Berlin – Zahlreiche Krankenhäuser sollen ihre Intensiv-Kapazitäten manipuliert haben, um sich Corona-Hilfen zu erschleichen. Das wäre nicht nur Betrug am Steuerzahler: Mit der kritischen Lage in den Kliniken war der Lockdown begründet worden. Schulen, Geschäfte, fast alles dicht – weil Gesundheitsminister Jens Spahn zu Betrügereien geradezu anstiftete?
Das Gesundheitsministerium weist die Vorwürfe, die der Bundesrechnungshof am Donnerstag in einem Bericht erhob, entschieden zurück. Das Zentralregister der Intensivmediziner-Vereinigung DIVI ebenso. Die Opposition dagegen ist alarmiert. Worum es geht:
Der Verdacht
Im Schreiben des Rechnungshofes, das unserer Redaktion vorliegt, heißt es, das Robert-Koch-Institut (RKI) habe das Gesundheitsministerium am 11. Januar auf die Vermutung hingewiesen, „dass Krankenhäuser zum Teil weniger intensivmedizinische Behandlungsplätze meldeten, als tatsächlich vorhanden waren“. Motiv: die Schwelle freier Behandlungsplätze unter 25 Prozent zu drücken. Nur dann gab es gemäß einer Änderung im Bevölkerungsschutzgesetz vom 18. November Corona-Geld vom Bund.
Bizarr: Selbst, als es zeitweise weniger Corona-Intensivpatienten gab, sei der Anteil der frei gemeldeten Betten insgesamt niedrig geblieben. Die DIVI-Daten seien „daher nicht mehr für eine Bewertung der Situation geeignet“, so der Bundesrechnungshof. Die Alarmrufe der Intensivmediziner bis hin zu Horrorszenarien, es könne nicht mehr jeder Corona-Patient optimal behandelt werden, war durch die Zahlen nicht wasserdicht abgedeckt. Dabei begründete selbst Kanzlerin Angela Merkel den Lockdown mit den Worten: „Wir dürfen die Hilferufe der Intensivmediziner nicht überhören.“
So verteidigt sich Spahn
Das Gesundheitsministerium verschickte am Freitag ein „Faktenblatt zu Manipulationsvorwürfen“, um die Vorwürfe zu entkräften – und dem RKI den Schwarzen Peter zuzuschieben: Das habe gegenüber dem Ministerium „explizit darauf hingewiesen, dass diese Befürchtungen nicht mit Daten oder Analysen belegt werden können“. Zu „keinem Zeitpunkt“ habe es „belastbare Erkenntnisse“ über Manipulationen der freien Intensivkapazitäten gegeben. Auch die Intensivmediziner reagierten: „Die DIVI hat keinen Hinweis darauf, dass eine bewusste Falschmeldung der Krankenhäuser erfolgt ist. Wir weisen den Verdacht entschieden zurück, Kliniken würden sich im großen Stil durch bewusste Falschmeldungen bereichern.“
Millionen mangelhafte Masken zurückgeschickt
Mehrere Bundesländer haben Medienberichten zufolge Millionen Corona-Masken aus dem Verkehr gezogen, die ihnen der Bund voriges Jahr zur Verfügung gestellt hatte. Der NDR berichtete, dass Schleswig-Holstein vier Millionen Masken zurückgeschickt habe, die die FFP2-Norm nicht erfüllt hätten. Niedersachsen wolle ebenfalls vier Millionen Masken an den Bund zurückgeben. In Rheinland-Pfalz lagerten mehr als eine Million nicht verkehrsfähige Masken. Der „Spiegel“ schrieb, nach Tests habe Baden-Württemberg 4,6 Millionen Masken aus dem Verkehr gezogen.
Das Gesundheitsministerium verwies am Freitag erneut darauf, dass wegen damals nicht vorhandener EU-zertifizierter Masken auf dem Markt andere Masken beschafft worden seien. Sie seien aber nach einem für die Pandemie entwickelten Verfahren für Infektionsschutz-Zwecke geprüft worden. Insgesamt seien 230 Millionen Masken dieses Typs ausgeliefert worden. (dpa)
Also alles halb so wild? Wohl nicht, denn bei Spahn schrillten offenkundig die Alarmglocken. Zum einen wies er das RKI laut Faktenblatt an, keine „rückwirkenden Anpassungen“ der freien Intensivbetten mehr zu akzeptieren. Und er wies seine Länderkollegen „auf mögliche Unstimmigkeiten der Meldungen“ hin. Die DIVI räumt ein: „Die aktuelle Diskussion zeigt, dass sich die Datenlage der einzelnen Kliniken deutlich verbessern muss. Wir brauchen mehr Transparenz.“
Zweifel bleiben
Hinweise auf mögliche Manipulationen gab es in Hülle und Fülle. In etlichen Kreisen quer durch die Republik lag die Intensiv-Auslastung just ab dem 11. November stets über 75 Prozent, als die neuen Regeln für Corona-Hilfen in Kraft traten. Laut Bundesrechnungshof hatte das Methode, „um monetäre Nachteile für den Standort zu vermeiden“. Die unabhängige Institution kommt zu dem Fazit, dass „das derzeitige System der Ausgleichszahlungen unerwünschte Mitnahmeeffekte ermöglicht“.
Die Möglichkeit einer „Beeinflussung“ bestehe zudem weiterhin. Das sei „besonders problematisch, da drohende Engpässe der medizinischen Versorgung auch als Entscheidungsgrundlage für weitere politische Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung dienen“.
Und auch die Frage, wie viele Intensivbetten nun mit den Milliarden vom Bund tatsächlich geschaffen worden sind, will der Rechnungshof endlich beantwortet sehen. Geld floss für 13700 Betten. „Ein solcher Kapazitätszuwachs ist aus den vorliegenden Statistiken und Datensammlungen indes nicht abzulesen“, konstatiert der Rechnungshof. Spahns Sprecher sagte am Freitag, es sei zu jedem Zeitpunkt gelungen, eine Überlastung der Krankenhauskapazitäten zu verhindern, „und jeder Euro war es wert“.
Das sagt die Opposition
FDP-Chefhaushälter Otto Fricke reichen Spahns Erklärungen bei weitem nicht. „Dass die Eindämmungsmaßnahmen der Bundesregierung auf möglicherweise manipulierten Zahlen basierten, ist höchst bedenklich“, sagt Fricke im Gespräch mit unserer Redaktion. „Es muss Klarheit herrschen, auf welchen Fakten und Daten die zunehmend unverhältnismäßigen Einschränkungen der Freiheitsrechte beruhen.“
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Noch härter reagiert die AfD: „Es ist ein Zeichen der Unfähigkeit von Herrn Spahn, dass nicht eindeutig geklärt werden kann, ob die zusätzlichen 13700 Intensivbetten verfügbar sind oder nicht“, so deren Obfrau im Rechnungsprüfungsausschuss, Ulrike Schielke-Ziesing. Man müsse „genauestens prüfen, ob das Versagen des Gesundheitsministers dazu führte, dass unzählige Unternehmer und Angestellte an den Rand ihrer finanziellen Existenz getrieben wurden“.