Vor 50 Jahren erhielt Heinrich Böll den Nobelpreis für Literatur. Die Ehrung folgte einem unruhigen Jahr, in dem der Autor für seine Äußerung über die Aufforderung zur Lynchjustiz an der Baader-Meinhof-Gruppe scharf kritisiert worden war.
Nobelpreis vor 50 JahrenAls die Ehrung Heinrich Böll das Seuchenjahr vergoldete
Das Unheil begann für Heinrich Böll am 23. Dezember 1971 mit einer Schlagzeile der „Bild-Zeitung“: „Baader-Meinhof-Gruppe mordet weiter“ klotzte das Blatt, obwohl die Täterschaft eines blutigen Bankraubs in Kaiserslautern noch unklar war. Den Kölner Autor empörte diese „Aufforderung zur Lynchjustiz“, und er bot Rudolf Augstein einen Essay als Replik an.
Hetzkampagnen, Hausdurchsuchung
Schon der Text bot reichlich Zündstoff. Doch gegen Bölls Willen bastelte der „Spiegel“-Chef für die Ausgabe vom 10. Januar 1972 die Überschrift „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ Der eigenmächtig weggelassene Nachname Meinhof suggerierte die persönliche Nähe des Autors zur RAF-Terroristin und bescherte dem „Sympathisanten“ Hetzkampagnen und Hausdurchsuchungen.
Dann am 10. Dezember das Happy End dieses Seuchenjahrs: In Stockholm bekam der Vielgescholtene den Nobelpreis für Literatur. Vor dem 50. Jahrestag dieser Ehrung und dem 40-jährigen Jubiläum des Kölner Ratsbeschlusses zu Heinrich Bölls Ehrenbürgerschaft lud Oberbürgermeisterin Henriette Reker zum Gedenkabend.
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Über dem Podium im Historischen Rathaus prangte ein Schwarzweißfoto der Stockholmer Zeremonie – mit dem jungen Kronprinz Carl Gustav und einem verhalten lächelnden Preisträger. Letzterer kam per Hörfunkdokument seiner Rede beim Nobelbankett zu Wort. Er gab zu, dass er nach dem weiten Weg des Kriegsheimkehrers und den aktuellen Anfeindungen diese Auszeichnung für „nicht ganz so wahr“ halte. Und trotzig konstatierte er: „Mein einzig gültiger Ausweis ist die Sprache, in der ich schreibe.“
Radikal experimentiert
Sodann diskutierten unter Leitung der FAZ-Feuilletonchefin Sandra Kegel vier Böll-Kenner/innen. Kollegin Katja Lange-Müller rühmte am Beispiel der Kurzgeschichte „Der Mann mit den Messern“ die atmosphärischen Ausflüge in das „Zwischenreich von Traum und Trauma“. Thomas von Steinaecker bestritt, dass der Nobelpreisträger (1917-1985) stilistisch „bloß ein ordentlicher Schriftsteller“ war. Nein, von Short Storys über „Gruppenbild mit Dame“ bis zu den vielstimmigen „Frauen vor Flusslandschaft“ habe er „radikal experimentiert“.
Wie geistreich er zudem über das Schreiben reflektierte, bewies Bölls Nobelvorlesung „Versuch über die Vernunft der Poesie“. Da durchleuchtete er die letztlich unerklärliche Entstehung lebendiger Körperlichkeit „auf so etwas Blassem wie Papier“.
Den Erfolgen mit Preisen und Millionenauflagen waren karge Jahre vorausgegangen. Rundfunkautor Terry Albrecht: „Böll hatte anfangs das falsche Thema: Krieg“ und musste selbst erkennen: „Keine Sau wollte das.“ Dann endlich der Schritt in die Erfolgsspur bei Kiepenheuer & Witsch. Kerstin Gleba, aktuelle Verlegerin: „Für unser Haus ist Heinrich Böll prägend wie kein anderer Autor: literarisch, ästhetisch, moralisch und politisch.“ In den hitzigen Zeiten des RAF-Terrors habe man oft Rechtsbeistand leisten müssen, doch „für Rede- und Kunstfreiheit gehen wir durch alle Instanzen“.
Ambivalentes Verhältnis zur Stadt
Hatte schon Reker das „ambivalente Verhältnis“ von Böll zu Köln „und wohl auch umgekehrt“ angesprochen, so vertiefte Gleba dies. Der Ehrenbürgerschaft für den „kritischen und engagierten Beobachter gesellschaftlicher Fehlentwicklungen“ wollte die CDU so nicht zustimmen – erst eine abgeschwächte Formulierung verhinderte den Eklat.
Heinrich Böll fremdelte durchaus mit „seiner“ Stadt. Die Romanischen Kirchen Kölns liebte er mehr als den Dom, er hasste die Nord-Süd-Fahrt, sagte aber auch: „Wenn dieses merkwürdige Land je ein Herz gehabt hat, lag es da, wo der Rhein fließt.“