Seine Karriere als Fußballlehrer drohte in jungen Jahren ins Stocken zu geraten, ehe Tomasz Kaczmarek (37) in sein Heimatland Polen ging und durchstartete. Nun spielt er mit Lechia Danzig in der Conference League. Tobias Carspecken sprach mit dem ehemaligen Trainer von Viktoria und Fortuna Köln.
Herr Kaczmarek, wo erreichen wir Sie gerade?
Ìch bin auf Heimatbesuch in Köln. Als ich Anfang 2020 nach Polen gegangen bin, sind meine Frau und meine Tochter in Köln geblieben. Wir haben uns hier eine gute Basis geschaffen. Meine Frau hat einen guten Job in der Telekommunikationsbranche, meine Tochter geht in die erste Klasse. Das wollten wir nicht aufgeben für meine Arbeit in einer Branche, die alles andere als stabil ist. Was die Sache enorm erleichtert: Danzig ist als touristische Stadt zum Pendeln hervorragend geeignet, weil es viele Flugverbindungen gibt.
Zur Person
Tomasz Kaczmarek, geboren am 20. September 1984 in Breslau, ist seit dem 1. September 2021 Cheftrainer des polnischen Erstligisten Lechia Danzig. Mit dem von Viktoria Kölns Mäzen Franz-Josef Wernze als Hauptaktionär unterstützten zweimaligen polnischen Pokalsieger gelang Kaczmarek gleich in seiner ersten Saison der Einzug in die erste Qualifikationsrunde zur Europa Conference League. Erste Erfahrungen in der Ekstraklasa sammelte Kaczmarek bei Pogon Stettin, wo er von Januar 2020 bis August 2021 als Co-Trainer tätig war. Vor dem Wechsel in sein Heimatland war der Deutsch-Pole Cheftrainer beim SC Fortuna Köln, bei den Stuttgarter Kickers sowie beim FC Viktoria Köln. Zudem arbeitete der frühere Amateurkicker (u.a. FC Junkersdorf und SpVg Porz) als Co-Trainer bei Stabaek IF in Norwegen und bei der ägyptischen Nationalmannschaft sowie zu Beginn in der Jugend des Bonner SC. (tca)
Können Sie die Sommerpause nach dem Einzug ins internationale Geschäft genießen?
Für unseren Verein ist die Qualifikation für die Conferene League etwas absolut Besonderes. Lechia Danzig ist – gemessen an seiner Tradition – ein großer Verein, der in seiner rund 75-jährigen Historie zweimal europäisch gespielt hat. In der Budget-Tabelle bewegen wir uns zwischen Platz sechs und acht. Rang vier ist sportlich daher ein richtig guter Erfolg.
Was sind die Erfolgsfaktoren?
Wir haben richtig guten Fußball gespielt, unseren Punkteschnitt im Vergleich zur Vorsaison deutlich verbessert und waren die heimstärkste Mannschaft. Die Leute sind oft begeistert nach Hause gegangen. Wir können zufrieden sein.
War der Schritt nach Polen also genau richtig für Sie?
Der Schritt war gut für mich – auch wenn er im ersten Moment nicht ganz freiwillig war, so ehrlich muss ich sein. Nach der Entlassung bei Fortuna Köln (der damalige Drittligist trennte sich im April 2019 im Abstiegskampf von Tomasz Kaczmarek, Anm. d. Red.) habe ich gespürt, dass ich mich beruflich in einer sehr anspruchsvollen Situation befand. Ich habe gemerkt, dass es für mich sehr schwer wurde, einen guten Verein in Deutschland zu finden. Andererseits wollte ich nicht ewig warten. Ich wollte im Geschäft bleiben. Deshalb habe ich ein Dreivierteljahr später als Co-Trainer von Kosta Runjaic (ehemaliger Trainer von 1860 München, Kaiserslautern, Duisburg und Darmstadt, d. Red.) bei Pogon Stettin angefangen. Zu Beginn der Saison 2021/22 ergab sich schließlich die Chance, als Cheftrainer bei Lechia Danzig einzusteigen.
Wie gefällt Ihnen die polnische Liga?
Es macht Spaß. Das sportliche Niveau ist stabil. Ich vergleiche es mit der Zweiten Bundesliga in Deutschland und bin überzeugt, dass sich die polnische Liga in den nächsten Jahren noch weiter entwickeln wird. Die Ekstraklasa ist inzwischen auch eine gute Exportliga geworden. Die meisten Transfers aus Polen gehen nach Italien. Zudem haben Transfers in die US-amerikanische MLS in den letzten drei, vier Jahren extrem zugenommen. Polen bildet gute junge Spieler aus. Ein Beispiel dafür ist Jakub Kaminski von Lech Posen, der nun zum VfL Wolfsburg gewechselt ist. Und: In Polen sind im Zuge der Euro 2012 tolle Stadien entstanden. Die Arena in Danzig ist unfassbar. Hier arbeiten zu dürfen ist eine Ehre für mich.
Wie hat sich Lukas Podolski in seiner Premieren-Saison bei Gornik Zabrze geschlagen?
Poldi hat eine richtig gute Saison gespielt (9 Tore und 4 Vorlagen in 27 Spielen, d. Red.) und mehrere Partien im Alleingang entschieden. Er hat mit dem erfahrenen Jan Urban einen Trainer, der genau weiß, wie man Poldi führen muss. Man spürt, dass da jemand auf dem Platz steht, der 130 A-Länderspiele für Deutschland bestritten hat.
Wo soll es für Lechia Danzig perspektivisch hingehen?
Lechia will immer um die Top Fünf kämpfen. Mein persönliches Ziel ist, den Verein wieder näher an die führende Gruppe um Legia Warschau und Lech Posen sowie die aufstrebenden Clubs Pogon Stettin und Rakow Tschenstochau heranzuführen.
Was ist in der Conference League möglich?
Als polnischer Verein muss man in den vier Qualifikationsrunden alles richtig machen, um sich am Ende für die Gruppenphase zu qualifizieren. Es ist aber nicht ausgeschlossen.
Wäre der 1. FC Köln ein Traumlos für Sie?
Ich musste schmunzeln, als ich über diese Möglichkeit nachgedacht habe. Schließlich wohne ich nur 500 Meter vom Rhein-Energie-Stadion entfernt. Der FC als Gegner in den Playoffs zur Gruppenphase – das wäre eine spannende Geschichte. Aber dafür müssen wir vorher noch ein paar Spiele gewinnen.
Ex-FC-Profi Christian Clemens steht nach halbjähriger Vereinslosigkeit seit Februar bei Lechia unter Vertrag. Wie macht er sich?
Chrille hat durch Verletzungen und Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren nicht so viel gespielt. Deshalb war er bei uns bislang noch nicht in seinem Top-Rhythmus. Ich habe aber sehr große Hoffnung, dass er mit einer kompletten Saisonvorbereitung in seinen Rhythmus finden und zu einem Schlüsselspieler für uns wird. Im Training sieht man jedenfalls schon, warum drei Bundesligisten Ablöse für ihn bezahlt haben.
Wie nehmen Sie den Krieg in Polens Nachbarland, der Ukraine, wahr?
Man spürt, dass Polen noch einmal näher am Kriegsgeschehen dran ist. Die polnische Regierung ist extrem hilfsbereit und hat bislang 3,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Das ist eine enorme Zahl.
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Gab es auch aus sportlicher Sicht schon Berührungspunkte mit dem Thema?
Der ukrainische Topclub Schachtjor Donezk hat auf seiner „Global Tour für Frieden“ für ein Benefizspiel in Polen gastiert. Das war ein Riesen-Ereignis im Danziger Stadion mit großer Symbolik – und auch ein unfassbar gutes Fußballspiel.
Wie gestaltet sich die Situation in Danzig selbst?
Direkt am Danziger Stadion steht seit drei Monaten ein riesengroßes Hilfszelt, vor dem sich jeden Tag eine superlange Schlange mit ukrainischen Flüchtlingen bildet. In Danzig leben aktuell 40 000, 50 000 Flüchtlinge. Die Schlange vor dem Zelt wird von Woche zu Woche länger. Wenn du morgens zur Arbeit kommst und abends wieder nach Hause fährst und jedes Mal diese Schlange siehst, dann spürst du hautnah, welche Tragik dieser Krieg hat und welchen Einfluss er auch auf das Schicksal von Familien nimmt.
Verspüren Sie Angst?
Das kann man nicht verdrängen. Rund 100 Kilometer Luftlinie von Danzig entfernt werden in Kaliningrad Raketentests durchgeführt. In der Geschichte des polnischen Landes mussten wir zwischen Russland und Deutschland immer sehr, sehr hart darum kämpfen, um zu existieren. Wir wurden öfters angegriffen. Das Wissen, in der Nato zu sein, gibt uns zwar ein Stück mehr Sicherheit. Man spürt aber, dass Sorge und Angst bei den Polen mitschwingen. Diese Gespräche finden auch bei uns in der Kabine statt.