Rundschau-Debatte des TagesWie die Kirchen den Exodus ihrer Mitglieder stoppen wollen
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Bonn/Hannover – In Deutschland gehören nur noch 51 Prozent der Menschen einer der beiden großen christlichen Kirchen an. Das geht aus den aktuellen Zahlen hervor, die die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am Mittwoch veröffentlichten. Demnach waren (Stand: Dezember 2020) 26,7 Prozent der Bevölkerung katholisch und 24,3 Prozent evangelisch.
Aus beiden Kirchen traten im Laufe des vergangenen Jahres jeweils rund 220000 Menschen aus. Überraschend dabei: Obwohl die Mitgliederzahlen bei beiden Konfessionen weiter abnehmen, ging die Zahl im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent zurück.
Evangelische wie katholische Kirche verweisen in ihren Jahresberichten außerdem auf die harten Einschnitte durch die Pandemie. Vor allem die Gottesdienste hätten über weite Strecken des Jahres nicht so gefeiert werden können wie in früheren Jahren. Eine wahrscheinliche Folge der Restriktionen: Die Zahl der Taufen ging bei den Katholiken um rund ein Drittel zurück. Bei den Protestanten halbierte sie sich sogar.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, kommentierte dies so: „Wenn wir heute die Statistik des Jahres 2020 vorlegen, dann sind diese Zahlen ein drastisches Spiegelbild dessen, wie sich die Corona-Pandemie auf das Leben in unseren Gemeinden auswirkt.“ Viele kirchliche Feiern hätten zwar verschoben werden müssen, aber letztlich doch vielfach stattgefunden. „Die Kirche war auch in der Pandemie gerade an den Wegmarken im persönlichen Leben für viele Menschen präsent.“
Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm äußerte sich ähnlich: „Es war schmerzhaft für uns, dass in den vergangenen 15 Monaten nur eingeschränkt Gottesdienste, Taufen, Trauerfeiern und Hochzeiten in den Gemeinden vor Ort stattfinden konnten. Die Begegnungen haben uns gefehlt.“ Umso mehr sei er von den vielen kreativen und liebevollen alternativen Angeboten der Gemeinden beeindruckt, die digital und vor Ort entstanden seien.
Erschütterung über Missbrauch
Bätzing ging jedoch auch auf einen mutmaßlichen Hauptgrund für die gesunkenen Mitgliederzahlen ein – die Skandale um den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester und deren schleppende Aufarbeitung. „Gleichzeitig erleben wir in der Kirche eine tiefgreifende Erschütterung“, räumte er ein. „Das zeigt sich auch in der Statistik der Kirchenaustritte, die ich als schmerzlich für unsere Gemeinschaft empfinde.“ Viele Menschen hätten das Vertrauen verloren und wollten mit dem Kirchenaustritt ein Zeichen setzen. Das nehme man ernst und arbeite etwa weiter an der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs, aber auch an der Gewaltenteilung in der Kirche. „Ich wünsche mir sehr, dass der Synodale Weg seinen Beitrag dazu leisten kann, neues Vertrauen aufzubauen“, sagte Bätzing.
Obwohl die Zahl der Austritte aus der evangelischen Kirche im vergangenen Jahr gesunken ist, betonte auch Bedford-Strohm: „Jeder Kirchenaustritt bekümmert mich und lässt mich fragen, was wir als Kirche tun können, um Menschen vom guten Sinn der Mitgliedschaft in unserer Kirche zu überzeugen.“ Um mehr über die Gründe zum Kirchenaustritt zu erfahren, hat das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD eine bundesweite Online-Umfrage durchgeführt. Erste Auswertungen zeigen demnach, dass nur bei etwa einem Viertel der Befragten konkrete Anlässe für ihre Entscheidung zum Kirchenaustritt ausschlaggebend gewesen sind. Die detaillierte Auswertung der Studie soll im Herbst veröffentlicht werden.
Zunehmende Entfremdung
Die Gruppierung „Wir sind Kirche“ sieht die Zahlen der Kirchenstatistik für 2020 als neuerlichen „dramatischen Warnruf“ an die Kirchenleitungen.
Weniger Trauungen, mehr Bestattungen
Corona und die Folgen haben massive Auswirkungen auf das kirchliche Leben gehabt. So lag die Zahl der kirchlichen Trauungen in der katholischen Kirche im Jahr 2020 bei 11018; im Jahr davor waren es mit 38537 mehr als drei Mal so viele. In der evangelischen Kirche halbierte sich die Zahl der Taufen im Vergleich zum Vorjahr auf 81000. Auch der Besuch der Gottesdienste ging noch einmal stark zurück. Lediglich die Zahl der Bestattungen stieg an: in der katholischen Kirche von 233937 im Jahr 2019 auf 236546 im Jahr 2020. Die EKD erfasste einen Anstieg von 4 Prozent auf rund 355000. Wie erwartet führte die Wirtschaftskrise zu einem Rückgang der Kirchensteuereinnahmen. Die katholische Kirche erhielt von ihren Mitgliedern 6,45 Milliarden Euro. In der EKD sanken die Einnahmen ebenfalls um rund 5 Prozent auf 5,63 Milliarden Euro. (kna)
Die weiterhin massiven Rückgänge kirchlichen Lebens seien nicht nur auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, heißt es in einer Stellungnahme der Initiative. Vielmehr seien die aktuellen Zahlen auch das Ergebnis einer seit vielen Jahren zunehmenden Entfremdung vieler Katholikinnen und Katholiken von ihrer Kirche. Dies dürfe aber keinesfalls mit Glaubensabfall gleichgesetzt werden.
Dass die Zahl der Kirchenaustritte nicht den Spitzenwert des Vorjahres erreicht habe, sollten die Bischöfe keineswegs als Entwarnung deuten, schreibt die Initiative. Die massiven Austrittszahlen der vergangenen Monate aufgrund der anhaltenden Krisensituation im Erzbistum Köln seien schließlich noch nicht enthalten. Der Rückgang der kirchlichen Trauungen, Taufen und Erstkommunionen würden auch langfristig die Schrumpfung der kirchlich gebundenen Gemeinschaft beeinflussen. Hier habe Corona den Trend wohl nur beschleunigt. (mit kna)