Abkassiert mit PatientenExperten werfen Kliniken vor, Corona-Gefahr zu übertreiben
Berlin – Haben Kliniken die Corona-Gefahr gezielt übertrieben, zu viele Patienten intensiv behandelt und kräftig abkassiert? Diese harten Vorwürfe erheben Experten um den Mediziner und Gesundheitsökonom Matthias Schrappe. Ihre Thesen sorgen auf Twitter (#DiviGate) für ein gewaltiges Echo. Krankenhäuser und Intensivmediziner wehren sich. Was stimmt an den Attacken, was ist Stimmungsmache?
Vorwurf I: Abzocke
Der Staat hat gut eine halbe Milliarde Euro in den Aufbau von 11 000 zusätzlichen Intensivbetten gesteckt, damit jeder schwerkranke Corona-Patient optimal behandelt werden kann. Die Zahl der Intensivbetten wird seit April 2020 im neu geschaffenen DIVI-Intensivregister ausgewiesen. Im Thesenpapier der Experten, das auch Gesundheitsökonom Gerhard Glaeske aus Bremen und Rechtsmediziner Klaus Püschel aus Hamburg unterzeichnet haben, heißt es mit Blick auf das Register: „Die Zahl der Intensivbetten nimmt seit Sommer letzten Jahres ab.“ Im Interview mit der „Welt“ erhebt Schrappe folgenden Vorwurf: Die teuer bezahlten zusätzlichen Betten „sind offensichtlich niemals geschaffen worden oder wurden beantragt, obwohl es keine Pflegekräfte dafür gab“. Das sei „anrüchig“.
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Im DIVI-Intensivregister wird erstmals am 4. August 2020 eine Notfallreserve von 11.785 Betten aufgelistet. Diese ist bis heute weitgehend stabil geblieben. Allerdings sank die Gesamtzahl der gemeldeten Betten (betreibbar plus Reserve) seitdem von mehr als 40 000 auf ca. 34 000. Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), weist den Abzocke-Vorwurf der Experten scharf zurück. „Die Betten sind aufgebaut worden, die Infrastruktur ist aufgerüstet worden, und das Personal wurde in Bereitschaft gehalten. Dafür wurde das Geld genutzt“, sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion. Dass die Gesamtzahl der Intensivbetten sank, hat neben dem trivialen Grund, dass die Intensivbetten für Kleinkinder rausgefallen sind, einen komplizierten Grund: Die Pflegepersonaluntergrenzen für Intensivstationen wurden vom Gesundheitsministerium in der ersten Welle aufgehoben, um Kapazitäten zu schaffen. Vor der zweiten Welle wurden sie aber wieder in Kraft gesetzt.
Vorwurf II: Intensivpatienten
Deutschland habe eine „Sonderstellung“ eingenommen, schreiben die Experten: „In keinem Land werden so viel hospitalisierte Infizierte auf Intensivstation behandelt.“ In der Spitze Ende April waren es 58 Prozent, gegenüber elf Prozent in Italien. Dazu sagte Schrappe: “Könnte es sein, dass manche Häuser sich in Erlösmaximierung versuchen?“ Wurden Patienten also ohne Not intensivbehandelt, um abzukassieren?Die Vereinigung der Notfallmediziner (DIVI) bezeichnet den „unbelegten“ Vorwurf als „Schlag ins Gesicht der Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte“. Es sei gerade die Stärke der deutschen Krankenhausstrukturen, schwerkranke Patienten „adäquat“ zu versorgen. Wer daraus eine Fehlversorgung „konstruiert“, müsse belegen, dass die Behandlungsergebnisse in anderen Ländern gleich gut oder sogar besser gewesen seien.
Vorwurf III: Alarmismus
Seit Beginn der Epidemie habe es „von politischer Seite, aber auch von Fachverbänden, laute Warnungen vor einer Überlastung der Intensivstationen und vor einer 'Triage' zur intensivmedizinischen Versorgung gegeben“, konstatieren die Experten. Der „Dramatik der Aussagen“ stehe dabei „ein deutlicher Mangel an verwertbaren Daten gegenüber“. Auch dagegen wehren sich die Intensivmediziner. „Es ging nie um Panik oder Angstmache, sondern immer um Vorsicht“, heißt es in ihrer Erklärung. Die Situation rückblickend zu bewerten, werde „den damaligen Entscheidungsnotwendigkeiten nicht gerecht“.
Allerdings liegen die drastischsten Warnungen nicht so lange zurück, noch kurz vor Ostern beschworen Intensivmediziner das Überlaufen der Intensivstationen, werde nicht sofort der Knallhart-Lockdown verhängt. In dem Punkt gibt Gaß deswegen den Experten ein Stück weit Recht. „Grund zu Warnungen vor einer totalen Überlastung gab es nicht.“