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Serie „Babylon Köln“ (2)Warum ein Polizist 1918 kurz vor Kriegsende erschossen wurde

Lesezeit 5 Minuten
Kartoffelverkauf im Jahr 1915 (1)

Anstehen im Krieg: Städtischer Kartoffelverkauf im Jahr 1915. 

  1. Auch Köln war nach dem Ersten Weltkrieg geprägt von Armut, politischen Unruhen, aber auch Lebenslust.
  2. Angelehnt an die Reihe "Babylon Berlin" schildern wir in unserer Serie spektakuläre Kriminalfälle dieser Zeit.

Köln – "Der Winter kann lang und hart werden. Kellert Kartoffeln ein!", mahnten die Kölner Zeitungen. Es herrschte immer noch Krieg am Sonntag, 20. Oktober 1918. Nicht nur Nahrungsmittel waren knapp. Weil kein Geld mehr da war, hatte die Stadt begonnen, Gutscheine auszugeben. Eine verheerende Grippe-Epidemie sowie Kohlemangel legten öffentliche Einrichtungen lahm - nur die Standesämter hatten zusätzlich geöffnet, damit die Flut an Sterbefällen gemeldet werden konnte.

Mitten in der Nacht war Schutzmann Rudolf von Carnap vom 34. Polizeirevier gemeinsam mit dem Soldaten Prinz, einem Musketier der 3. Kompagnie des Ersatz-Bataillons des Infanterieregiments Nr. 53, auf Streife und wünschte sich wohl zurück in sein Bett in der ersten Etage der nahen Roddergasse 42. Da bemerkte er zwei Männer an der Eisenbahnunterführung an der Humboldtkolonie, Wetzlaerstraße, Ecke Rolshover Straße, die einen mit zwei Säcken beladenen Handwagen zogen. Das kam ihm um ein Uhr morgens komisch vor. Carnap ging auf die beiden zu und fragte, was sie in den Säcken hätten. "Kartoffeln", entgegnete ihm Rudolf Hombach, und dachte dabei wohl schon an den Armeerevolver und das feststehende Messer in seiner Tasche.

Wohin mit dem Schaf?

Fabrikarbeiter Rudolf Hombach hatte gerade gemeinsam mit seinem Bekannten, dem Werkzeugschlosser Hermann Mertens, in der Nähe des Kalker Friedhofs ein Schaf aus der dortigen Herde in das nahe Feld geschleppt, abgeschlachtet, ausgeweidet und zerstückelt in die Säcke gesteckt. Aber nun wohin damit? Vor Hombachs Wohnung in Kalk, Engelstraße 18, stand ständig ein Posten, der sie bestimmt erwischen würde. Also gingen sie zu Mertens in die Esserstraße 13. Weil so ein Schaf aber nicht gerade leicht und der Weg lang war, hatte sich Mertens von einem im nahen Vingst wohnenden Verwandten ein Heuwägelchen geborgt.Dass in den Säcken keine Kartoffeln waren, stellte Carnap schnell fest. Er fragte nach den Personalien und ordnete an, dass Hombach und Mertens mit ihrem Wägelchen sofort mit zur nächsten Polizeiwache kämen. Zunächst durchsuchte er Mertens nach Waffen und schickte ihn dann schon einmal zur Deichsel des Wagens. Als Carnap sich aber zu Hombach drehte, wurde er plötzlich aus unmittelbarer Nähe von einem tödlichen Schuss niedergestreckt. Am Tatort gefundenen Patronenhülsen zufolge schoss Hombach viermal aus seiner 9-mm-Armeepistole. Ein Schuss davon verletzte auch den Soldaten Prinz schwer.

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Hombach und Mertens flohen Richtung Usinger Straße. Mit letzter Kraft feuerte Prinz noch ein paar Schüsse hinterher, anscheinend ohne zu treffen. Dann sackte auch er neben dem inklusive Beute zurückgelassenen Handwagen zusammen. Durch die Schüsse aufgeschreckt, kamen Nachbarn zu Hilfe. Prinz wurde ins Krankenhaus gebracht und überlebte knapp. Die sofort benachrichtigte Kriminalpolizei leitete umgehend die Ermittlungen ein, die Kriminalpolizeikommissar Jean Merbeck leitete. 1000 Mark Belohnung lobte der Regierungspräsident auf die Ermittlung der Täter aus.Hombach war verletzt. Ein Schuss von Prinz hatte ihn schwer im Rücken getroffen. Mertens schleppte ihn in seine Wohnung, verband ihn und ließ ihn die Kleider wechseln. Bis zum Mittag hielt sich Hombach verborgen, bevor ihn seine Frau abholte. Die Mordwaffe schleuderte Hombach noch am Sonntagmittag in den Rhein.

Neun Tage später war der Täter ermittelt

Währenddessen war Kommissar Jean Merbeck nicht untätig. Vom schwer verwundeten Prinz bekam er zwar keine Informationen, nicht einmal eine Täterbeschreibung. Dafür ließ er in allen Zeitungen Beschreibung und Abbildung des zurückgelassenen, feldgrau gestrichenen Handwagens Marke Eigenbau sowie der Säcke und eines von den Tätern verlorenen roten, schwarz-gelblich bedruckten baumwollenen Taschentuchs publizieren. Nur bis zum 29. Oktober dauerte es, bis Hombach im Bett seiner Wohnung festgenommen werden konnte, nachdem kurz zuvor Mertens auf der Kalker Hauptstraße verhaftet worden war. Der Tag der Verhandlung vor dem Kriegsgericht wurde schnell festgesetzt. Doch dann kam alles anders."Gerüchte abenteuerlichster Art liefen gestern in Köln um: Es geht los!" meldeten die Zeitungen. Man berichtete von meuternden Matrosen in Kiel, die sich angesichts der jüngsten Niederlagen an der Westfront weigerten, ihr Leben für letzte, sinnlose Himmelfahrtskommandos eines längst verlorenen Krieges zu opfern.

100 Mark Belohnung

Eine Belohnung von 1000 Mark lobte der Regierungspräsident für die Ermittlung der Täter aus. Hinweis: dieser Handwagen.

Tatsächlich trafen am 7. November 200 Marinesoldaten am Kölner Hauptbahnhof ein, wo sie eine gewaltige Menschenmenge unter Applaus empfing. Vor allem wollten die Soldaten ihre Kameraden befreien, die etwa wegen der Wilhelmshavener Flottenmeuterei noch im zentralen Stammgefängnis für Marinegefangene in Köln inhaftiert waren. Nach einigen Kundgebungen und kurzen Auseinandersetzungen mit den Wachmannschaften stürmten sie die Stadt. Die Gefängniswachen wurden entwaffnet, die Arrestzellen in der Ulrichsgasse, vom Klingelpütz sowie im preußischen Fort V im Äußeren Grüngürtel unweit der Aachener Straße in Müngersdorf, das als Festungsgefängnis diente, wurden geöffnet. Nur politische Gefangene sollten befreit werden, aber wer konnte und wollte das im Tumult kontrollieren? Sogar die Prostituierten kamen frei, schrieben die Zeitungen. Am 9. November 1918 dankte der Kaiser ab.

Flucht nach Holland

Auch Hombach hatte die Revolution aus dem Gefängnis befreit. Mit gefälschten Papieren floh er nach Holland, wo er sich als Arbeiter und Schmuggler über Wasser hielt. Seine Schleichwege führten ihn auch wiederholt nach Köln, das in der Weimarer Republik kaum mehr wiederzuerkennen war. Es gab wieder eine Universität und eine Messe. Durch die im Versailler Friedensvertrag beschlossene Entmilitarisierung wich der Festungsring einem Grüngürtel. Wo ehemals in Müngersdorf das als Gefängnis benutzte Fort V gestanden hatte, erwuchs eine Erholungsstätte mit Wiesen und Sportflächen. Und so schien auch über den Tod des Polizisten Rudolf von Carnap Gras gewachsen.

Dann aber wurde der inzwischen 29-jährige Hombach am 19. August 1925 doch in Köln erkannt, neuerlich verhaftet und vor dem Schwurgericht angeklagt. Für den schweren Diebstahl ließ der Staatsanwalt angesichts der damaligen Notzeit mildernde Umstände gelten und beantragte hierfür lediglich sechs Monate Gefängnis.

Hinsichtlich des Totschlags ließ er das jedoch nicht gelten. Vergeblich stritt die Verteidigung eine vorsätzliche Tötung ab und plädierte auf Körperverletzung mit tödlichem Ausgang. Hombach sei vom Mai 1915 bis März 1917 zum Heer einberufen gewesen, stellte das Gericht fest. Als ausgebildeter Soldat hätte der Angeklagte mit den verhängnisvollen Folgen seiner Schießerei rechnen müssen. Für den schweren Diebstahl verurteilte man Hombach deshalb zu sechs Monaten Gefängnis, für den Totschlag zu sechs Jahren und für den versuchten Totschlag zu zwei Jahren Zuchthaus, im ganzen sieben Jahre Zuchthaus.