Politikwissenschaftler zur LandtagswahlGrüne als „Volkspartei im urbanen Zentrum“
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Professor Doktor Stefan Marschall, 53 Jahre alt, ist Politikwissenschaftler an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Sein Schwerpunkt dabei ist das „Politische System Deutschlands“. Im Interview beantwortet er Fragen zu den Ergebnissen und Hintergründen der Landtagswahlen 2022 in Nordrhein-Westfalen.
Herr Prof. Dr. Marschall, Köln wählt wieder grün, die Partei hat sich als starke Kraft in der Stadt etabliert. Ist Köln jetzt endgültig grün, weil die Partei bei allen Wahlen nun stärkste Kraft war?
Eine ganz entscheidende Rolle haben die Kommunalwahlen 2020 und der Sieg der Grünen gespielt. Dadurch konnten die Kölner Grünen Strukturen schaffen für die Parteiarbeit und Menschen gewinnen, die sich engagieren. Dass sich die Erfolge bei anderen Wahlen fortsetzen, darin liegt eine gewisse Pfadabhängigkeit. Erfolge ziehen häufig weitere Erfolge nach sich.
In NRW haben die Grünen sieben Direktmandate geholt, vier davon in Köln. Was ist Kölns Sonderstatus? Es gibt ja auch andere Städte mit urbanen Milieus.Köln hat als Großstadt und als größte Stadt in NRW eben besonders urbane Strukturen. Sie beherbergen ein Milieu, das den Grünen nahe steht. Die Grünen sind ja auch im Konflikt um die Ukraine sehr präsent. Der Klimawandel als alleiniges Thema kann die grünen Erfolge in Köln doch nicht mehr erklären?Der Klimawandel ist mittlerweile ein Großthema geworden, das viele Aspekte beinhaltet, unter anderem die Verkehrspolitik. Sie ist im städtischen Bereich besonders interessant und spannend. Zur Klimapolitik gehört nun aber auch die Fragen der Energieversorgung und -sicherheit, bei denen die Erneuerbaren Energien eine wichtige Rolle spielen. Das Klimathema weitet sich aus und greift in viele andere Themenbereiche. Davon profitieren die Grünen.
Themen der Grünen überzeugen auch für Kandidaten
Im Kölner Westen sind in fünf Jahren aus 22 000 Stimmen Vorsprung der CDU auf die Grünen 6000 Stimmen Rückstand geworden, obwohl es dieselben Kandidaten sind. Im Südwesten hat eine ziemlich unbekannte Kandidatin gegen einen amtierenden CDU-Landtagsabgeordneten klar gewonnen. Ist es egal, wen die Grünen aufstellen?Mittlerweile gibt es weniger Stimmen-Splitting bei den Grünen. Wer sie mit der Zweitstimme wählt, wählt jetzt auch tendenziell die Kandidaten der Partei. Das heißt für die Kandidaten, egal ob sie bekannt oder unbekannt sind, dass sie gute Chancen haben, den Wahlkreis zu gewinnen. Das war früher auch bei CDU und SPD so. Der Erfolg der Partei trägt die Kandidaten mit. Dann ist es manchmal auch fast egal, wer kandidiert. Oder es ist eben möglich, dass ein Kandidat, der erneut antritt, von der grünen Welle profitiert.Die CDU verliert in Köln an Boden, wird von der grünen Welle überrollt. Wie kriegt sie wieder ein Bein auf den Boden?Das ist keine leichte Frage. Tatsächlich ist es schwierig für die CDU, sich im urbanen Milieu von den Grünen abzusetzen, die aktuell das Gewinnerthema auf ihrer Seite haben. Für die CDU bleibt die innere Sicherheit relevant, da schreiben ihr die Wähler eine besondere Kompetenz zu. Dieses Thema muss sie herausarbeiten, das wäre eine Chance. Allerdings braucht es dafür auch die nötigen öffentlichen Debatten zu dem Thema. Die fehlen aktuell und zeichnen sich auch nicht ab. Darauf hat eine Partei nur begrenzt Einfluss. Und dazu kommt: Die jungen Wähler wenden sich den Grünen zu, die CDU läuft also Gefahr, dass sie bei zukünftigen Wahlen verliert.Im Rat arbeitet die CDU seit 2015 mit den Grünen zusammen. Schadet ihr das?Das kann sein. Zusammenarbeit heißt eben auch, dass Parteien Konflikte nicht mehr herausarbeiten, sondern das Gemeinsame. Das ist aber ein Problem für eine Partei, die sich profilieren will. Da kann eine Zusammenarbeit auch kontraproduktiv sein. Das Bündnis im Rat ist ja eine Art Große Koalition, die Unterschiede verwischt.
Grünen jetzt die zentrale Großstadt-Partei
Allerdings dürfte es auch alles andere als ausgemacht sein, dass die CDU in Köln Wahlergebnisse von über 30 Prozent holt, wenn sie ihr Profil schärft und sich von den Grünen abgrenzt.Das stimmt. Für die CDU in Köln gibt es keine leichten Antworten, in Köln sind die Grünen jetzt die zentrale Großstadt-Partei, eine Art Volkspartei im urbanen Zentrum. Dagegen zu halten, ist alles andere als einfach, nur die Themen Sicherheit und Wirtschaft dürften dabei nicht ausreichen.In früheren CDU-Hochburgen, wählen die Bürger jetzt Grün. In der Partei heißt es oft: „Da fahren Leute zwei SUV‘s und wählen grün für ihr Gewissen.“ Ist da etwas dran oder machen Teile der CDU es sich damit zu einfach?Es ist schon richtig, dass die Grünen auch in der Breite wählbar geworden sind, sogar für Personenkreise, die es sich vor zehn Jahren noch nicht hätten vorstellen können, grün zu wählen. Die Grünen sind pragmatischer und mittlerweile auch ein Stück weit konservativer. Damit ist sie auch anschlussfähiger geworden für Menschen, die nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch denken.
In Köln ist sie 2015 in der Opposition. Macht sie das weniger sexy für den Wähler?Nicht zwingend. In der Opposition können Parteien sich profilieren, Alternativen aufzeigen. Aber die Oppositionsarbeit ist generell schwieriger geworden, wenn es lagerübergreifende Koalitionen gibt und in Henriette Reker eine parteilose Oberbürgermeisterin. Das macht es kompliziert für die SPD.CDU und SPD sind in Köln also auf der Suche nach sich selbst?Ja, schon. Die Wahl ist ein Warnschuss für beide Parteien, die Grünen sind der klare Gewinner. Der Trend ist grün in Köln. Das kann sich noch ändern, aber die Themenagenda läuft gerade gut für die Grünen.Aber einfach abwarten, bis die eigenen Themen wieder im Trend sind, kann kaum nicht der Anspruch von CDU und SPD sein.
Das stimmt. Aber es ist auch keine Option, das Hauptthema der Grünen aufzugreifen. Das führt nur dazu, dass es weiter im Fokus steht. Und dann wählen die Wähler eher das Original als die Kopie. Man kann das Thema aber auch für sich drehen. Dazu gehört für die SPD die Frage, wie der Klimawandel sozialverträglich gestaltet wird. Und für die CDU heißt es, wie der Klimawandel gestoppt wird, ohne den Wirtschaftsstandort Köln zu gefährden.Warum wählen 8800 Wähler Ursula Heinen-Esser, obwohl sie ein Mandat nicht angenommen hätte?Weil viele Wähler eben kein Stimmen-Splitting machen und nicht schauen, wer antritt als Kandidat für die Partei. Oder eben aus einer gewisse Trotzhaltung heraus, um die Kandidatin zumindest symbolisch zu unterstützen.