Interview über Bonn und die Liebe zur Stadt„Was für eine verstaubte Verwaltungsstadt"
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Eine Vision ist Wirklichkeit geworden, am Oberkasseler Rheinufer entstand ein neuer Stadtteil. Wo heute digitale Zukunftskonzepte entwickelt werden und diverse Gastronomie Beschäftigte als auch Ausflügler anlockt, schufteten vor mehr als 150 Jahren noch Arbeiter in der ersten Zementfabrik Deutschlands. 1986 wurde das Werk geschlossen, verkauft und schließlich bis auf die Fabrikantenvilla, die Rohmühle und den Wasserturm abgerissen. Die neue hat die alte Architektur elegant aufgenommen. Vor allem das Kameha-Hotel mit seiner ungewöhnlichen Form sticht ins Auge. Auf 56 000 Quadratmetern Bürofläche arbeiten 3000 Menschen in mehr als 50 Unternehmen. Geistiger Vater des Bonner Bogens ist Jörg Haas.
Herr Haas, wer am Bonner Bogen vorbeigeht, ist fasziniert – aber nach Rheinromantik sieht es ja nicht aus …
Wir wollten mit dem Kameha konzeptionell und architektonisch etwas schaffen, das die Dekade des „Digital Age“ widerspiegelt, eine architektonische Verschmelzung von Design und Technologie, von Altem und Neuem. Symbol dieser Zeit ist Steve Jobs iPhone, in dem Design und Technologie eine Symbiose bilden. Diesen Duktus haben wir in eine Immobilie übersetzt – das Kameha. Diesen Zeitgeist des frühen 21. Jahrhunderts aufzusaugen ist die Idee des Bonner Bogens. Nach 1856 mit Errichtung der Rohmühle wurde Zement revolutionär für die Bauwirtschaft. Nichts wäre in der Baubranche möglich gewesen ohne Zement, Beton, Stahlbeton. Oberkassel war nach England der zweitwichtigste Standort für Zement. Und wir sagten uns: Lass uns wieder eine Innovation hierher bringen, ein Mini-, Mini-, Mini-Silicon-Valley.
Wenn Sie mit dem Schiff von Koblenz kommen, ist das Erste, was Sie von Bonn sehen, die Rohmühle. Der Bogen ist der Bogen, den der Rhein an dieser Stelle nimmt.
Wer oder was treibt Sie an?
Was mich sicher nicht antreibt, sind materielle Fragen – ich habe genug verdient. Aber ich will den unternehmerischen Erfolg. Ein Unternehmen aufzubauen, es erfolgreich ans Laufen zu bringen und zu zeigen, dass man den Markt verstanden, dass man Kundenbedürfnisse erkannt hat – all das ist für mich eine Triebfeder. Kurz gesagt: Ich bin Unternehmer aus Leidenschaft. Ich arbeite viel, aber auch gerne.
Was konkret weckt Ihre Leidenschaft?
Meine berufliche Heimat ist die Digitalisierung, ich habe Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftsinformatik studiert und darin auch promoviert. Mit 25 habe ich das erste Technologieunternehmen gemeinsam mit meinem Freund Rüdiger Wilbert gegründet. Bis heute beschäftigt mich das Entwickeln von Software ...
.. mit welchem Ziel?
Um Menschen bei ihrer Arbeit zu helfen. Daneben haben wir eine Immobiliengesellschaft, mit der wir besondere Standorte entwickeln und außergewöhnliche Immobilien mit Leidenschaft und Lebensgefühl bauen. Wir suchen uns Orte, die aus unserer Sicht etwas Besonderes sind, wie etwa den Bonner Bogen, den Rolandsbogen, das Klosterhotel Marienhöh im Hunsrück mit einem 30-Kilometer-Blick in den Hochwald und über Seen oder das Chaletdorf Bergwiesenglück im Tiroler Paznaun. Der dritte Part unserer Aktivitäten ist die Invite Group mit der wir Hotels und Gastronomie betreiben – ganz überwiegend in unseren eigenen Gebäuden.
Digitalisierung ist ja die Herausforderung unseres Lebens. Was konkret bedeutet das für Sie und Ihre Unternehmen?
Mit Scopvisio entwickeln wir eine Software, um Menschen die tägliche Arbeit zu vereinfachen. Wir transferieren die Philosophie betrieblicher Software, die SAP vor 50 Jahren begonnen hat, in die Zukunft. Mit der Cloud, mit Systemen, die man mobil überall auf der Welt verwenden kann und mit künstlicher Intelligenz, die den Menschen von lästiger und stupider Routinearbeit entlastet. Das ist beispielsweise bei etwa 80 Prozent der Finanzbuchhaltung möglich. Der Mensch bekommt eigentlich nur noch die Vorgänge zu sehen, die in irgendeiner Weise von der Regel abweichen.
Der Mensch wird also durch künstliche Intelligenz entlastet. Und macht sich am Ende überflüssig?
Wir erleben einen enormen demografischen Wandel. Immer mehr ältere Menschen müssen durch immer weniger junge ernährt werden. Aber trotzdem erwarten wir, dass unser Wohlstand stetig steigt. Wie soll das funktionieren, wenn wir die Produktivität nicht deutlich erhöhen? Gesteigerte Produktivität ist der Garant unseres Wohlstandes. Gerade im Verwaltungs- und Dienstleistungsbereich haben wir einen enormen Aufholbedarf. Und jetzt mal ehrlich: Ist es wirklich so erstrebenswert, uns weiter 30, 40, 50 Stunden in der Woche mit Dingen zu beschäftigen, die uns keinen Spaß machen? Eine Gefahr allerdings sehe ich dann doch durch den digitalen Wandel …
Die wäre?
Die absolute Transparenz von uns Menschen mit allem, was wir tun, im Beruflichen wie Privaten. Stellen Sie sich die Gefahren der Überwachung in einer autokratisch oder despotisch geführten Gesellschaft vor. Wir müssen lernen, unsere Privatsphäre viel besser zu verteidigen.
Und wie soll das gelingen?
Zunächst über eine virulente gesellschaftliche Debatte, die dann in technologische Schutzmechanismen einfließt. In der Öffentlichkeit wird überraschend negativ über die Datenschutz-Grundverordnung diskutiert. Dabei handelt es sich um die erste europaweit gültige Regelung, welche uns die Privatsphäre in der digitalen Welt wieder ein Stück weit zurückgeben soll. Auch wenn die Umsetzung der DSGVO schwierig ist und man hier sicherlich einiges noch verbessern kann, so müssen dennoch viel mehr Gesetze her – bundesweit, europaweit, weltweit –, die unsere Privatsphäre schützen. Ich bin immer wieder überrascht, wie unkritisch Menschen mit dem Thema umgehen.
Ein Lob auf Bonn
„Anfangs dachte ich: was für eine verstaubte Verwaltungsstadt. Es fehlte die Aufbruchsstimmung. Nachdem wir dann hingezogen sind, habe ich mich in die Stadt verliebt. Bonn ist eine Stadt, die viele Dinge unfassbar gut miteinander verbindet, sehr überschaubar, sehr kommunikativ. Die Uni öffnet sich zur Region Bonn. Wenn ich die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg dazunehme, gibt es hier 50.000 Studenten – ein Sechstel der Bevölkerung ist jung. Und dann noch die schöne Natur und die abwechslungsreiche Landschaft. Manchmal habe ich das Gefühl, die meisten Bonner wissen gar nicht, wie gut es uns hier geht.“