf den Intensivstationen – auch in der Uniklinik Köln. Ärzte und Pflegepersonal geraten ans Limit.
- Ein Gespräch mit denen, die versuchen, Leben zu retten.
Köln – Alle Augen richten sich derzeit auf die Krankenhäuser und Intensivstationen des Landes. Täglich wird neben der Zahl der Corona-Neuinfizierten auch die Zahl der verfügbaren Intensivbetten aufgelistet (am Freitag: 6107). Schon jetzt liegen deutlich mehr Menschen auf den Intensivstationen als im Frühjahr (am Freitag: 3615). In der Uniklinik Köln landen momentan im Schnitt drei Kranke pro Tag auf den Corona-Intensivstationen. Insgesamt werden dort aktuell rund 30 Covid-19-Patienten versorgt, dazu fast 100 weitere sonstige kritisch Kranke. Für das medizinische und pflegerische Personal bedeutet das eine enorme Belastung. Wie gehen die Menschen, die dort rund um die Uhr arbeiten, damit um? Ein Gespräch mit vier Mitgliedern der Intensivstationen der Kölner Uniklinik über ihren Kampf gegen Corona: Professor Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Priv.-Doz. Dr. Wolfgang A. Wetsch, Leitender Oberarzt Intensivmedizin, Fachkrankenschwester Susann Böttger und Fachkrankenpfleger Martin Sager.
Die Stimmungslage
Ist mindestens angespannt. „Ich stehe schon sehr unter Strom, um alle Patienten gut versorgt zu bekommen“, sagt Oberarzt Wetsch. Denn die „normalen“ Kranken seien auch noch da. Und es häuften sich die Fälle, in denen Covid-Infizierte auch an anderen Problemen leiden, etwa einer Blinddarmentzündung. Zudem seien Betten, die im Intensivregister morgens als frei gemeldet würden, meist schon gleich wieder belegt, so dass am Nachmittag jedes Krankenhaus freie Betten suche.
Auch Chefarzt Böttiger, der zudem Präsidiumsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) ist, ist in Sorge. Die Situation sei dramatisch. Andererseits sei die Uniklinik exzellent aufgestellt, man habe schon früh eine Maskenpflicht im Haus eingeführt. Zudem sei das Virus nicht mehr ein so unbekannter Faktor wie im Frühjahr. Böttiger: „Wenn ich etwas kenne, ist es nicht ganz so unangenehm.“
„Die Angst vor Infektion schwingt immer mit“
Krankenpfleger Sager ist über die schiere Zahl der Schwerkranken besorgt. Zudem hätten viele Kollegen Befürchtungen, sich selbst oder ihre Angehörigen zu infizieren. Das Personal werde zwar getestet. „Aber die Angst vor einer Infektion schwingt immer mit“, sagt der 57-Jährige.
Für Krankenschwester Böttger ist die psychische Komponente wichtig. Es gebe kaum noch eine Möglichkeit, sich mit Kollegen auszutauschen. Man sei froh, wenn man nach Hause gehen könne. „Anderseits geht einem durch den Kopf, hoffentlich habe ich an alles gedacht“, sagt die 38-Jährige. Die Anforderungen.
Extreme Anforderung durch Beatmungspatienten
Für die Pflegekräfte sei es körperlich besonders anstrengend, in den Isolationszimmern zu arbeiten, sagt Sager. Um einen Patienten, der sich oft in Bauchlage befindet, zu lagern, müssen drei bis vier Kollegen mit anpacken, damit Schläuche nicht herausrutschen. Absprachen müssen genau getroffen werden, weil die Ver- und Entkittelung, also das An- und Ausziehen der Schutzkleidung, viel Zeit beansprucht und einem strengen Hygieneprotokoll folgt, das etwa fünfmal Händedesinfektion in festgelegter Reihenfolge beinhaltet. Deshalb wurden Funkgeräte angeschafft, um mit den Kollegen außerhalb der Isolationszimmer zu kommunizieren. „Bei so vielen Covid-Patienten ist aber manchmal draußen niemand mehr, der einem helfen kann“, sagt Sager. „Das ist eine extreme Belastung.“ Das Personal müsse also hochkonzentriert arbeiten. Wenn mal etwas vergessen werde oder der Blutdruck eines Patienten plötzlich abfalle, könne man nicht sagen, da gehe ich jetzt mal eben so rein. „Die Hygienebarriere muss aufrechterhalten werden“, sagt Sager. Heißt: Die Prozedur muss immer aufs Neue wiederholt werden.
Krankenschwester Susann Böttger erzählt, dass sie manchmal drei Stunden in einem Patientenzimmer steht und ihren zweiten Patienten nur durch eine Glasscheibe beobachten kann. Sehe sie zum Beispiel, dass dieser nervös werde, vielleicht Angst bekomme, könne sie nicht schnell zu ihm. Das belaste sie, genauso wie der Umstand, dass Pausen manchmal nicht mehr möglich seien. „Wie lange das körperlich auszuhalten ist, weiß ich nicht“, sagt sie. „Oft geht man mit dem Gefühl nach Hause, pflegerisch hätte man mehr machen können.“
Die Erkenntnisse
Aus dem Frühjahr habe man viel gelernt, sagt Oberarzt Wetsch. Dank eines genauen Behandlungspfads habe sich die Liegedauer auf den Intensivstationen im Sc hnitt deutlich reduziert, derzeit seien es nur noch zwei bis drei Wochen. „Das ist aber immer noch ein großer Unterschied zu ,normalen‘ Patienten, die im Schnitt deutlich weniger als eine Woche bei uns sind“, sagt Wetsch.
Was ebenfalls fehlt, sind wirksame Medikamente. „Remdesivir bringt laut aktuellen Studien in der Intensivmedizin so gut wie gar nichts“, sagt Böttiger. Dexamethason erhöhe hier die Überlebenswahrscheinlichkeit um gut zehn Prozent absolut. „Das ist relativ wenig, wenn man von einer potenziell tödlichen Krankheit spricht“, sagt der Chefarzt. „Ansonsten bleibt uns nur die symptomatische Behandlung.“
Pflegerisch habe sich eine gewisse Routine eingestellt, erklärt Sager. Die Bauchlagerung gehe mittlerweile schneller von der Hand, in der Arbeitsorganisation werde man routinierter.
So funktioniere beispielsweise das stationsübergreifende Miteinander besser, sagt Susann Böttger. Frü her habe jede Station mehr für sich gearbeitet, jetzt werde das Personal mehr unter den Abteilungen gemischt und darauf geachtet, dass genügend Kräfte da seien. „Außerdem wird versucht, die Arbeitslast möglichst gleichmäßig zu verteilen.“
Die Herausforderungen
Die Krise zeige, dass der medizinische Sektor zu wenig Ressourcen habe, sagt Böttiger, insbesondere zu wenig Pflegekräfte. „Das hätte man früher sehen können.“ Bisher sei man in Deutschland ganz gut mit der Pandemie umgegangen. „Aber wir sind vielleicht dabei, diesen Vorsprung zu verspielen“, sagt Böttiger, „da müssen wir aufpassen.“
Krankenpfleger Sager wünscht sich zur Bewältigung mehr angelerntes Personal, das Botengänge oder Blutananalysen übernehmen könnte, um etwa das Ein- und Ausschleusen in den Isolationszimmern zu reduzieren. „Der Personalmangel ist das Problem“, sagt er. „Und zwar auf lange Sicht.“ Viele Kollegen hät ten ihre Wochenarbeitsstunden schon auf 30 oder weniger heruntergeschraubt, weil sie sonst zu wenig Zeit hätten, sich zu erholen.
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Obwohl er seinen Beruf sehr liebe, sei es bisweilen nicht leicht, die täglichen Belastungen auszuhalten, sagt Oberarzt Wetsch. Tags wie nachts müssten Entscheidungen getroffen werden. „Ich habe keine Zeit abzuschalten“, sagt Wetsch, „man kann kaum entspannen; es gibt kein Wochenende, an dem man nicht kontaktiert wird.“
Die Ängste
Dass in Deutschland die Ärzte einmal darüber entscheiden müssen, wer überhaupt noch auf einer Intensivstation behandelt werden darf, hält Wetsch für unwahrscheinlich. „Ich glaube, dass wir noch lange nicht vor dieser Entscheidung stehen“, sagt der 39-Jährige. Es sei eher die Gesamtsituation, vor der er großen Respekt habe. Irgendwann sei es vielleicht trotz der Schaffung zusätzlicher Intensivbetten schwierig, jeden Patienten optimal zu behandeln, we il das qualifizierte Personal fehle. Das seien alles vermeidbare Probleme, die in einer Krise möglicherweise unvermeidbar würden. Wetsch: „Ich glaube, dass wir ganz besonders leistungsfähig sind, und diese Leistungsfähigkeit hat einen hohen Preis.“Die Zukunft
Die Uniklinik könne die Zahl der intensivmedizinischen Betten zur Not auf deutlich mehr als 200 verdoppeln, die Pläne dafür gebe es, sagt Klinikdirektor Böttiger. Aber auf die Intensivkapazitäten zu schauen und zu sagen, so lange wir genug Betten haben, schaffen wir das, das sei nicht der richtige Ansatz. „Für mich erscheint die Situation eher so, als würde man sagen, warum sollte man nicht 80 km/h in geschlossenen Ortschaften fahren dürfen; dann sterben vielleicht ein paar mehr Menschen, aber 50 km/h schränkt doch unsere Freiheit ein.“ Es treffe eben nicht nur einen selbst. Die verordneten Einschränkungen des öffentlichen Lebens seien daher nicht ausreichend, sagt B öttiger. „Man muss weiter darauf einwirken, dass sich die Menschen anders verhalten. Denn das, was wir gerade erleben, ist vielleicht erst der Anfang.“