- Auch Köln war in den 20er Jahren geprägt von Armut, politischen Unruhen, aber auch Lebenslust.
- Angelehnt an die Reihe „Babylon Berlin“ schildern wir in loser Folge spektakuläre Kriminalfälle dieser Zeit.
Köln – Als „verwerfliche Ausschreitungen“ kritisierte Oberbürgermeister Konrad Adenauer am 16. November 1922, was sich in den vergangenen Tagen in Köln abgespielt hatte. „Unverantwortliche, zum großen Teil jugendliche Personen haben sich an dem Eigentum der Bürgerschaft freventlich vergriffen, Schaufenster zerstört und Auslagen geraubt. Derartige Handlungen sind auf das Schärfste zu verurteilen. Unter der anhaltenden Teuerung leiden alle Schichten der Bevölkerung in empfindlicher Weise. Das darf aber kein Grund zu derartigen Vorkommnissen sein. Dadurch werden die Verhältnisse, die wir alle beklagen, in keiner Weise gebessert, im Gegenteil, das Elend, unter dem das ganze deutsche Volk leidet, wird noch schlimmer.“
Die englische Besatzungsbehörde reagierte. Um für Ruhe zu sorgen, untersagte sie alle „Versammlungen und Veranstaltungen, die die Sicherheit der alliierten Armeen beeinträchtigen könnten, ebenso die Anwesenheit von Personen auf der Straße nach Einbruch der Dunkelheit“.
War das eine Zeit, um jung und verliebt zu sein? Das nämlich war Katharina Sampels in den 20 Jahre alten Kranführer Johann Zalesiak. Der aber war arbeits- und inzwischen auch mittellos. Damit war er nicht allein. Aus 25.000 in Köln als beschäftigungslos gemeldeten Menschen im Jahr 1918 waren 1923 über 50.000 geworden – die sozialen Sicherungen kamen an ihre Grenzen. An eine Hochzeit war unter diesen Umständen gar nicht zu denken.
Dann aber kam ihnen eine Idee: Katharina war Dienstmädchen bei der 65 Jahre alte Witwe Josefine Helene Erpelt, die im Erdgeschoss des Hauses Nr. 1 in der ruhigen Herwarthstraße, zwischen dem Hildebrandbrunnen am Kaiser-Wilhelm-Ring und der Christuskirche, ein Geschäft betrieb: Sterbewäsche und Sargverzierungen. Im darüber liegenden Hochparterre bewohnte sie gemeinsam mit ihrer 40 Jahre alten Tochter Else und dem Sohn Arthur eine 5-Zimmer-Wohnung. Was nun, wenn Katharina Sampels den Korridorschlüssel der Witwe Erpelt eines Abends unter den Treppenläufer im Hauseingang legen würde?
Ihr Bruder war für ein paar Tage auf Geschäftsreise, als Else Erpelt am Samstagabend, 3. März 1923, zunächst Haus- und Korridortür verriegelte und sich dann gegen Mitternacht zusammen mit der Mutter in das gemeinschaftlich von ihnen genutzte Schlafzimmer zur Ruhe begab. Gegen 3 Uhr morgens schrak sie plötzlich auf, geweckt von Schreien ihrer Mutter. Als Else hochfuhr, sah sie den Raum von einer Kerze erleuchtet. Zwei Männer waren über ihre Mutter hergefallen, fesselten und würgten sie.
Männer machten fette Beute
Nun stürzte sich einer der beiden auch auf Else, presste ihr ein Taschentuch in den Mund und fesselte ihr mit einer Schnur die Hände hinter den Rücken. Während der größere der beiden an den Betten seiner Opfer Wache hielt, schnappte sich der Kleinere den Schlüsselbund vom Nachttisch der Mutter und machte sich an die Durchsuchung der Wohnung. Nichts war vor ihm sicher. Alles raffte er in den kleinen Handkoffer aus Vulkanfiber. Spätere Untersuchungen zählen als Raubgut drei Brillantringe, zwei silberne Medaillons, eine Perlenkette, eine Tula-Damenuhr, ein mit Perlen und Brillanten eingefasstes Anhängsel und eine goldene Brosche mit fünf Brillanten auf. Die Räuber übersahen weder das Silberbesteck, noch den Opossumpelz. Und schon gar nicht das Bargeld: 110.000 Mark, darunter ein 50.000-Markschein.
Die Mutter rührte sich nicht mehr. Und zu ihrem Entsetzen hörte Else die Kerle miteinander besprechen, auch sie zu ermorden. Voll Panik stellte sich sich tot, konnte aber irgendwann nicht umhin, doch eine kleine Bewegung zu machen. Plötzlich traf sie ein Schlag mit einem harten Gegenstand am Kopf. Eine Stimme sagte: „Jetzt ist die auch kaputt.“
Danach wurde im Nebenzimmer getrunken
Spätere Untersuchungen ergaben, dass die Verbrecher es sich noch in einem Nebenzimmer mit einer Flasche Kognak gemütlich gemacht hatten. Morgens gegen 5 Uhr schlichen sie schließlich aus dem Haus, ihre Beute gut im Koffer verstaut. Den brachten sie zu Veronika Lammertz. Für 20 000 Mark im Voraus würde sie alles in Verwahrung nehmen und zu einem guten Preis verkaufen.
Else Erpelt war nicht tot. Gefesselt und verletzt, wie sie war, rappelte sie sich auf. Irgendwie wurde sie den Knebel los. Sie schleppte sich mühsam zum Bett der Mutter und zog die Bettdecke, mit der diese vollkommen zugedeckt war, weg. Josefine Helene Erpelt gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Die Hände hinter ihrem Rücken schmerzten, als Else zum Telefon im Flur wankte. Schließlich schaffte sie es, den Hörer mit der Schulter auszuhaken und bei der Kriminalpolizei um Hilfe zu rufen. Sie schleppte sich dann durch die Wohnungstür und das Treppenhaus hoch, in die erste Etage, wo seit Jahren ihr Nachbar wohnte, Amtsrichter Johannes Schumacher. Mit der Zunge betätigte sie die elektrische Klingel. Dann endlich wurde sie befreit. Für ihre Mutter in der Etage darunter kam jedoch jede Hilfe zu spät.
Die Tür war nicht aufgebrochen worden
Die Mordkommission stellte nicht nur fest, dass die Täter Wertsachen und Geld im aktuellen Gesamtwert von 20 Millionen Mark erbeutet hatten. Ihnen fiel auch auf, dass die Wohnungstür nicht aufgebrochen war und die Täter mit den örtlichen Verhältnissen bis ins Kleinste vertraut schienen.
Da lag es nahe, das Dienstmädchen der Ermordeten genauer in Augenschein zu nehmen: Katharina Sampels. Hatte die nicht seit geraumer Zeit mit diesem arbeitslosen Burschen aus Mülheim ein Verhältnis? Hatte man sie nicht bei Zechgelagen mit ihm und dessen Freund gesehen, einem Joseph Arnold?
Weitere Ermittlungen erhärteten den Verdacht. Die Polizei verhaftete das Dienstmädchen und ihre Freunde. Bei einem der Männer, der doch pleite sein sollte, fand sich ein 50 000-Markschein, der durch ein Zeichen als der geraubte wiedererkannt werden konnte. Und noch ein dritter Täter, ein Friedrich Topatka, war bald ermittelt und festgenommen. Schnell stand die Polizei bei Veronika Lammertz vor der Tür, wo sie die gesamte Beute, abzüglich des Bargelds, sicherstellen konnte. Und auch Else Erpelt identifizierte schließlich ihre Peiniger und Mörder ihrer Mutter bei einer Gegenüberstellung. Angesichts des überwältigenden Beweismaterials legten alle Beteiligten rasch ein volles Geständnis ab.
Das könnte Sie auch interessieren:
Der Andrang war groß, als der Schwurgerichtsprozess unter dem Vorsitz des Landgerichts-Direktors Stürmer begann. Am 11. Mai 1923 hatten sich Arnold, Zalesiak und Tapotka, ferner die Sampels und die Lammertz zu verantworten. Die Geschworenen folgten dem Plädoyer der Verteidigung und erkannten auf Raubmord mit Todeserfolg. Mildernde Umstände wurden den Angeklagten Arnold und Zalesiak nicht zugestanden. Sie wurden zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, ihr Helfer Tobatka zu 12 Jahren. Sampels erhielt wegen Beihilfe zum schweren Raub 4 Jahre 11 Monate Gefängnis. Elsa Erpelt lebte noch bis nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in der Wohnung im Hochparterre der Herwarthstraße 1 und führte im Erdgeschoss das Geschäft ihrer Mutter weiter: Sterbewäsche und Sargverzierungen.