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Jens Spahn im Interview„Wir haben genug Corona-Impfstoff bestellt“

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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

  1. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach im Interview mit Kerstin Münstermannüber die Kritik an der Impfstrategie der Bundesregierung und den möglicherweise anhaltenden Lockdown.

BerlinHerr Spahn, es gibt Kritik von Opposition und Wissenschaft an der Impfstrategie der Bundesregierung. Das Leopoldina-Mitglied Frauke Zipp sprach von einem groben Versagen der Verantwortlichen. Bereits im Sommer hätte viel mehr Impfstoff auf Risiko bestellt werden müssen, so die Neurologin. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?

Jens Spahn: Das Problem ist nicht die bestellte Menge. Wir haben genug bestellt. Das Problem ist die geringe Produktionskapazität zu Beginn – bei weltweit extrem hoher Nachfrage. Das haben wir von Anfang an transparent gemacht. Ich sage seit Wochen, dass wir bis Ende Januar vier Millionen Dosen Biontech-Impfstoff erwarten. Es war bekannt, dass es zu Beginn knapp werden würde und wir priorisieren müssen. Deswegen haben wir die Ständige Impfkomission (Stiko), den Ethikrat und die Leopoldinagebeten, Vorschläge zu erarbeiten, wer zuerst geimpft werden sollte. Die setzen wir jetzt um und starten insbesondere in den Pflegeheimen mit dem Impfen.

Trotzdem sind alle unzufrieden….

Spahn: Ich verstehe die Ungeduld. Aber es sind Tage der Zuversicht. Die sollten wir uns nun nicht gegenseitig trüben. Impfen ebnet den Weg raus aus der Pandemie. Und diesen Weg beschreiten wir jetzt gemeinsam. Wir werden Zug um Zug mehr Menschen impfen können und so Schritt für Schritt mehr Normalität zurück bekommen.

Reicht der Impfstoff für diese Prognose aus?

Spahn: Wir haben ausreichend Impfstoff für Deutschland und die EU bestellt. Die Frage, wie schnell jetzt am Anfang Impfstoff da ist, hängt ja nicht mit der insgesamt bestellten Menge zusammen. Zumal wir in Europa auf sieben unterschiedliche Hersteller setzen. Da werden die Sachverhalte vermischt. Biontech und Pfizer hatten sehr frühzeitig kommuniziert, dass bis Jahresende 2020 für den weltweiten Bedarf nicht mehr als 50 Millionen Dosen des Impfstoffs vorproduziert werden konnten.

Aber es kommt ja auch auf Geschwindigkeit an. Sollte es notfalls einen deutschen Alleingang für die Zulassung des Oxford/Astrazeneca-Impfstoffs geben?

Spahn: Diese Woche wird es eine Zulassung des Moderna-Impfstoffes geben. Auch dort sind zunächst geringere Mengen zu erwarten, aber alleine davon haben wir über Europa 50 Millionen Dosen für Deutschland gesichert. Die europäischen Zulassungsbehörden und das Paul-Ehrlich-Institut prüfen derzeit die Daten von Astrazeneca.

Also kein deutscher Alleingang?

Spahn: Ideal wäre eine zügige europäische Zulassung.

Nach Angaben Ihres Hauses wurden bis 30. Dezember rund 1,3 Millionen Impfdosen von Biontech geliefert. Am Samstag gab das Robert Koch-Institut bekannt, dass ihm inzwischen rund 188 500 Impfungen gemeldet seien. Wie passt das zusammen?

Spahn: Mit der Entscheidung, zuerst in Pflegeheimen zu impfen, war klar, dass es langsamer losgeht. Dort müssen mobile Teams eingesetzt werden, das ist aufwändiger als im Impfzentrum. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass die Länder noch im Januar allen Bewohnerinnen und Bewohnern in Pflegeheimen ein Impfangebot machen werden. Wenn viele in den Heimen sich impfen lassen, hat die Pandemie schon einen Teil ihres Schreckens verloren. Denn dort wütet das Virus besonders stark. Außerdem gibt es durchaus Unterschiede zwischen den Bundesländern. Bei einigen läuft die Impfkampagne schneller an als bei anderen.

Was kann der Bund tun, um den Prozess zu beschleunigen?

Spahn: Noch ist der limitierende Faktor der knappe Impfstoff. Wir werden am Anfang Geduld miteinander aufbringen müssen. Die Länder wählen unterschiedliche Wege, teils durch Anschreiben oder telefonische Terminvergabe. Dass es keine bundeseinheitliche, sondern diese unterschiedliche Herangehensweise gibt, war eine sehr bewusste Entscheidung der Länder. Nun muss diese Entscheidung gemeinsam bestmöglich umgesetzt werden.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder spricht sich dafür aus, den Impfstoff falls möglich „sogar in Lizenz bei anderen Firmen in Deutschland" herstellen zu lassen um die Impfkampagne zu beschleunigen. Ein gangbarer Weg?

Spahn: Nicht, wenn wir wirklich schnell mehr Impfstoff wollen. Die Produktion von Impfstoff ist sehr komplex und aufwändig, zumal mit der völlig neuen mRNA-Technologie. Wir unterstützen Biontech dabei, zusätzliche Partner zu finden und in Marburg im Februar mit der weiteren Produktion starten zu können. Es stehen in Deutschland und Europa ja keine ungenutzten Produktionsstätten herum. Eine Pillenproduktion lässt sich leider nicht einfach auf Impfstoff umstellen.

Kränken Sie die Vorwürfe der Opposition, aber auch des Koalitionspartners?

Spahn: Kritik gehört dazu. Es ist aber durchaus interessant, dass mit der Linken auch die FDP nach einer quasi Verstaatlichung der Impfstoff-Unternehmung ruft. Dabei haben wir gerade deshalb einen Impfstoff, weil es wettbewerbsfähige Unternehmen gibt. Im Übrigen macht es mich nachdenklich, dass auch Parteien, die auf ihrem Parteitag die Internationale singen und europäische Solidarität beschwören, jetzt, in dieser Jahrhundertpandemie, die Karte des deutschen Alleingangs spielen wollen.

Es war also richtig, dass in Europa gemeinsam zu machen?

Spahn: Es ist eine Errungenschaft, dass alle EU-Mitgliedstaaten - von Kroatien bis Deutschland, von Portugal bis Finnland - am selben Tag mit dem Impfen beginnen konnten. Diesen Zusammenhalt brauchen wir nicht nur in der Pandemie. Wir werden mit Blick auf China und die Welt in diesen zwanziger Jahren den europäischen Zusammenhalt noch sehr brauchen. Da prägt es doch die Debatte auf Jahre und Jahrzehnte, ob und wer jetzt nur an sich denkt oder wer eben europäisch handelt. Unter Abwägung aller Argumente bleibt der europäische Weg richtig. Dass Europa an bestimmten Stellen hätte schneller sein können, steht außer Frage. Doch Deutschland hat bei allen Fragen sehr zur Eile gemahnt und schnell Verhandlungen unterstützt.

Die Vorwürfe lauten ja etwa, dass man zu sehr auf die Franzosen und Sanofi gesetzt hätte…

Spahn: Wir haben von Anfang an auf mehrere Hersteller gesetzt. Keiner wusste doch, welcher Impfstoff erfolgreich sein würde. Und dass es den Vertrag mit Biontech gibt, hat maßgeblich mit der Bundesregierung zu tun. Biontech war teurer, deswegen waren einige Mitgliedstaaten anfangs zurückhaltend. Entscheidend aber ist, dass wir den Vertrag geschlossen haben.

Was halten Sie von der Idee, zunächst nur einmal zu impfen, statt der vorgesehenen zwei Dosen?

Spahn: Das ist eine schwerwiegende Entscheidung, die man nur auf wissenschaftlicher Basis treffen kann. Es geht dabei um die Abwägung zwischen individuellem Schutz und der öffentlichen Gesundheit. Ich habe die Ständige Impfkommission gebeten, uns zu dieser Frage eine Empfehlung zu geben.

Viele Pflegekräfte wollen sich nicht impfen lassen. Braucht es da mehr Druck?

Spahn: Es ist ein Gebot der Vernunft und der Solidarität, dass diejenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, sich ebenfalls impfen lassen, zu ihrem eigenen Schutz und dem Schutz der ihnen anvertrauten Patienten. Wir setzen dabei gute Argumente.

Und wann sollen Politiker an der Reihe sein?

Spahn: Zunächst sollten zuerst die geimpft werden können, die am stärksten durch das Virus gefährdet sind. Ich werde mich sofort impfen lassen, wenn ich an der Reihe bin. Und ich möchte auch mit meiner Impfung davon überzeugen, dass es ein sicherer Impfstoff ist.

Wie lange muss der Lockdown noch anhalten?

Spahn: Im Zweifel sollte er jetzt länger gehen, aber dafür um so nachhaltiger wirken. Wir müssen die Pandemie wieder in den Griff bekommen. Das geht kurzfristig nur, wenn die Infektionszahlen stark sinken. Und mittelfristig, indem wir die Älteren impfen. Sind die besonders Gefährdeten, insbesondere alle über Siebzigjährigen erst einmal geschützten, vermeidet das viel Leid. Und unser Gesundheitswesen wäre viel weniger belastet durch diese Pandemie. Schon diese Zwischenetappe würde einen echten Unterschied machen.

Das heißt was für den Januar?

Spahn: Das im Einzelnen zu entscheiden, ist Aufgabe der Länder. Aber die Fakten sind eindeutig: Gerade die hohe Zahl der Patienten auf den Intensivstationen zeigt, dass es eine Überlastung des Gesundheitswesens weiterhin unbedingt zu vermeiden gilt.