- Im Frühjahr zählte Stefan Leitl noch zu den Trainerkandidaten beim 1. FC Köln.
- Am Freitag (20.30 Uhr, DAZN) kommt der 44-Jährige nun mit Außenseiter SpVgg Greuther Fürth ins Rheinenergiestadion.
- Tobias Carspecken unterhielt sich mit dem Neuling unter den Bundesliga-Coaches.
Herr Leitl, wie intensiv hatten Sie sich im Mai eigentlich schon auf den 1. FC Köln als Relegationsgegner vorbereitet?
(lacht) Wir waren natürlich auf alle drei möglichen Relegationsgegner sehr gut vorbereitet. Ich muss aber gestehen: Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, direkt aufzusteigen, weil Köln für uns in der Analyse damals der stärkste Gegner war, den wir in der Relegation hätten erwischen können.
Der 5:1-Sieg des FC im Relegation-Rückspiel bei Holstein Kiel dürfte Sie bestätigt haben.
Definitiv, das hat unsere Meinung bestätigt. In der Relegation wäre es sicherlich sehr schwer geworden. Wir mussten aber unseren Teil dazu beitragen, dass wir direkt aufgestiegen sind. Deshalb haben wir es auch verdient geschafft.
In den Jubel über den Aufstieg hinein haben Sie Ihren Verbleib zunächst offen gelassen – trotz eines Vertrages bis 2023. Warum haben Sie gezögert?
Wir hatten eine sehr intensive Zeit, waren in Quarantäne und wussten bis zum letzten Spieltag nicht, ob wir in die Erste Liga gehen oder in der Zweiten Liga bleiben. Man kann sich sicherlich auch vorstellen, welche Spuren Corona bei einem Verein unserer Größe hinterlassen hat.
Zur Person
Stefan Leitl, geboren am 29. August 1977 in München, ist seit Februar 2019 Cheftrainer der SpVgg Greuther Fürth. Mit dem Kleeblatt feierte er in diesem Sommer den Bundesliga-Aufstieg. Damit ist er der zweite Trainer, dem dies nach Mike Büskens gelang. Seine ersten Erfahrungen als Coach sammelte Leitl beim FC Ingolstadt, wo er über die U17 und die zweite Mannschaft den Sprung an die Seitenlinie des Zweitliga-Teams schaffte. Ausgebildet in der Jugend des FC Bayern, absolvierte der frühere offensive Mittelfeldspieler 191 Zweitliga-Partien (29 Tore, 25 Vorlagen) für den 1. FC Nürnberg, die SpVgg Unterhaching und Ingolstadt. Im Oberhaus trug er fünfmal das Trikot des FCN. (tca)
Für unseren Klub, die Stadt und die Region war es sehr wichtig, in die Bundesliga aufzusteigen. Das musste erstmal verarbeitet werden. Genauso verliefen auch die Gespräche mit Rachid Azzouzi (Geschäftsführer Sport, Anm. d Red.). Es gab keinen Wechselwunsch oder sonstige Sachen, die da hineininterpretiert wurden. Es war einfach mal an der Zeit, drei, vier Tage durchzuatmen, um das Ganze sacken zu lassen.
Welche Rolle haben bei diesen Gesprächen die bereits feststehenden Abgänge der Leistungsträger David Raum (TSG Hoffenheim), Paul Jaeckel (1. FC Union Berlin) und Sebastian Ernst (Hannover 96) gespielt?
Wir wussten, dass wir drei Stammspieler verlieren. Wir haben dann auch noch Anton Stach abgegeben, was für den Verein aus finanzieller Sicht sehr wichtig war, insbesondere nach der schweren Corona-Zeit (der defensive Mittelfeldspieler wechselte für 3,5 Millionen Euro Ablöse zum 1. FSV Mainz 05, Anm. d. Red.). Dann musst du natürlich Lösungen finden, um konkurrenzfähig zu bleiben. Das war Teil der Gespräche, die wir nach der Saison geführt haben.
Wie schwer fällt es Ihnen, diese Verluste zu akzeptieren?
In den zwei Jahren davor haben wir darauf verzichtet, Spieler zu verkaufen. Weil wir wussten, dass wir uns stabilisieren können und besser abschneiden müssen als in den Jahren zuvor. Das ist uns gelungen und wurde mit dem Aufstieg gekrönt. Ich akzeptiere diesen Weg und gehe ihn zu 100 Prozent mit. Das ist der Fürther Weg. Nur so kann dieser Verein existieren. Deshalb gilt es für uns, immer wieder neue und gute Lösungen zu finden und den nächsten jungen Spielern die Chance zu geben, sich zu zeigen – in dieser Saison auf dem qualitativ höchsten Niveau, das es in Europa gibt.
Dennoch wurde am Ende der Transferperiode viel Erfahrung nachverpflichtet mit dem ehemaligen niederländischen Nationalspieler Jetro Willems, seinem Landsmann und Innenverteidiger Nick Viergever, Sechser Sebastian Griesbeck und Torjäger Cedric Itten.
Es war ein sehr schwieriges Transferfester, das muss man ganz klar sagen. Trotzdem hat Rachid Azzouzi mit den vorhandenen Möglichkeiten das Optimale herausgeholt. Wir werden uns den Klassenerhalt nicht erkaufen können. Wir müssen ihn als Team erreichen, uns entwickeln und anpassen und nah an unsere Leistungsgrenze gehen. Deshalb war es für uns am Ende der Transferperiode wichtig, diese Spieler hinzuzubekommen. Wir haben viel Substanz verloren, das musst du auch erstmal auffangen.
Sie waren nach unseren Informationen im Sommer einer der Kandidaten auf das Traineramt beim 1. FC Köln. Wie genau haben Sie diese Option geprüft?
(lacht) Ihr habt einen guten Trainer.
Hätte Sie die Aufgabe beim FC denn gereizt?
Steffen Baumgart ist am richtigen Ort. Ich habe großen Respekt vor seiner Arbeit. Ich bin froh und glücklich in Fürth.
Überrascht Sie der starke Saisonstart Ihres kommenden Gegners?
Nein. Der FC hat eine klare Handschrift und Spieler, die sich mit der Philosophie total identifizieren. Die Art und Weise, wie Fußball gespielt wird, begeistert das Kölner Publikum und sorgt gerade zu Hause für eine große Euphorie. Es ist alles schlüssig und macht Sinn. Von außen betrachtet sieht es aktuell einfach gut und rund aus.
Sie haben in der vergangenen Zweitliga-Saison gegen den SC Paderborn und Steffen Baumgart vier Punkte geholt. Wie lässt sich das Spielsystem des FC entschlüsseln?
Es waren Duelle mit offenem Visier und einer hohen Intensität. Davon lebt auch unser Spiel, gerade in der vergangenen Saison. Mit dieser Philosophie sind wir aufgestiegen. Jetzt begegnen wir uns allerdings unter anderen Voraussetzungen. Trotzdem wollen wir versuchen, wieder mutig zu sein, ähnlich wie wir es im Heimspiel gegen Bayern München (1:3) waren. Das war ein gutes Spiel von uns. Jetzt geht es darum, diese Leistung zu bestätigen und sie am Freitag wieder auf den Platz zu bringen.
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Wie nah dran war dieses Spiel an Ihrer Vorstellung von Fürther Bundesliga-Fußball?
Schon sehr nah. Wir haben hier über fast drei Jahre hinweg eine Philosophie hineingebracht, wie wir Fußball spielen und wirken wollen und dabei Werte vermittelt. Aufgrund der ersten Saisonspiele waren wir dazu gezwungen, ein bisschen anders zu spielen, um Stabilität hineinzubekommen. Man hat gesehen, dass wir auch physisch einen Schritt nach vorne gekommen sind und dass das mutige Spiel gegen den Ball viele Vorteile für uns bringt. Jetzt gilt es, das mit einem guten Ergebnis zu unterstreichen. Selbstvertrauen kannst du dir nur mit guten Ergebnissen holen.
Nur ein Punkt aus sechs Spielen: Haben Sie sich die Aufgabe etwas weniger schwer vorgestellt?
Das tatsächlich nicht. Wir sind jedoch nicht zufrieden, das ist ganz klar. Man muss die Spiele aber einzeln betrachten. Wir haben ein sehr gutes Heimspiel gegen Arminia Bielefeld (1:1) gezeigt. Auch bei Hertha BSC (1:2) waren wir gut. Das sind die drei Punkte, die aktuell fehlen. Mit vier Punkten auf dem Konto würde jeder in Fürth von einem sehr guten Start sprechen. Das Ziel für die kommenden Wochen lautet, diese Punkte aufzuholen.
Wie kompliziert ist der Spagat zwischen Entwicklung und Resultaten?
Jeder Spieler nimmt eine deutlich bessere Entwicklung, wenn du positive Ergebnisse erzielst und das Spiel von Erfolgserlebnissen gekrönt wird. Das ist aktuell leider noch nicht der Fall. Die Art und Weise, wie die Mannschaft in den Spielen auftritt und täglich im Training arbeitet, ist jedoch sehr gut. Seitdem ich hier bin, haben wir mit Jamie Leweling und Maximilian Bauer die U21-Nationalspieler Nummer vier und fünf herausgebracht. Für einen Verein wie die SpVgg Greuther Fürth ist das aller Ehren wert. Das unterstreicht, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Klar ist aber auch, dass wir uns aktuell in einer Liga wiederfinden, die für den Verein eine große Herausforderung darstellt.
Was muss geschehen, damit es nicht wie 2013 nach dem ersten Fürther Bundesliga-Aufstieg zum direkten Wiederabstieg kommt?
Es muss einfach alles passen. Im ersten Schritt müssen wir in die Punkte kommen und regelmäßig punkten, damit die Distanz nicht zu groß wird. Auf die Zukunft bezogen müssen wir zu Hause deutlich mehr Punkte holen. Nur so werden wir am Ende eine realistische Chance haben, die Liga zu halten.
Wäre der Klassenerhalt eine Sensation?
Wenn wir es tatsächlich schaffen sollten, wäre das eine Sensation. Schon der Aufstieg war herausragend. Der Klassenerhalt würde dem Weg der vergangenen drei Jahre die Krone aufsetzen.
Zählen Sie den FC zu den Konkurrenten im Abstiegskampf?
Nein, das tue ich nicht. Die Mannschaft wird sich noch mehr stabilisieren. Wenn die Kölner ihre PS, die Steffen Baumgart vermittelt, auf den Platz bringen, werden sie sich am Saisonende irgendwo im Mittelfeld aufhalten.
Sie sind der bereits siebte Fürther Trainer seit Mike Büskens Ende 2009. Welche Spuren möchten Sie als Neuling unter den Bundesliga-Trainern hinterlassen?
Auch für mich persönlich ist es etwas ganz Besonderes, in der Bundesliga arbeiten zu können. Es geht aber nicht darum, persönlich Spuren zu hinterlassen. Über allem steht der Erfolg des Vereins. Wir wollen versuchen, die Liga zu halten und sichtbar zu machen, welche Philosophie wir verfolgen.
Der FC darf am Freitag auf 44.000 Zuschauer aufstocken. Wie groß ist die Fürther Vorfreude auf ein Flutlichtspiel im Rheinenergiestadion?
Für uns muss jedes Spiel in der Bundesliga ein Festtag sein. So gehen wir das Spiel auch an. Ich freue mich richtig auf dieses Spiel. Es wird eine hervorragende Stimmung sein. Ich bin überzeugt, dass wir unseren Teil dazu beitragen, dass es ein schöner Fußballabend wird.
Steffen Baumgart sieht seine Mannschaft nicht als Favorit.
Rein tabellarisch sind die Kölner natürlich der Favorit. Sie spielen zu Hause, wir sind ein Aufsteiger. Es ist für uns aber nichts Neues, als Außenseiter in eine Partie zu gehen. Deshalb können wir uns mit dieser Rolle anfreunden. Es wird wichtig sein, dass wir unser Spiel auf den Platz bekommen, dass wir den FC vor Aufgaben stellen und dass wir diese Intensität mitgehen, die im Spiel definitiv herrschen wird.