Köln – Der Fall des Priesters Nikolaus A. spielt für das Kölner Erzbistum eine bedeutende Rolle in der Diskussion über die Vertuschung von sexuellen Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche. A. verging sich in seiner Zeit als Priester in Köln, Münster und Essen wiederholt an männlichen Jugendlichen. Ein Sondergutachten der Münchner Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl dokumentiert den Fall und die Versäumnisse der Bistumsführungen.
Wie kam es zur Veröffentlichung des Gutachtens?
Geplant war eine Veröffentlichung des Gutachtens im März 2020 im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Gesamtgutachten zum Umgang des Erzbistums mit sexuellen Missbrauchsfällen – ebenfalls von der Münchner Kanzlei. Kardinal Woelki stoppte das Vorhaben, laut Erzbistum aufgrund methodischer Mängel der Untersuchung. In der vergangenen Woche veröffentlichte das Bistum Essen ein eigenes Gutachten mit Fokus auf die Zeit, in der sich Nikolaus A. in Essen aufhielt. Am Donnerstag veröffentlichte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ das 14-seitige Kölner Gutachten.
Was sollten die Rechtsanwälte untersuchen?
Oliver Vogt, Interventionsbeauftragter des Kölner Bistums, gab im Frühjahr 2019 das Rechtsgutachten in Auftrag. Mit dem Gutachten sollten die Rechtsanwälte untersuchen, wer in welcher Form von den sexuellen Übergriffen von Nikolaus A. gewusst hatte. Dazu kam die Frage: Was wurden von kirchlicher Seite für Maßnahmen getroffen und genügten diese Maßnahmen den rechtlichen Anforderungen? Die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl übermittelte das Ergebnis am 1. August.
Welche Taten von A. sind bekannt?
Erste Gerüchte zu sexuell motivierten Handlungen von A. bei männlichen Jugendlichen gab es 1963. Zur dieser Zeit war Nikolaus A. Kaplan in Köln-Weidenpesch – Priester also, der mit der Seelsorge beauftragt war. A. räumte ein, heißt es im Gutachten, „bei vier Jugendlichen im Alter von 13 bzw. 14 Jahren Aufklärung in der Weise betrieben zu haben, dass er diese aufgefordert hat, sich in seiner Gegenwart vollständig zu entkleiden.“
Anfang März 1972 wird A. verhaftet. Er hatte sich an zwei 14-Jährigen vergangen und wird vom Amtsgericht Köln zu einer 18-monatigen Haftstrafe verurteilt. Seine Haftstraße verbüßt A. in der JVA Münster. Auf ein Gnadengesuch hin wird die restliche Strafe auf Bewährung ausgesetzt.
Im April 1974 folgte die zweite Festnahme und eine 14-tägige Untersuchungshaft, nachdem A. offenbar in Köln-Porz übergriffig geworden war. 1988 verhängt das Landgericht Duisburg eine Freiheitsstrafe auf Bewährung nach „sexuellen Handlungen in seiner Aushilfstätigkeit als Seelsorger in Moers im Bistum Münster an insgesamt zwei zehn bzw. 13 Jahre alten Opfern, mehrheitlich jedoch an dem 10-jährigen Opfer.“
Um welche Versäumnisse geht es im Gutachten?
Zu den Ereignissen nach der ersten Haftstrafe heißt es im Gutachten: „Verstörend mit Blick auf den weiteren Verlauf des Geschehens ist, dass der damalige Generalvikar Nettekoven im Hinblick auf das Gnadengesuch bekräftigt, kirchlicherseits werde dem A. eine Aufgabe außerhalb der Seelsorge zugewiesen und dafür gesorgt, dass dieser nicht mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat.“
Der damalige Erzbischof Joseph Höffner soll genau wie sein Generalvikar von der Verurteilung gewusst haben. Dennoch hätten sie auf die Durchführung eines kirchlichen Strafverfahrens verzichtet, obwohl es ihre Pflicht gewesen wäre. Von der Tat und der dritten Verurteilung sollen der damalige Erzbischof Joachim Meisner und Generalvikar Norbert Feldhoff gewusst haben. Wieder gab es kein kirchliches Strafverfahren gegen A., auch „auf Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Kinder“ wurde verzichtet.
Ebenso hätten Erzbischof und Generalvikar von einer ärztlichen Einschätzung gewusst. Der Inhalt: A. hätte „nicht das geringste Gespür dafür, was er bei den Kindern kaputt mache.“ Die Einsicht der Taten fehle A., heißt es. Erzbischof und Generalvikar kündigten laut Gutachten die Aussprache einer Suspension an. Entgegen dieser Absichten, wurde A. im September 1989 dennoch Seelsorger im Altenheim St. Josef in Köln – „ohne erkennbaren äußeren Anlass“, heißt es.
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„Mit Wirkung zum 1.4.2002 wird A. seiner Bitte entsprechend aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt“, steht im Gutachten. Den Ruhestand verbrachte er zunächst in einer Seniorenresidenz in Bochum und später in Essen. Auch dort war er ohne offiziellen Seelsorgeauftrag in der Seelsorge tätig. Es heißt, es liege nahe, dass auch der Bischof von Essen und dessen Generalvikar von A.s Haftstrafe wussten.
Wie bewertet das Erzbistum das Gutachten?
Das Erzbistum Köln teilt auf Anfrage mit: „Auf Grundlage des Sondergutachtens wurde der Fall am 28.10.2019 der Glaubenskongregation in Rom gemeldet, die ihrerseits am 03.03.2020 mitteilte, dass von der Verjährung abgesehen und ein Strafprozess aufgenommen werden soll.“ Dieser sei vom Erzbistum Köln umgehend eingeleitet worden. „Mit dem Strafprozess folgt das Erzbistum der Weisung der Glaubenskongregation im Rom. Das Verbot der Ausübung des Priesteramtes geht damit einher. Das Urteil ist gefällt und die Bestätigung durch die Glaubenskongregation in Rom steht noch aus, sodass wir zum jetzigen Zeitpunkt zum Ergebnis noch nichts sagen können.“ Am 18. März 2021 will das Erzbistum die Ergebnisse eines Gesamtgutachtens vorstellen, der Fall A. sei Teil dieses Gutachtens.