- Auch Köln war in den 20er und 30er Jahren geprägt von Armut, Unruhen, aber auch Lebenslust.
- Angelehnt an die Reihe "Babylon Berlin" schildern wir in loser Folge spektakuläre Kriminalfälle dieser Zeit.
Köln – Verfolgung und Massenverhaftungen hatten schon begonnen. Männer der SS und SA waren überall im Saal verteilt, als der SPD-Vorsitzende Otto Wels am 23. März 1933 ans Pult der Krolloper in Berlin trat und sich in der letzten freien Rede des Deutschen Reichstags gegen das Ermächtigungsgesetz auflehnte: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Er wusste, was bevorstand. Einen Vorgeschmack hatte er knapp ein Jahr vorher in Köln am eigenen Leib erfahren.
Im Sassenhof am Heumarkt hatte Otto Wels am Freitag, 22. April 1932, eine Rede zur am Wochenende bevorstehenden Preußenwahl gehalten. In der Weinstube seines Stammhotels Deis, Unter Goldschmied 5-7, ließ der 58-jährige nun mit Parteigenossen Tag und Wahlkampf ausklingen. „Kurz nach 9 Uhr traf ich bei Deis ein“, gibt Wels vor Gericht zu Protokoll. Zunächst seien etwa 15 Personen am Tisch gewesen, die sich nach und nach verabschiedet hätten.
Ganz in ihrer Nähe saß der 42-jährige Robert Ley, Gauleiter der NSDAP, Herausgeber des Westdeutschen Beobachters und seit 1930 Abgeordneter im Reichstag. Nach eigenen Wahlkampfreden in Wiesdorf und der Kölner Messe habe er sich hier mit Hugo Simon, Verlagsleiter des Westdeutschen Beobachters, verabredet, sagt er. „Etwa um ein Viertel nach 12 Uhr kam ich dorthin. Simon mit Familie, Parteigenosse Statz und Frau und andere waren bereits anwesend. Wir befanden uns angesichts des glänzenden Versammlungsverlaufs in gehobener Stimmung. Hinten im Lokal saßen fünf Herren. Ich habe sie zunächst gar nicht beachtet, bis jemand an unserem Tisch fragte: Sitzt da nicht Herr Wels?“
Vom Kellner alarmiert
Hotelbesitzer Jakob Deis berichtet, der Kellner habe ihn gegen 11 Uhr alarmiert, dass Ley gekommen sei und die Nationalsozialisten wüssten, wer die Herren am anderen Tisch seien. Nicht wenig dürfte Ley interessiert haben, dass dazu auch der 56-jährige Otto Bauknecht gehörte. Nach seinem Amtsantritt als Kölner Polizeipräsident im Oktober 1926 war er schnell zum Intimfeind der Nationalsozialisten geworden, etwa weil er vorübergehend die Ortsgruppe der NSDAP verboten hatte.
Bald kam noch ein Pulk Nationalsozialisten ins Lokal: der ehemalige SA-Mann Heinrich Fuchs mit einigen Begleitern. Fuchs berichtet, er sei mit seinen Kameraden im Haus der Geschäftsstelle der NSDAP gewesen, Filzengraben 2-4. Da seien ihnen die Zigaretten ausgegangen. Weil keiner Geld gehabt habe, hätten Parteigenossen geraten, zu Ley ins Weinhaus zu gehen. Dort würden sie wohl etwas für ihre Wünsche erhalten können.
Ley behauptet, er habe nicht gewusst, dass Wels und Bauknecht im Lokal Deis sein würden, und auch nichts veranlasst, um Parteigenossen dorthin herbeizurufen. „Es ist möglich, dass ich telefoniert habe, vielleicht, ich kann mich dessen nicht entsinnen.“ Der Hotelpage Eck aber sagt aus, er habe, als er privat telefonieren wollte, den falschen Knopf der zwei vorhandenen Leitungen gedrückt und sei versehentlich in Leys Leitung gekommen. „Schicken Sie jemand her“, habe er ihn sagen gehört. „Sie sollen aber draußen vor der Türe warten und nach Möglichkeit die Nummern fälschen.“ Dies habe er zunächst verschwiegen, weil Fuchs ihm gedroht habe: „Dich kriegen wir auch schon.“
„Prost Proleten!“
„Ich wollte schon, obgleich alles ruhig war, eine Zwischenwand zwischen den beiden Tischen vorziehen lassen, aber der Kellner meinte, es sei nicht nötig“, erinnert sich Deis. Dann aber seien die Stimmen doch erregter geworden. Bauknecht zufolge haben die Nationalsozialisten, insbesondere Simon, den SPD-Tisch, an dem schließlich nur noch Wels, Bauknecht und der 47 Jahre alte jüdische Regierungsvizepräsident Hermann Bier saßen, fortgesetzt fixiert und einmal gerufen: „Prost Proleten!“ Ley berichtet auch von so manchem „Heil Hitler!“ Also ging Deis doch lieber zum nahen dritten Polizeirevier, In der Höhle 16, machte Mitteilung von der Lage und „bat um ein paar Beamte, die Unter Goldschmied auf- und abpatrouillieren sollten“.
Irgendjemand habe gesagt, es sei acht Minuten vor 2 Uhr, berichtet Wels. „Ich zog die Uhr und fragte: Wann ist hier Polizeistunde? Antwort: Um 2 Uhr. Ich schlug vor, die Sitzung aufzuheben, um nicht Veranlassung zu geben, dass etwa Pressenotizen erschienen, dass der Polizeipräsident von Köln beispielgebend sei für die Übertretung der Polizeistunde.“ Wels verabschiedete sich. Als er nun in zwei, drei Meter Entfernung am Tisch der Nationalsozialisten vorüberkam, sei Simon herumgeschnellt, habe ihm die Hand ins Gesicht gesteckt und provozierend gerufen: Heil Hitler! „Auch Dr. Ley drehte sich darauf herum und starrte mich an. Ich trat dann einen Schritt näher und fragte ruhig: Was wollen Sie, gilt dieser Gruß mir? Im gleichen Augenblick erhielt ich einen Faustschlag in die rechte Gesichtsseite.
Unmittelbar darauf fielen vier bis fünf Leute über mich her und schlugen mich. Ich kam nicht zu Fall, erhielt aber einen sehr kräftigen Schlag gegen den Kehlkopf, der mir für einen Augenblick fast die Besinnung raubte.“ Er verdanke es seiner Körperkraft, dass er noch verhältnismäßig glimpflich davon kam, berichten am nächsten Tag die Zeitungen. Der behandelnde Arzt sagt aus, der Schlag habe den Schildknorpel des Kehlkopfes zerrissen, was beweise, mit welcher Heftigkeit er ausgeführt wurde. Man könne auf Ausheilung hoffen, aber es werde sehr lange dauern.
Ein Schlag ins Auge
Unterdessen sei er selbst, so berichtet Bauknecht, von Ley angegangen worden. „Ich schob seine Hand zurück und sagte: Lassen Sie das! Im gleichen Augenblick bekam ich von rechts einen Schlag ins Auge, dass die Brille zerbrach. Ich weiß nicht, wer geschlagen hat.“ Als sich Bauknecht nach dem Schläger herumdrehte, zersplitterte auf seinem Kopf eine Glasflasche. Sofort war er blutüberströmt.
Die Personen
Otto Wels gehörte zu den ersten 32 Deutschen, die am 23. August 1933 ausgebürgert wurden (Foto l.). Er starb 1939 im Exil. Polizeipräsident Otto Bauknecht wurde nach der Machtergreifung abgesetzt und verbrachte viel Zeit in Gefängnis und KZ. Er starb im Jahr 1961.
Robert Ley war zwischenzeitlich einer der mächtigsten Männer des Dritten Reiches und zählte im Nürnberger Prozess zu den 24 angeklagten Hauptkriegsverbrechern. Vor Prozessbeginn strangulierte er sich auf der Toilette seiner Zelle. Den Strick hatte er aus Unterwäschefetzen geknüpft.
„Während des Zusammenstoßes war ich nicht im Lokal, sondern in meiner Privatwohnung“, erzählt Deis. „Plötzlich hörte ich Gläser klirren und Tumult, eilte herunter, sah, dass Herr Bauknecht blutete und lief ins Büro einen Verbandskasten zu holen. Ich habe dann Herrn Bauknecht verbunden.“ Die Nationalsozialisten versuchten, fluchtartig das Lokal zu verlassen, wurden aber durch Polizeibeamte gestellt. „Ich fragte den Pagen: Haben Sie nicht gesehen, wer mich geschlagen hat?“ berichtet Bauknecht. „Darauf bezeichnete der Page Fuchs.“
Polizei muss für Ordnung sorgen
Bis auf den letzten Platz gefüllt war am Samstag, 14. Mai 1932, der Gerichtssaal im Justizgebäude am Appellhofplatz. Gleich zwei Tische waren für die Presse reserviert. Ein besonderes Polizeikommando sorgte für den Saalschutz. Nach zwölfstündiger Verhandlung verkündete das Erweiterte Schöffengericht das Urteil: Drei Monate Gefängnis für Ley, fünf für Fuchs.
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Zum Strafmaß erläuterte der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Theisen, es habe sich um einen Angriff gegen Herren an der Schwelle des Greisenalters gehandelt, die im politischen Leben an hervorragender Stelle tätig seien. Die vorgerückte Stunde in der Weinstube sowie dass es eine Zeit politischer Hochspannung gewesen sei, habe strafmildernd angerechnet werden können.