Köln – Erst Lieferengpässe beim Impfstoff-Hersteller Biontech-Pfizer, nun auch bei dem britisch-schwedischen Pharmakonzern Astrazeneca. Die Serie von Problemen beim Impfen gegen das Coronavirus reißt nicht ab. Zunehmend macht sich Ernüchterung breit, auch wegen des holprigen Impfstarts und den Problemen bei der Impf-Anmeldung wie in Nordrhein-Westfalen. Wichtige Fragen zu den Lieferengpässen und den daraus resultierenden Folgen.
Wo kommt es konkret zu Engpässen?
Der Impfstoff-Hersteller Astrazeneca hat angekündigt, zunächst 60 Prozent weniger Impfstoff an die EU abgeben zu können als geplant. Konkret waren für das erste Quartal dieses Jahres 80 Millionen Impfdosen zugesagt. Nun sollen lediglich 31 Millionen Dosen bis Ende März geliefert werden. Für die EU-Staaten ist das ein herber Rückschlag, zumal die Gefahr durch die Virus-Mutationen wächst – und damit auch das Risiko einer dritten, noch heftigeren Corona-Welle.
Sind damit die bisherigen Zeitpläne in Gefahr?
Der Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, ist wenig optimistisch. „Das ist schlecht, weil wir unsere Impfziele später erreichen“, sagte Mertens unserer Redaktion. „Es geht ja wohl weniger um Kürzungen, sondern eher um Produktionsausfälle.“ Gleichwohl dürfe Deutschland seine Impfstrategie nicht ändern: „Im Gegenteil, wir müssen so rasch wie möglich die Menschen mit Risiko für schwere Erkrankung, Hospitalisierung und Tod durchimpfen.“ Zugleich räumte der Stiko-Chef ein: „Es ist eine große Herausforderung, so viel Impfstoff nach gerade erfolgter Entwicklung und Zulassung herzustellen. Es gibt einen weltweit enormen Bedarf, Produktionsausfälle können bei solchen Produkten immer auftreten.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte vergangenen Donnerstag in Aussicht gestellt: Wenn alles wie zugesagt erfolge, könne man es schaffen, „bis Ende des Sommers jedem Bürger ein Impfangebot zu machen“. Das klang am Montag bereits ganz anders. Die Impfproduktion sei das Ergebnis „von langen, langen Lieferketten mit unzähligen Einzelelemente“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. „Da kann immer etwas schiefgehen.“
Wie groß ist die Bedrohung durch die neue Corona-Variante?
Die Bundesregierung zeigt sich in hohem Maße alarmiert von der Ausbreitung der in Großbritannien verbreiteten Corona-Mutation in Deutschland. „Wir haben im Hintergrund die dunkle Wolke einer sehr ernsthaften Gefahr“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Der wohl sehr viel leichter übertragbare Virus-Typ B.1.1.7 ist bereits mehrfach in Deutschland aufgetreten. So wurden in Berlin deshalb rund 1500 Beschäftigte einer Klinik unter Quarantäne gestellt. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) hatte am Sonntag in der ARD-Sendung „Anne Will“ gesagt, dass die Mutante auch in Deutschland „die Führung übernehmen“ werde. Seibert sagte: „Jetzt sind wir in einer sehr schwierigen Situation.“
Es gebe zwar ein erfreuliches Sinken der Infektionszahlen und der Zahl der Covid-Intensivpatienten. „Das sind erste Erfolge für uns alle in dieser zweiten Welle“, sagte Seibert. „Gleichzeitig haben wir die große und sehr reale Gefahr, dass sich die Virusmutante auch bei uns wie in anderen Ländern immer weiter durchsetzt und dass die Zahlen wieder stark in die Höhe getrieben werden könnten.“ Man müsse damit rechnen, dass Deutschland der weiteren Ausbreitung der Mutante nicht entgehen werde.
Haben die Labore das mutierte Virus vermehrt nachgewiesen?
Nein, für erste Aussagen ist es nach Angaben der Labore noch zu früh. Zwar hatte in der vergangenen Woche Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Labore per Verordnung angewiesen, positive Gentests im Rahmen einer sogenannten Sequenzierung auf die neue Variante zu prüfen. Dieser Prozess startet nun aber erst. Der Vorstandsvorsitzende der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM), Michael Müller, sagte unserer Redaktion: „Die Labore beginnen in dieser Woche mit der vermehrten Vollgenomsequenzierung und auch mit der umfangreicheren Suche nach den für die besonderen Varianten typischen Mutationen.“
Dazu gebe es noch keine Daten, und auch eine Schätzung wäre nicht sinnvoll. Auch Müller warnte vor einer starken Ausbreitung. „Wenn sich die Varianten hier in Deutschland ähnlich verhalten, ist es wahrscheinlich, dass der Verlauf auch bei uns so ist wie in anderen Ländern“, sagte Müller. Umso wichtiger sei es daher, auf die Einhaltung der Maßnahmen zur Kontaktreduktion, zum Abstandhalten und zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung durch alle jeden Tag und überall hinzuweisen.
Was bedeutet der Entwicklungsstopp von Merck?
Die Hiobsbotschaften bei der Impfstoffentwicklung reißen nicht ab. Der US-Pharmakonzern Merck stoppte nun die Entwicklung von zwei Kandidaten. In frühen klinischen Studien (Phase 1) hätten diese eine unzureichende Immunreaktion erzeugt, diese sei niedriger als bei ehemaligen Covid-Patienten, erklärte das Unternehmen. Merck war erst spät in das Rennen eingestiegen und mit seinen Studien auch noch nicht sehr weit. Sein Kandidat basiert auf einem umgebauten Masernvirus. Das wäre ein dritter Weg gewesen: Die Hersteller Biontech und Moderna, deren Impfstoffe in der EU bereits zugelassen sind, setzten auf die Botenstoffe mRNA. Die Hersteller Astrazeneca und Johnson&Johnson setzen bei ihren Kandidaten auf Vektorimpfstoffe, die auf dem Schnupfenvirus von Affen beruhen.
Wie klappte die Anmeldung für die Impftermine in NRW?
Ab Montag konnten sich 850 000 über 80-jährige Bürger aus NRW für einen Impftermin anmelden. Sowohl die telefonischen Hotlines der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) als auch die Internet-Seite waren teilweise überlastet. Viele Privatpatienten hatten Probleme, sich online anzumelden. Die KV-Chefs baten die Bürger um Geduld. Die aktuellen Lieferprobleme führen dazu, dass NRW bis April nur 560 000 Impfdosen erhält. Zu wenig, um allein die über 80-Jährigen impfen zu können.
Was hat es mit dem Transparenzregisterauf sich?
Die EU-Kommission will künftig alle Impfstoff-Exporte aus der EU in Drittstaaten erfassen und genehmigen lassen. Die Brüsseler Behörde kündigte am Montag in einer Sitzung mit den 27 EU-Staaten ein sogenanntes Transparenzregister an. Das Register solle binnen weniger Tage in Kraft gesetzt werden und erfassen, welche Hersteller welche Mengen von in der EU produzierten Impfstoffen an Drittstaaten liefern.
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Gesundheitsminister Spahn äußerte sich positiv zu derartigen Plänen. Aus seiner Sicht müsse die EU wissen können, ob und welche Impfstoffe aus der EU ausgeführt werden. „Nur so können wir nachvollziehen, ob unsere EU-Verträge mit den Herstellern fair bedient werden. Eine entsprechende Pflicht zur Genehmigung von Impfstoff-Exporten auf EU-Ebene macht Sinn“, sagte Spahn gestern.