Friedhelm Funkel hat seine Rettermission beim akut abstiegsbedrohten Fußball-Bundesligisten 1. FC Köln gestartet. Mit Martin Sauerborn und Tobias Carspecken sprach der Trainer-Routinier über seine ersten Eindrücke, seine Herangehensweise und seinen Einstand am Samstag (18.30 Uhr, Sky) im Derby bei Bayer 04 Leverkusen.
Herr Funkel, wo wären Sie jetzt gewesen, wenn es kein Corona gegeben hätte?
Zusammen mit meiner Frau hatte ich mir vorgenommen, für acht, zehn Wochen nach Neuseeland zu reisen, um das Land mit dem Wohnmobil zu erkunden. Oder nochmal nach Namibia, wo es uns gut gefallen hat. Botswana wäre auch ein Ziel gewesen, das Land soll noch tierreicher sein. Wenn man 50 Jahre gearbeitet hat, dann kann man diese Annehmlichkeiten ruhig auch mal genießen.
Wann ist bei Ihnen der Gedanke gereift, doch noch mal als Trainer zu arbeiten?
Das war im Herbst, nachdem ich eine Anfrage aus dem Ausland bekommen habe. Die Freizeitmöglichkeiten zu Hause sind Corona-bedingt nun mal geringer worden. Freunde kann ich auch nicht mehr treffen. Und meine Frau ist berufstätig, sie ist fast den ganzen Tag weg.
Wo wäre die Stelle im Ausland gewesen?
In der Türkei. Aber das Ausland ist nichts für mich, das sieht man ja auch an meinem Lebenslauf. Die zweite Anfrage kam aus China. Aber so weit weg zu sein von meiner Heimat, vom Niederrhein – das ist einfach nichts für mich.
Corona bringt noch eine Änderung für Sie. Am Samstag in Leverkusen steht Ihr erstes Geisterspiel überhaupt an. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Das weiß ich noch nicht so genau. Ich bin ein Trainer, der an der Seitenlinie sehr impulsiv agiert und auch viele Dinge rein ruft, die man besser nicht hören sollte (lacht). Wenn ein Mikrofon zu nah an der Coachingzone stand, habe ich mir rausgenommen, es einfach weiter wegzustellen. Jetzt muss ich mir meine Wortwahl genau überlegen. Das wird eine riesige Umstellung für mich. Wann wird ein Trainer eigentlich gesperrt?
Zur Person
Friedhelm Funkel (67) ist seit Montag zum zweiten Mal in seiner Karriere Trainer des 1. FC Köln. Der Vertrag läuft nur bis Saisonende. Von Februar 2002 bis Oktober 2003 stand der gebürtige Neusser schon einmal an der Seitenlinie des FC. Vor seiner Rückkehr ans Geißbockheim war er von 2016 bis 2020 bei Fortuna Düsseldorf tätig.
Weitere Stationen als Fußballlehrer waren der TSV 1860 München (2013-2014), Alemannia Aachen (2011-2012), der VfL Bochum (2010-2011), Hertha BSC Berlin (2009-2010), Eintracht Frankfurt (2004-2009), Hansa Rostock (2000-2001), der MSV Duisburg (1996-2000) und der KFC Uerdingen (1990-1996).
Insgesamt stehen 509 Bundesliga-Spiele als Coach in seiner Vita. Zu aktiven Zeiten lief der frühere Mittelfeldspieler im Profi-Bereich für Uerdingen (1973-1980, 1983-1990) und den 1. FC Kaiserslautern (1980-1983) auf. (tca)
Nach der vierten Gelben Karte.
So viele Karten kann ich gar nicht bekommen, weil es nicht mehr so viele Spiele sind. Aber es kann durchaus sein, dass ich die eine oder andere Karte kassieren werde. Wenn ich mein Temperament komplett herunterfahren würde, dann wäre ich nicht mehr ich selbst.
Was erwarten Sie atmosphärisch, ganz ohne Fans?
Das ist das einzige, worauf ich mich nicht freue. Am Samstag wären normalerweise 10.000 Kölner in Leverkusen. Dass dies nun nicht so sein wird, bedauere ich sehr. Die Fans mit all ihren Emotionen waren immer eine große Hilfe für unseren Club.
Sie haben Ihren Ruhestand für eine schwierige Retter-Mission beendet. Was reizt Sie an der Aufgabe?
Der FC als Club. Und auch die Möglichkeit, für einige Wochen wieder jeden Tag in Köln zu sein. Dabei zu helfen, für den Club einen positiven Abschluss hinzukriegen. Das bedeutet, in der Bundesliga zu bleiben. Es wird schwer, das ist mir bewusst.
Wie sind Ihre bisherigen Eindrücke?
Als ich am Montagmorgen das erste Mal wieder auf dem Trainingsplatz am Geißbockheim stand, sind schöne Erinnerungen hochgekommen. Zudem habe ich eine Mannschaft mit guten Typen und einem sehr positiven Charakter kennengelernt – trotz aller Nackenschläge, die sie bereits wegstecken musste. Die Spieler sprechen viel miteinander. Aber sie müssen in den nächsten Spielen auf dem Platz lauter werden.
Wie genau können Sie helfen?
Ich will versuchen, mit meiner offenen, positiven Art den einen oder anderen Prozentpunkt mehr bei den Spielern herauszuholen und sie dazu zu bringen, das Glück zu erzwingen. Man kann nun wahrlich nicht sagen, dass wir in den vergangenen Spielen Glück hatten.
Was ist tabellarisch noch möglich?
Wir müssen alles versuchen, um mindestens den Relegationsplatz zu erreichen. Natürlich können wir auch 15. werden und uns direkt retten, wenn die Konkurrenz in eine Negativserie gerät und wir unsere Spiele gewinnen. Aber man muss auch die Reihenfolge der letzten sechs Spiele sehen. Ich bin kein Phantast, sondern Realist.
Das könnte Sie auch interessieren:
Sie sind sehr erfahren im Umgang mit schwierigen Situationen. Was ist jetzt wichtig?
Ruhe auszustrahlen und viele Gespräche mit den Spielern zu führen. Ich bin jemand, der auch gut zuhören kann. Einige Spieler haben sehr offen mit mir gesprochen. Sie wissen, dass das, was gesagt wurde, nur bei mir und der jeweiligen Person bleibt.
Wie weit sind Sie mit den Gesprächen?
14, 15 Gespräche habe ich bereits geführt. Ich will von den Spielern hören, was sie denken. Sie brauchen keine Angst haben, dass das, was sie sagen, negative Auswirkungen hat. Sie können offen sein. Und ich möchte auch die Spieler mitnehmen, die bislang weniger gespielt haben. Es geht darum, diese Aufgabe als Gemeinschaft zu lösen.
Was ist Ihnen aufgefallen?
Die Mannschaft ist sehr ruhig und sehr brav. Dies zu ändern, kann ich nicht erzwingen. Ich kann es nur ansprechen. Früher hat man gesagt, dass man Drecksäcke braucht. Das ist heute nicht mehr ganz so. Aber man braucht Spieler, die auch mal dazwischen hauen. Deshalb muss man seine Spieler im Training immer wieder dazu auffordern, aggressiv zu spielen. Auch auf die Gefahr hin, dass sich mal ein Spieler verletzt, wie jetzt Ismail Jakobs. Wenn man Aggressivität im Training nicht einfordert, wird es im Spiel nicht umgesetzt.
In welchem mentalen Zustand befindet sich die Mannschaft nach dem 2:3 gegen Mainz?
Der mentale Zustand ist gut. Ich glaube, dass die Mannschaft das Spiel abgehakt hat. Wir haben trotz allem eine gewisse Lockerheit drin. Das Betriebsklima darf nicht in den Keller gehen. Sonst gewinnt man keine Spiele.
Ein großes Problem sind die vielen leichten Gegentore. Was ist zu tun?
Die Mannschaft hat sich ihre spielerisch gute Leistung gegen Mainz durch leichte Gegentore selbst kaputt gemacht. Wir sind in einer Situation, in der wir uns solche Fehler nicht erlauben dürfen. Wir müssen noch aufmerksamer, noch kompromissloser sein, noch mehr Meter gehen. Es funktioniert nicht, immer alles spielerisch zu lösen. Jeder Spieler hat bei mir das Recht, den Ball auch mal auf die Tribüne oder weit nach vorne zu schlagen, wenn wir dadurch dann kein Gegentor bekommen.
Sie haben bei Ihrem Amtsantritt die Wichtigkeit des Teamgeistes hervorgehoben. Wie schaffen Sie es, einen Spieler wie Emmanuel Dennis noch zu integrieren?
Alles, was vor mir war, spielt keine Rolle mehr. Seitdem ich hier bin, macht Emmanuel Dennis einen guten Eindruck auf mich. Er ist engagiert und hat wirklich gute Anlagen. Ich werde mit den Führungsspielern sprechen, dass wir dieses Thema gemeinsam angehen. Ich alleine schaffe das nicht. Ich stehe schließlich nicht auf dem Platz. Voraussetzung ist aber auch, dass sich der Spieler führen lässt und Dinge von den erfahrenen Spielen annimmt – auch wenn er manchmal anderer Meinung ist. Wenn er das annimmt, wird er eine Hilfe für uns sein.
Warum ist die Mannschaft in diese Negativspirale gekommen?
Weil sie viele Verletzungsprobleme hatte. Der Ausfall von Mittelstürmer Sebastian Andersson war ein entscheidender Faktor. Auch Florian Kainz, Jonas Hector und Sebastian Bornauw sind wichtige Spieler, die lange nicht zur Verfügung standen.
Wie bewerten Sie die Arbeit Ihres Vorgängers Markus Gisdol – jetzt, wo Sie nähere Einblicke haben?
Markus hat gute Arbeit geleistet. Die Mannschaft ist topfit und versucht alles. Er hatte nicht das Quäntchen Glück – und eben verletzte Spieler. Wie souverän er in der Öffentlichkeit mit der Situation und all den Rückschlägen umgegangen ist, finde ich wahnsinnig toll. Davor ziehe ich den Hut.
Waren Sie selbst mal in der Situation, dass über Ihre Nachfolge spekuliert wurde?Natürlich. Bei Eintracht Frankfurt war ich mal in einer schwierigen Situation. Der Vorstandsvorsitzende Heribert Bruchhagen ist immer standhaft geblieben. Dann kam er vor den Spielen gegen Karlsruhe und Cottbus zu mir und sagte: In diesen Spielen müssen wir punkten, sonst können wir nicht weiter zusammenarbeiten. Ich fand diese Ehrlichkeit super. Wir sind gegen Karlsruhe in Rückstand geraten, das ganze Stadion hat gebrüllt: „Funkel raus“. Wir haben das Spiel gedreht und das Siegtor in der Nachspielzeit erzielt. Später ist Heribert zu mir in die Trainerkabine gekommen. Wir haben zusammen geheult. In Cottbus lagen wir zur Pause 0:2 zurück, am Ende haben wir noch 3:2 gewonnen. Auch, weil wir das nötige Quäntchen Glück hatten. Am Ende war ich fünf Jahre bei der Eintracht.
Also haben Sie Markus Gisdol die Daumen gedrückt.
Ich habe mich gefreut, als gegen Mainz die 2:1-Führung gefallen ist. Ich hätte kein Problem damit gehabt, wenn ich nicht noch einmal als Trainer gearbeitet hätte. Ich habe gehofft, dass der FC das Spiel gewinnt. Jetzt ist es anders gekommen.
Nun sind Sie zurück am Geißbockheim. Was lieben Sie an dem Club?
Ich liebe das Leben hier in Köln und beim FC und habe mich hier immer wohl gefühlt. Es gibt viele ehemalige Spieler, ungefähr in meinem Alter, mit denen ich zwischendurch immer wieder Kontakt habe. Und natürlich liebe ich den Karneval, der mich eng mit Köln verbindet.
Lieber Schützenfest in Neuss oder Karneval in Köln?
Ganz klar Karneval. Er ist vielfältiger, ich liebe die Musik. 2020 war ich drei Tage in Köln, von Karnevalssamstag bis -montag. Das können die Leute ruhig wissen, sie haben mich ja gesehen. Es war richtig schön.