Es sieht nach einem Bild der Harmonie aus. Am 20. Januar 1964 begegnen sich zwei ältere Herren: Reinhold Heinen, Gründer und Herausgeber der Kölnischen Rundschau, und Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer. Heinen lacht, er feiert einen Höhepunkt seines Schaffens: die Einweihung des Kölner Rundschau-Hauses.
Adenauer sitzt mit einem feinen Lächeln neben ihm. Er hält an diesem 20. Januar eine Festrede voller Respekt und voller Zwischentöne: „Sie wissen, meine Damen und Herren, zwischen Herrn Dr. Heinen und mir ist nicht immer klare Sicht gewesen, und es kamen schon mal so einige Wolken. Aber mir war klar, und ich nehme an, auch Herr Dr. Heinen war sich darüber klar, dass wir beide im Grunde genommen dasselbe wollten ...“ Auch zu Heinens 70. Geburtstag wenige Tage zuvor, am 7. Januar 1964, mochte Adenauer nicht ohne den Hinweis gratulieren, dass er mit dem Jubilar „manches Mal die Klingen gekreuzt“ habe.
Reinhold Heinen war vier Jahre lang in „Schutzhaft“
Woher diese Spannungen unter Freunden? Sie waren doch beide gläubige Katholiken und überzeugte Demokraten. Beide haben für ihre Haltung in der NS-Zeit teuer bezahlt. Vier Jahre lang, vom 7. Februar 1941 bis zum 28. April 1945, befand sich Reinhold Heinen in „Schutzhaft“, zumeist im KZ Sachsenhausen. Wie Adenauer gehörte der fast auf den Tag genau 18 Jahre jüngere Heinen nach dem Krieg zu den Gründern der CDU.
Heinen sei eben ein „Mann von besonderen Eigenschaften, ich habe auch meine Eigenheiten“, meinte Adenauer 1964. Also ein Zusammenstoß rheinischer Charakterköpfe? Politisch gab es keinen grundsätzlichen Dissens, auch wenn – so erinnerte sich Heinens langjähriger enger Mitarbeiter Hans Heider – „Adenauer eben der kühl kalkulierende Staatsmann war, Dr. Heinen dagegen oft aus dem Bauch heraus argumentierte, besonders wenn es um soziale oder kommunale Anliegen, vor allem aber, wenn es um Unabhängigkeit und Meinungsfreiheit ging“.
Heinen selbst zog schon 1951 sein Resümee. Adenauer erwarte nicht nur von seinen Mitarbeitern, sondern auch von der Presse eine „fast verbissene Hingabe an seine Idee“: „Hier scheint der tiefste Grund für das schlechte Zusammenspiel zu liegen.“
Der Verleger Heinen mochte sich mit den Zumutungen des Parteichefs Adenauer nicht abfinden. Am 12. Februar 1946 hatte Heinen Adenauer darüber informiert, dass er „das zweifelhafte Vergnügen habe, von der Militärregierung als Verleger einer Christlich-Demokratischen Zeitung berufen zu werden“. Vier Tage später forderte Adenauer, damals CDU-Chef der britischen Besatzungszone, „für eine einheitliche geistige und politische Ausrichtung der CDU-Presse zu sorgen“.
Unabhängigkeit von jeder Parteiorganisation gefordert
Damit war die Zündschnur gelegt. Denn während die sozialdemokratische „Rheinische Zeitung“ und die kommunistische „Volksstimme“ Parteiblätter waren, nahm Heinen die Lizenz erst an, als seine Unabhängigkeit von jeder Parteiorganisation sichergestellt war.Die Rundschau erschien am 19. März 1946 zum ersten Mal. Es dauerte ganze vier Wochen, bis sich Adenauer bei Chefredakteur Hans Rörig beschwerte, „dass die beiden letzten Nummern der ,Kölnischen Rundschau‘ aus keiner Zeile erkennen ließen, dass es sich um eine Zeitung der Richtung der CDU handele“. In der Folgezeit drohte er dem Herausgeber mit der Einschaltung von Parteigremien, im März 1947 sogar damit, die Anerkennung der Rundschau als CDU-nahe Zeitung (also ihre Lizenzgrundlage) zu widerrufen. Auslöser: Die Rundschau hatte hervorgehoben, dass der NRW-Landtag einen Volksentscheid über die Verstaatlichung der Montan- und Chemieindustrie abgelehnt hatte. Adenauer hätte es lieber gesehen, wenn ein von der CDU durchgesetztes Wirtschaftsprogramm in die Schlagzeile gelangt wäre.
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Reinhold Heinen hat sich solchen Pressionen stets widersetzt. Als er am 23. Juli 1969 starb, gut zwei Jahre nach Adenauer, trat eine singuläre Gestalt ab: ein Verleger, der bewusst nicht aus kommerziellem Interesse handelte. Seiner Zeitung – das schrieb er im ersten Leitartikel der „Rundschau“ – lag eine „Weltanschauung“ zugrunde. Der Gesellschaftervertrag verbot jede Gewinnentnahme.Die „Rundschau“ ist längst ein überparteiliches Blatt. Durchgesetzt hat sich ihr Gründungsverleger aber mit seinem Pochen auf Unabhängigkeit der Presse gegenüber Versuchen politischer Einflussnahme.
Adenauer, der Urheber solcher Versuche, hat schon 1948 sein Scheitern eingestanden. Am 31. Mai 1948 schrieb er an Heinen: „Ich bin mir darüber klar, dass ,Einwirken‘ auf Sie eine ziemlich hoffnungslose Angelegenheit ist.“