- Die frühere Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im Bundestag warnt im Interview mit Uwe Westdörp vor Überheblichkeit und vorschnellen Urteilen in der politischen Debatte.
Frau Wagenknecht, Ihr Buch „Die Selbstgerechten“ ist zum Bestseller geworden. Haben Sie das Gefühl, eine fruchtbare Debatte auszulösen? Oder überwiegt die Konfrontation?
Mir schreiben viele Menschen, dass ich Ihnen aus der Seele spreche. Sie wünschen sich eine Politik, die endlich wieder für mehr Zusammenhalt sorgt, auch für mehr soziale Sicherheit. Sie wollen nicht in einer entfesselten Marktgesellschaft leben, in der selbst Krankenhäuser Profit machen müssen, sondern wünschen sich wieder mehr Gemeinsinn und Wir-Gefühl. Das aber wird nicht nur von rechts konterkariert, sondern auch durch eine linksliberale Identitätspolitik, die das Trennende in den Vordergrund stellt und nur wertschätzt, was von der Mehrheit abweicht.
Sie reiben sich schon seit Jahren an jenen, die Sie die „Lifestyle-Linken“ nennen. Was genau sind die schlechten Eigenschaften dieser Leute?
Es geht um die Arroganz und Überheblichkeit, mit der relativ gut situierte, meist akademisch gebildete Leute ihre Werte und ihren Lebensstil zum Muster progressiven Lebens verklären und anderen, oft deutlich weniger privilegierten Menschen vorzuschreiben suchen, wie sie zu leben, zu reden und zu denken haben. Hinzu kommt eine große Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, die dieses Milieu kennzeichnet. Weil solche Debatten unter dem Label „links“ geführt werden, diskreditieren sie linke Politik.
Sie standen bereits im Kreuzfeuer der parteiinternen Kritik, als Sie abweichende Positionen zur Migration vertreten haben. Ist das jetzt immer noch so?
Die Debatte hat sich etwas versachlicht, auch innerhalb meiner eigenen Partei. Aber es gibt immer noch Leute, die jeden, der für eine Begrenzung der Zuwanderung eintritt, als Rassisten ächten. Auch bei anderen Themen, etwa in der Corona-Politik, haben wir ein aufgeheiztes Klima in der öffentlichen Debatte. Da wird nicht abgewogen: Ist ein Argument richtig. Stattdessen zählt schon der Umstand, dass man für ein Argument vielleicht Beifall von der falschen Seite bekommt, als Widerlegung – nach dem Motto: Das darf man nicht sagen, da könnte ja die AfD zustimmen...
Wie sollte man mit den Anhängern der „Querdenker“-Bewegung umgehen?
Ich finde es überheblich, jeden, der mit der Corona-Politik der Bundesregierung nicht einverstanden ist, als „Covidioten“ abzuqualifizieren, wie SPD-Chefin Saskia Esken das getan hat. Es kommt Politikern nicht zu, Menschen, die eine andere Meinung haben, zu beschimpfen.