Bergheim-Quadrath-Ichendorf – Die Nachricht löste bei vielen Menschen Freude aus. Das Hochhaus an der Frenser Straße, dieser „Schandfleck“, wie er bezeichnet wurde, wird von der Stadt gekauft und soll abgebrochen werden. Die Fläche soll „einer öffentlichen Nutzung“ zugeführt werden, heißt es. Wie viele Parteien genau dort zurzeit wohnen, ist nicht bekannt. Die Rede war zuletzt von knapp mehr als 40.
Manche Menschen im Hochhaus leben in üblen Zuständen, auch mit Kindern. „Wir sitzen hier mit dicken Decken und Pullovern“, sagt Marco Ertl. Seit Oktober, berichtet er, sei im gesamten Haus die Heizung ausgefallen. Der 27-Jährige wohnt mit seiner Mutter (56) seit 2001 im siebten Stockwerk. Er habe selbstständig eine Mietminderung vorgenommen, darauf seien Mahnungen vom Vermieter, der Adler Real Estate AG aus Berlin, eingetroffen.
Quadrath-Ichendorf: Mieter sind sauer auf Vermieter
Das Unternehmen bestätigt auf Anfrage, dass Ende vergangenen Jahres „die zentrale Heizungsverteilleitung [...] so beschädigt wurde, dass die Heizsysteme insgesamt abgestellt werden mussten“. Weil während der Heizperiode großflächige Arbeiten am Heizverteilnetz nicht hätten ausgeführt werden können, habe Adler den Mietern „in ausreichender Menge Ölradiatoren als Überbrückungslösung zur Verfügung gestellt“. Inzwischen habe man die Heizkostenvorauszahlung reduziert.
Für Marco Ertl ist das ein Witz. Seine Vorauszahlung wurde von rund 70 auf 30 Euro herabgesetzt. Die Stromkosten für die Radiatoren muss er selbst bezahlen. „Wir hoffen, Ihnen damit angemessen entgegengekommen zu sein, um die erhöhten Stromkosten der Ölradiatoren zu decken“, heißt es im Schreiben von Adler an Ertl.
Für Ertl ist das aber nicht angemessen: „Wenn ich keine Heizung habe, möchte ich auch keine bezahlen“, sagt er. Adler begründet den Teilerlass mit Kosten für „Zusatzleistungen wie zum Beispiel Rauchwarnmelder“. Für ihn, so hat Ertl ausgerechnet, sind die Stromkosten durch die Radiatoren für seine 83 Quadratmeter um mehr als 50 Prozent gestiegen. Wann die Heizung wieder funktionieren wird, konnte Adler nicht beantworten.
Bewohner finden keine neuen Wohnungen in Bergheim
Es werde nicht einfach, eine neue Wohnung zu finden, die er bezahlen könne, sagt der junge Mann. Ertl ist arbeitslos. „Wir finden bisher nichts Passendes“, sagt er. Doch nicht nur er beklagt sich: Bei Necdet Gülec, der den Kiosk im Haus betreibt, tropft es von der Decke, an den Wänden schimmelt es. „Ach, schon seit Jahren“, sagt er angesprochen auf die ausgefallene Heizung und winkt ab. Der 54-Jährige betreibt außer dem Kiosk auch zwei Autowaschanlagen. Er wohnt nicht im Haus.
Gülec hat an der Decke des Nebenraums seines Kiosks eine blaue Plastikplane angebracht, damit das Wasser nicht wieder auf den Boden läuft. Jeden Tag müsse er drei oder vier Eimer Wasser hinaustragen. Er ist wegen der Zustände schon vor Gericht gezogen, erfolglos. Einmal hätte der Vermieter Maler geschickt, die eine verschimmelte Wand überstrichen hätten. „Aber wofür, wenn es drei Monate später wieder so aussieht“, sagt Gülec.
„Das ist in meinen Augen eine Gefährdung des Kindeswohls“
Achim Brauer, Fraktionsvorsitzender von MDW! – Die Linke, hat sich nach der Abstimmung im Rat über den Ankauf des Hochhauses ein Bild gemacht und ist mit dort wohnenden Familien ins Gespräch gekommen. Dabei seien ihm kranke Kinder begegnet. Er hat Bürgermeister Volker Mießeler zum Thema Kindeswohlgefährdung geschrieben. „Das ist in meinen Augen eine Gefährdung des Kindeswohls und eine Schande für Bergheim“, schreibt er. Brauer wollte wie die Grünen eine Sanierung des Gebäudes statt des Abbruchs. (nip)
Durch seine Autowaschanlagen sei er auf den Kiosk nicht unbedingt angewiesen, sagt er. Wenn er raus muss, sobald der Abbruch ansteht, wird er ihn wohl nicht mehr an anderer Stelle eröffnen. Verärgert wirkt Gülec nicht, eher resigniert: „Man zahlt Miete, aber nichts wird unternommen. Und vor allem die Bewohner leider darunter.“
Adler teilt mit, dass der Wasserschaden seit geraumer Zeit behoben sei und die beauftragte Firma am heutigen Mittwoch mit den Instandsetzungsarbeiten beginne. „Das bedeutet aller Erfahrung nach, dass Wände und Decke zunächst getrocknet und danach instandgesetzt werden“, heißt es.
Das sagt die Bergheimer Stadtverwaltung zum „Schandfleck“
Der Stadtverwaltung sei die Situation im Hochhaus bekannt, heißt es aus dem Bergheimer Rathaus: „Unter anderem wegen des Heizungsausfalls wurden in mehreren Verfahren im November/Dezember 2020 bereits wohnungsaufsichtsrechtliche Instandsetzungsanordnungen gegen die Verfügungsberechtigten erlassen.“ Für die Heizung sei auch die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet worden. Die Verfahren lägen beim Kölner Verwaltungsgericht. Erst wenn die Angelegenheit gerichtlich geklärt sei, könne man weiter vorgehen, zum Beispiel mit Zwangsgeld.
Die Mietern will die Stadtverwaltung bei der Suche nach einer neuen Bleibe „mit allen zur Verfügung stehenden und möglichen Mitteln unterstützen“. Das städtische Jugendamt sei Familien dort immer wieder bei der Suche nach neuen Wohnungen behilflich gewesen.
Zwar stelle ein Schimmelbefall grundsätzlich eine Gefährdung der Gesundheit dar, das allein sei jedoch keine Rechtsgrundlage für das Einschreiten des Jugendamts.