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Gutachten des Erzbistum KölnKardinal Meisner und die Akte „Brüder im Nebel“

Lesezeit 4 Minuten

2012 übergab Dominik Schwaderlapp (l.), fortan Weihbischof, das Amt des Generalvikars an den heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße (r.). In der Mitte Joachim Kardinal Meisner.

Köln – Es gab normale Personalakten. Es gab ein Geheimarchiv mit „Giftakten“. Und es gab einen Ordner im persönlichen Besitz des Erzbischofs, in dem Joachim Kardinal Meisner Dokumente über wegen Sexualvergehen verdächtigte Geistliche sammelte. Der von Meisner selbst gewählte Titel des Ordners: „Brüder im Nebel“.

Meisner selbst ist nach dem am Donnerstag veröffentlichten Gutachten der Kölner Rechtsanwaltskanzlei Gercke Wollschläger entscheidend dafür verantwortlich, dass die Taten so vieler „Brüder“ im Nebel blieben. Allein ihm schreiben Rechtsanwalt Björn Gercke und seine Mitarbeiter 23 Pflichtverstöße zu: Fälle, in denen etwa die Aufklärung oder die pflichtgemäße Meldung nach Rom versäumt wurden, ebenso wie unterlassene Hilfe für die Opfer. Ex-Generalvikar Norbert Feldhoff sprach gegenüber den Gutachtern von einer schier „barocken Machtfülle“ Meisners – ebenso wie bei dessen Vorgänger Joseph Höffner. Und die Anwälte zitieren Günter Assenmacher, den bisherigen Chefrichter (Offizial) des Erzbistums Köln, mit der Aussage, Meisner habe sich zwar sehr über Missbrauchfälle „aufgeregt“, für die relevanten kirchenrechtlichen Bestimmungen aber nicht interessiert.

Kardinal Woelki entbindet Assenmacher und Schwaderlapp von Aufgaben

Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki hat Assenmacher ebenso wie den Weihbischof und früheren Generalvikar Dominikus Schwaderlapp mit sofortiger Wirkung von ihren Aufgaben freigestellt. Schwaderlapp hat dem Papst seinen Amtsverzicht ebenso angeboten wie der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße – unter Meisner Personalchef, später Generalvikar in Köln und vorübergehend Diözesanadministrator. Im Gutachten belastet wird auch der frühere Generalvikar und spätere Dompropst Norbert Feldhoff. Was ist die Grundlage?

895 Seiten stark ist das Gercke-Gutachten. Zum Vergleich: Die Arbeit der Münchner Kanzlei Westphal Spilcker Wastl (WSW), die das Erzbistum wegen rechtlicher Bedenken nicht veröffentlichen will, umfasste 350 Seiten in gleicher Schriftgröße. Allein 236 Fallakten wurden ausgewertet – in der Hälfte der Fälle geht es um sexuellen Missbrauch, beim Rest um weitere Delikte mit sexuellem Bezug gegenüber Kindern, Jugendlichen oder erwachsenen Schutzbefohlenen (siehe Grafik).

Grafik Missbrauch

Der Untersuchungszeitraum ist identisch mit dem bei WSW: Fälle, die von 1975 bis 2018 bearbeitet wurden. Die zugrunde liegenden Tatvorwürfe reichen oft weiter zurück. Die Aktenführung der Ära Meisner war offensichtlich chaotisch. Teilweise gab es nur handschriftliche Notizen, die mit Hilfe des Diözesanarchivs mühsam gedeutet wurden. Nicht einmal so banale Maßnahmen wie eine Nummerierung von Seiten (dann könnte man erkennen, wenn etwas aus einer Akte entnommen wurde) wurden umgesetzt. Aktenvernichtungen fanden mindestens zweimal statt, waren aber, so Gercke, vom Kirchenrecht gedeckt. Am Ende ergaben sich Hinweise auf 202 Beschuldige und mindestens 314 Betroffene. Doch, so Gerckes Kollegin Kerstin Stirner, begutachtet werden konnte nur, was in den Akten steht.

24 eindeutige Verstöße wurden festgestellt

236 Aktenvorgänge also. 24 davon markierten die Anwälte „rot“, hier lagen eindeutige Verstöße gegen Rechtspflichten vor – meist mehrere pro Fall (insgesamt 75 Verstöße). Bei 104 Akten sehen die Juristen „gelb“, hier sind Pflichtverstöße möglich, aber nicht sicher. Markant: Verstöße wurden nur da nachgewiesen, wo gegen Geistliche ermitteln wurde. Bei Laien-Mitarbeitern griff das Erzbistum konsequent durch – bis hin zur Kündigung. Fälle von Klerikern aber wurden nur 19 mal wurden pflichtgemäß nach Rom gemeldet, 22mal an die Staatsanwaltschaft.

Typisch für das System organisierter Verantwortungslosigkeit, das die Gutachter feststellen, ist „Aktenvorgang 22“ – der Fall des wegen Sexualdelikten an seinen Nichten beschuldigten Pfarrers U. Personalchef Heße habe pflichtwidrig gebilligt, dass kein Vernehmungsprotokoll angefertigt wurde. Erzbischof Meisner und sein Generalvikar Schwaderlapp hätten eine Voruntersuchung des Falls anstrengen und ihn nach Rom melden müssen.

Dem verstorbenen Kardinal Joseph Höffner legen die Gutachter acht Pflichtverletzungen zur Last, Meisner wie erwähnt 24. 13mal soll Feldhoff gegen seine Pflichten verstoßen haben, sechs davon betreffen versäumte Opferfürsorge. In acht Fällen wird Schwaderlapp belastet und Heße in elf. Allerdings heben die Gutachter hervor, dass Schwaderlapp „um eine korrekte Fallbehandlung bemüht“ gewesen sei. Heße hingegen bringen die Gutachter in Zusammenhang mit Vertuschungsvorwürfen. 2007 habe er aus Vorwürfen „keine große Sache“ machen wollen, 2010 sei er mit dem Verzicht auf ein Protokoll einverstanden gewesen, „da dieses beschlagnahmefähig wäre“.

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Mit Assenmachers Fall tun sich die Juristen offenkundig schwer. Zweimal, darunter im Fall U., legen sie ihm unzureichende Rechtsauskünfte zur Last. Offensichtlich war aber auch die Position des Offizials allen Beteiligten unklar: Der selbst habe sich „als eine Art Berater“ verstanden, „dessen Stimme kein substantielles Gewicht habe“ – andere Führungskräfte maßen seinem Votum entscheidende Bedeutung bei. Assenmacher wollte sich am Donnerstag nicht äußern.

Feldhoff räumte Fehler ein und kündigte an, sich aus dem Priesterrat der Erzdiözese zurückzuziehen. Weihbischof Schwaderlapp räumte Versäumnisse ein, zeigte sich tief beschämt und hat dem Papst seinen Amtsverzicht angeboten. Am späten Nachmittag folgte Stefan Heße, der heutige Hamburger Erzbischof, mit dem gleichen Schritt. Er werde seinen Teil der Verantwortung tragen, sagte er. Aber an Vertuschungen habe er sich nie beteiligt.