Bonns SorgenkindBad Godesberg leidet unter dem Image von Gewalt und „Arabisierung“
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Bad Godesberg – Bad Godesberg wird aktuell gerne als Sorgenkind Bonns bezeichnet. Nun ist die Fallhöhe hoch: Einst Treffpunkt der Wichtigen, hat vor allem die Innenstadt ihr Gesicht verändert. Manche sagen: verloren. Die lokalen Schlagzeilen befeuerten manch ungute Debatte über Gewaltzunahme und Arabisierung.
Nicht wenige Godesberger beobachten diese Entwicklung mit Zorn, sprechen von Dramatisierung und verweisen darauf, dass der Ort aus 13 Stadtteilen und nicht nur der Innenstadt bestehe. Und außerdem sei man längst bemüht, das Image aufzupolieren. Wir treffen Wolfram Kuster in der „lautesten Pizzeria Deutschlands“, wie er behauptet.
Lehrer gründet „GoRespect“
„San Marco“ liegt an der Unterführung, über die die Bundesbahn donnert, praktisch die Trennlinie zwischen dem feinen Villenviertel zum Rhein hin und der anderen Seite, wo die Innenstadt beginnt, die zunehmend arabisch geprägt ist. Kuster, früherer Gymnasiallehrer, hat im Jahr 2001 die Initiative „GoRespect“ gegründet, weil in seiner Geburtsstadt nicht alles so glatt lief, wie man sich das vorgestellt hatte. „GoRespect“ widmete sich dem Thema „Jugendgewalt und Prävention“, eine Initiative, die nach langen Kämpfen mit dafür gesorgt hat, dass es inzwischen über das mobile OneWorld-Café erfolgreiche Straßensozialarbeit gibt.
Die lange nicht nötig war. Als Bonn noch Hauptstadt war, residierte der größte Teil des Diplomatischen Corps in Bad Godesberg. Jahrzehnte klappte das wohlsituierte Multikulti zwischen rheinischem Bildungsbürgertum und den Familien aus aller Herren Länder. Doch kurz nachdem die Regierung gen Berlin gezogen war und mit ihr die meisten Botschaften, wandelte sich auch das Gesicht von Godesberg.
Pfarrer Wolfgang Picken, der unlängst in Bad Godesberg seine letzte Messe feierte, bevor er auf die Stelle des Bonner Stadtdechant wechselte, macht für seinen alten Zuständigkeitsbereich eine spezielle „Radikalität der Gegensätze“ aus und weist darauf hin, dass der soziale Brennpunkt – anders als in vielen Kommunen – sich im Zentrum und nicht am Stadtrand befinde: „Man kann sich in Bad Godesberg nicht aus dem Weg gehen. Das deckt die Kontraste auf und führt zu Konflikten, auch Aggression.“
An der Bahnlinie lässt sich diese Konfliktlinie am deutlichsten festmachen. Zum Rhein hin das Hui, mit den Villen und dem Geld, das dörflich anmutende Leben in Plittersdorf und Rüngsdorf. Westlich der Bahnlinie beklagt Kuster beim Spaziergang durch die Innenstadt das, was er mit einem „Gefühl der Verdrängung“ umschreibt.
Politisch unkorrekt: die Arabisierung Godesbergs. Häufig wechselnde Geschäftsinhaber. Handyläden. Meterlange Schaufensterauslagen mit Wasserpfeifen. Vollverschleierte Frauen. Autovermietungen mit arabischen Schriftzeichen. Indiz für eine weiteres Phänomen der Neuzeit: Medizintourismus aus dem arabischen Raum. Patienten reisen nicht selten mit der ganzen Familie an, immer mehr Wohnungen und Appartements vor Ort werden für diese Klientel vorgehalten. Ein schnelllebiges Geschäft: Jüngeren Berichten zufolge sollen die Medizintouristen der Stadt bereits langsam wieder den Rücken kehren, da ihnen die ärztliche Behandlung hierzulande zu teuer werde.
Gewaltsamer Tod von Niklas P. war Tiefpunkt
Den Tiefpunkt erlebte Godesberg mit dem gewaltsamen Tod von Niklas P.. Pfarrer Picken bemängelt wie viele in Bad Godesberg, Beschreibungen der Gegenwart vermittelten nur allzu oft ein schiefes, unvollständiges Bild. Die Ansiedlung der Dax-Konzerne Deutsche Telekom und DHL, die Gründung des UN-Campus und einiger wissenschaftlicher Institute sowie des Bundesamtes für Cybersicherheit gehöre genauso zur jüngeren Wirklichkeit des Stadtbezirks. „Damit ist der Anteil akademisch gebildeter Bürger und gut verdienender Managementmitarbeiter, auch das Durchschnittseinkommen extrem gestiegen.“ Zugleich hat sich auch der Anteil junger Familien am Ort mit vielen Kindern deutlich erhöht. Nicht nur deutschstämmiger im Übrigen.
Picken verschweigt die sozialen Gegensätze nicht: „Nirgendwo geht in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander wie in Bad Godesberg. Insofern ist Bad Godesberg wie ein Brennglas der bundesrepublikanischen Gesellschaft.“ Gerade das Nebeneinander unterschiedlicher Schichten und Kulturen berge aber auch ein enormes Potenzial. „In Bad Godesberg wimmelt es von Talenten und Begabungen.“ Eine Leitbildkonferenz soll nun Wege aus der Schockstarre aufzeigen. Das „Früher war alles besser“-Lamento führt jedenfalls nicht in die Zukunft.