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Die GrünenWie der rasante Zuwachs in Rhein-Berg die Partei verändert hat

Lesezeit 5 Minuten

Einen rasanten Zuwachs haben Rhein-Bergs Grüne in den vergangenen drei Jahren erlebt. Und sie haben darauf reagiert.

Rhein-Berg – Schon bei der Europawahl 2019 konnten sie kaum fassen, dass sie kreisweit ein Top-Ergebnis erzielt hatten, in Rösrath mit 28,2 Prozent sogar die CDU hinter sich gelassen hatten. Vor anderthalb Jahren holten sich die Grünen in der Sülztalstadt auch den Rathaussessel und regieren zudem nach der Kommunalwahl 2020 auch in Bergisch Gladbach, Overath und wie schon davor im Kreistag mit. Seit der Bundestagswahl 2021 haben sie mit dem Gladbacher Maik Außendorf zudem den ersten rheinisch-bergischen Bundestagsabgeordneten der Grünen in Berlin. Wie sind die Grünen im Kreis mit diesem rasanten Aufstieg klargekommen und umgegangen?

Schließlich hatten sich selbst Spitzenvertreter der Partei vor zwei Jahren noch vorsichtig gezeigt, wie man nach dem Europawahl-Coup 2019 überhaupt alle Positionen zur Kommunalwahl im folgenden Jahr gut besetzen könnte . . .

Neu aufgestellt mit neuer Doppel-Spitze

Die Grünen haben auf eine komplette Neuaufstellung gesetzt, die nach der Kommunalwahl auch in einer Neubesetzung der Spitze mündete. Diese bilden nun die beiden Co-Vorsitzenden Jörg Wagner, Ministerialdirigent im Bundesumweltministerium und seit seiner Landratskandidatur für die Grünen 2017 im Kreis bekannt, und Stella Laufenberg, junge Psychologiestudentin aus Bergisch Gladbach, die für neue Ideen steht – und für die zahlreichen neugewonnenen Mitglieder der Grünen in Rhein-Berg.

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Jörg Wagner und Stella Laufenberg

Die Mitgliederzahl hat sich schließlich um fast 50 Prozent erhöht, nämlich von 300 Mitgliedern im Jahre 2019 auf jetzt 430. Co-Chef Jörg Wagner spricht im Video-Redaktionsgespräch davon, den „schlafenden Tiger zu wecken“. Die Rede ist von „Professionalisierung“. Auch die Kandidatinnen und Kandidaten für Wahlkreise und Wahlämter werden gecoacht, es werden, wie es Co-Chefin Stella Laufenberg nennt, „administrative Kräfte“, sprich Geschäftsführer, eingestellt, auch um möglichst viele der neuen Mitglieder einzubinden.

Im Vergleich: Die Grünen in Rhein-Berg 2019 und heute

430 Mitglieder haben die Grünen im Rheinisch-Bergischen Kreis heute, 2019 waren es noch 300.

1 grünen Bundestagsabgeordneten haben die Grünen Rhein-Berg bei der Wahl 2021 über die Landesliste ins Parlament bekommen. Es ist der erste grüne Abgeordnete aus Rhein-Berg seit Gründung der Partei.

1 Bürgermeisteramt haben die Grünen bei der Kommunalwahl 2020 in Rösrath mit Bondina Schulze komplett allein erobert.

36,25 Prozent der Stimmen holten sie bei der Kommunalwahl 2020 in Odenthal – nur knapp hinter der CDU (37,55 Prozent). (wg)

Dabei geben Laufenberg und Wagner ein bemerkenswertes Paar ab: „Die Schöne und das Biest“, wie es eine Parteifreundin spöttisch formuliert. Ausdrücklich bittet der Macher-Typ die junge Frau an seiner Seite, ihn schon mal auszubremsen, wenn er mit seinem Abteilungsleiterton junge Parteifreundinnen und -freunde verschreckt, die ja auch Spaß an der Parteiarbeit haben wollten.

Und anders als in anderen Parteien, die auch gemeinsame Bustouren für die (älteren) Mitglieder im Angebot haben, steht auf der Grünen-Homepage unter „Service“ an erster Stelle ein Angebot zum „Konfliktmanagement“.

Durchbruch, Aufbruch, neue Perspektiven: Wenn eine Partei plötzlich ein Bürgermeisteramt besetzt und erstmals im Kreis einen eigenen Bundestagsabgeordneten stellt, verändert das vieles.

Auch inhaltliche Konflikte gilt es zu lösen – oder auszuhalten. In jedem Fall aber zu erklären. Das gilt auch und gerade seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Erst diese Woche sprach Rhein-Bergs grüner Bundestagsabgeordneter Maik Außendorf mit Bürgerinnen und Bürgern darüber, dass vor dem Einmarsch Russlands Waffenlieferungen in die Ukraine abgelehnt, nach Kriegsbeginn allerdings Waffen in die Ukraine geschickt wurden.

Trotz Höhenflug auf dem Teppich geblieben

Maik Außendorf (Grüne)

„Eine Waffenlieferung in die Ukraine hätte vor Kriegsbeginn eine 180-Grad-Wende der deutschen Außenpolitik bedeutet und wäre von Russland als Signal der Aggression und Eskalation gewertet worden“, so Außendorf. „Nach Putins Angriffskrieg, der nicht nur ein Angriff auf die Ukraine, sondern auch auf Frieden, Demokratie und Freiheit in Europa ist, hat sich die Lage verändert.“

Grundsätzlich verändert hat sich auch die Lage bei den Grünen an der Basis. Trotz der rasanten politischen Aufwärtsentwicklung der vergangenen drei Jahre geben sich die Verantwortlichen der Partei alle Mühe, auf dem Teppich zu bleiben.

Ob sie denn nicht genügend euphorisiert wirken, erkundigt sich Kreistagsfraktionschefin Ursula Ehren auf eine Frage nach der Gemütslage. Auch im Kreistag hat sie mit ihrem Fraktionsvorstandskollegen Roland Rickes auf Kontinuität und schon vor der Kommunalwahl auf eine Verlängerung der schwarz-grünen Koalition gesetzt – und auf gemeinsame Sachthemen statt auf profilierende eigene Visionen.

Warum die Grünen auf Demut setzen

„Lieber mit Demut gewinnen als mit Hochmut verlieren“, sagt Kreisparteichef Wagner und schaut auch bereits auf die Landtagswahl im Mai. Viele treibt dabei nicht nur eine pragmatische Lust auf die Macht, sondern eine idealistische Mission. Um die Klimakrise zu mildern und beispielsweise die Energiewende zu schaffen, haben die Grünen das Strickzeug ihrer Väter und Mütter beiseitegelegt und die Ärmel hochgekrempelt. Und: Sie lassen keinen Zweifel daran, dass sie gewinnen wollen.

Die beiden Landtagskandidaten der rheinisch-bergischen Grünen, Andrea Lamberti und Jürgen Langenbucher, würden über die Landesliste ihrer Partei laut Laufenberg zwar erst bei einem derzeit illusorischen Ergebnis von um die 20 Prozent in den Landtag einziehen. Und für Langenbucher dürfte es schwer bis unmöglich sein, dem CDU-Kontrahenten, NRW-Innenminister Herbert Reul, den eher ländlich geprägten Wahlkreis 22, den bislang Rainer Deppe (CDU) innehatte, abzunehmen.

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Aber die im zweiten rheinisch-bergischen Landtagswahlkreis 21 (Bergisch Gladbach/Rösrath) antretende 46-jährige Andrea Lamberti aus Rösrath hat mit CDU-Newcomer Martin Lucke und SPD-Konkurrentin Tülay Durdu eine andere Ausgangsbasis – und realistische Chancen, den Wahlkreis des verstorbenen CDU-Abgeordneten Holger Müller per Direktmandat zu gewinnen. „Wir müssen die Menschen da abholen, wo sie stehen“, sagt die Rösratherin, „und dabei eine klare Sprache ohne viele Fremdworte sprechen.“