Düsseldorf – Mit einer Mischung aus Sorge, Zorn und Häme kommentierten am Dienstag Wirtschafts- und Pädagogenverbände sowie Teile der NRW-Landespolitik die neuen Lockdown-Beschlüsse von Bund und Ländern. Tenor: Inkonsequentes Krisenmanagement stelle Wirtschaft und Bürger vor eine gewaltige Herausforderung.
Wie bewertet die Wirtschaft die Beschlüsse?
Die, die am meisten betroffen sind, reagieren besonders wütend. Der Hotel- und Gastronomieverband Dehoga in NRW spricht von Ohnmachtsgefühlen, Existenzangst, Resignation, Wut und Ärger unter den Mitgliedern. „Wir haben die Nase gestrichen voll, weil wir unsere Hausaufgaben gemacht haben und der Staat seine nicht“, wettert Verbandspräsident Bernd Niemeier.
Bei den Unternehmern herrsche „pures Entsetzen“, betont Arndt G. Kirchhoff, Chef des Verbandes Unternehmer NRW. „Wir können nur dringend davor warnen, mit den ins Auge gefassten Ruhetagen vor Ostern die deutsche Wirtschaft auf Kosten der Unternehmen komplett lahmzulegen. Die finanziellen Schäden und die Auswirkungen auf Prozesse und Lieferketten wären immens“, so Kirchhoff. Der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft in NRW verlangt ein „Ende des zerstörerischen Lockdowns“. Die Fixierung auf Inzidenzwerte müsse ersetzt werden durch eine Teststrategie, die es Schulen, Einzelhandel und Gastronomie erlaube, „im kontrollierten Betriebsmodus fortzufahren“, sagt Landesverbands-Geschäftsführer Herbert Schulte.
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Der Chef des Handelsverbands NRW, Jörg Hamel, skizziert angesichts der neuen Corona-Beschlüsse eine düstere Zukunft für viele Läden etwa in der Kölner Innenstadt: „Die Insolvenzwelle wird rollen“. Die neuen Entscheidungen aus Berlin seien der „Todesstoß“. Hamel warf der Politik planloses Handeln vor, dass viele Einzelhändler in die Verzweiflung treibe. Es sei nicht zu verstehen, warum sich die Verantwortlichen nicht beispielsweise mit einer App-Lösung befassten, die das Einkaufen und die Rückverfolgung der Kunden möglich machen könne. Unternehmen seien jetzt ins Risiko gegangen und hätten Ware geordert, weil sie durch die Einkäufe mit Terminen eine Perspektive gesehen hätten.
Was sagt die Landesregierung zu den Beschlüssen?
Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) will die „Notbremse“ bei den Corona-Öffnungen „eins zu eins umsetzen“. Laschet räumte in der Nacht zum Dienstag ein, er wisse, dass viele mit den hart anmutenden Verhandlungsergebnissen haderten und frustriert seien. Die dynamische Entwicklung des Infektionsgeschehens lasse aber keine andere Option zu. „Alles andere wäre nicht verantwortungsvoll.“
Massive Kritik äußerte Laschet an der Entscheidung der Bundesregierung, Mallorca von der Liste der Risikogebiete zu streichen. Er erwarte von der Bundesregierung, dass die Verpflichtung der Airlines auf Corona-Tests für die Mallorca-Rückkehrer noch vor dem Abflug von der Insel sichergestellt werde. In NRW müssen sich die Urlauber außerdem auf Tests auch nach der Landung einstellen.
NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) appellierte an die Bevölkerung, geplante Urlaubsreisen zu verschieben. Im Radiosender WDR2 rief er dazu auf, möglichst Reisen auch nach Mallorca zu unterlassen, zumal es dort jetzt auch die brasilianische Mutation gebe. Diese sei „viel, viel schlimmer“ als die englische Variante. In den neuen Bund-Länder-Beschlüssen sah der FDP-Politiker und stellvertretende Ministerpräsident „Licht und Schatten“. „Ich bin sehr froh, dass es keine generellen Ausgangssperren gibt, dass wir Kitas und Schulen jetzt nicht einfach wieder schließen“, sagte er.
Wie sieht die Opposition auf die Maßnahmen?
Sie nutzte schon den Tag vor der Aussprache im Landtag zur Abrechnung mit der Landesregierung. „Harte Maßnahmen sind leider nötig, weil das exponentielle Corona-Wachstum sich nicht von allein stoppt“, meinte SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und die schwarz-gelbe NRW-Landesregierung hätten aber bei Impfen und Testen „total versagt“. Ministerpräsident und CDU-Bundesvorsitzender Armin Laschet führe nun „Scheindebatten“ über Urlaub auf Mallorca, um „vom eigenen Versagen abzulenken“. Die Beschlüsse der Bund-Länder-Runde seien enttäuschend, hieß es derweil von den NRW-Grünen. „Dass es nun wieder zu Verschärfungen kommen muss, ist den Versäumnissen von Bund und Ländern geschuldet, die geöffnet hatten, ohne zuerst die notwendigen Schutzvoraussetzungen zu schaffen“, kritisierten die Chefinnen der Landtagsfraktion, Josefine Paul und Verena Schäffer.
Wie reagiert das Personal in Schulen und Kitas?
Mit Kritik am fehlenden Schutz für Pädagogen und Kinder – und mit Spott. „Dafür, dass die Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin so lange kreißte, gebar sie im Bildungsbereich nur eine Maus“, urteilte Stefan Behlau, Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Es fehlten weiter tragfähige Ideen und Wege, die Schul- und Kitabesuche möglichst sicher zu gestalten. Behlau sagte: „Wir benötigen dringend eine praxisorientierte Teststrategie, die Ausweitung der Impfangebote auf alle Schulformen und eine nachvollziehbare Notbremse.“ Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht das ähnlich und forderte „endlich zielführende Maßnahmen für einen sicheren Schulbetrieb“. Wer Schulen weiter öffnen wolle, müsse testen und impfen, sagte GEW-Landeschefin Maike Finnern. Alle Schüler sollten künftig nur mit negativem Testergebnis am Präsenzunterricht teilnehmen. (mit tab)