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Überblick zur Corona-LageWas der Kölner Krisenstab beschlossen hat

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Symbolbild

Köln – Es ist nicht nur die Inzidenzzahl von 135,2, sondern vor allem die Zahl der Intensivpatienten, die den Krisenstab zum Beschluss der neuen Maßnahmen bewogen hat. Allein in den vergangenen drei Tagen stieg diese von 91 auf 106. Der Höchstwert in der zweiten Welle lag bei 112. Alle bisherigen Lockerungen werden daher nun zurück genommen: Ab dem heutigen Samstag gilt überall dort, wo eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum besteht, ein Verzehr- und Alkoholkonsumverbot. Die Masken dürfen zum Essen und Trinken also nicht mehr abgenommen werden. Rund um das Historische Rathaus und den Spanischen Bau – auf dem Gülichplatz, dem Alter Markt und dem Theo-Burauen-Platz – führt die Stadt zudem ein Verweilverbot ein. Es gilt von montags bis samstags von 8.30 bis 18 Uhr. Für den öffentlichen und privaten Raum gilt auch weiterhin: Ein Haushalt darf sich nur mit maximal einer weiteren Person treffen.

Auch für den Freizeitbereich werden Öffnungen wieder zurück genommen. Ab Montag schließen alle Kölner Museen und auch der Zoo wieder die Türen. Bisher war ein Besuch mit einem negativen Schnelltest möglich. Das Wallraf-Richartz-Museum muss deshalb die für Freitag geplante Eröffnung der Ausstellung „Bon Voyage, Signac!“ erneut verschieben.

Diese Maßnahmen alleine reichten jedoch nicht aus, um die Situation auf den Intensivstationen in Köln nachhaltig zu verbessern, heißt es beim Krisenstab. „Als Stadt haben wir mit den heutigen Entscheidungen unsere Handlungsmöglichkeiten nahezu ausgeschöpft“, sagt Krisenstableiterin Andrea Blome. „Wir haben daher die klare Erwartung an das Land gerichtet, dass jetzt sehr kurzfristig seitens der Landesregierung weitergehende Maßnahmen getroffen werden.“ Vor allem eine einheitliche Lösung für die gesamte Region sei sinnvoll, heißt es aus dem Krisenstab. Denn vor den Toren Kölns gelten zum Teil andere Regeln als in der Stadt.

Kaum noch Aufnahme von Patienten aus dem Umland

Oberbürgermeisterin Henriette Reker appellierte erneut an die Bürger, sich an die Regeln zu halten: „Wir dürfen nicht die Augen verschließen vor dem, was auf den Intensivstationen los ist. Jeder und jede von uns kann, auch unabhängig von Corona, von jetzt auf gleich auf ein Bett auf der Intensivstation angewiesen sein.“ Denn in Köln spitzt sich die Situation zu. Die freien Kapazitäten auf den Intensivstationen liegen unter zehn Prozent, sagt Professor Alexander Lechleuthner, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes. Immer mehr Covid-Patienten müssen versorgt werden, währenddessen die Infektionszahlen weiter steigen. „Momentan können wir kaum noch Patienten aus dem Umland aufnehmen“, sagt Lechleuthner. Im Durchschnitt haben 35 Prozent der Intensivpatienten eine Corona-Infektion.

Bewerbung war erfolgreich

Bei einer Inzidenz von 100 ist die Grenze, unter ihr muss Köln liegen, bis die Stadt als Modellkommune starten kann. „Mit dem Zuschlag für Köln erkennt das Land die Innovationskraft Kölns an, daher freue ich mich über die Entscheidung“, sagt OB Henriette Reker über die erfolgreiche Bewerbung.

Ab dem 26. April kann – so fern die Inzidenzzahl stimmt – mit dem Modellversuch begonnen werden. Getestet wird eine Öffnung mit Hilfe eines „digitalen Testzertifikat“. Der Kölner Antrag sieht mehrere Stufen vor, unter anderem ist zunächst die Öffnung eines Einkaufszentrums geplant, einer Ladenstraße, einer Eventlocation, einer Kultureinrichtung, einer Sportstätte sowie einer Außen- und Innengastronomie. Auch räumlich abgegrenzte Modellschulen und Kitas sollen bei dem Versuch mitmachen. Welche Einrichtungen es sein werden, ist noch nicht entschieden.

Über den Startzeitpunkt gab es verschiedene Meinungen: Die IHK Köln fordert einen früheren Starttermin, die SPD-Fraktion befürwortet, zunächst die Fallzahlen zu senken. „Die Entscheidung des Landes habe ich erwartet und begrüße sie ausdrücklich“, sagte Reker. (hes)

„Es wird im gesamten Umland schwerer, ein freies Intensivbett zu bekommen“, bestätigt auch der Ärztliche Direktor der Uniklinik Köln, Professor Dr. Edgar Schömig auf Nachfrage der Rundschau. „Das bedeutet auch eine schleichende Verschlechterung der Versorgung anderer Notfälle, etwa Unfallopfer oder Patienten mit einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt.“

Bis zu 30 Prozent aller Operationen an der Uniklinik werden ab der kommenden Woche verschoben, damit die Versorgung von Intensivpatienten gewährleistet bleibt. Betroffen seien unter anderem Tumorpatienten und Menschen, die eine Bypass-OP am Herzen benötigen, so Schömig. „Die Kollegen wägen tagesaktuell ab, wer eine dringende OP bekommt und wer noch warten muss. Das ist eine extrem schwierige Situation.“ In der Uniklinik liegen aktuell rund 30 Covid-Patienten auf den Intensivstationen, 22 von ihnen müssen beatmet werden. „Das Durchschnittsalter liegt aktuell bei 46 Jahren. Die Patienten sind im Schnitt 13 Jahre jünger als noch im Herbst und Winter.“ Das bedeutet auch eine längere Behandlungsdauer, also eine weitere Mehrbelastung der Stationen.

Dabei sei es nicht so, dass Betten von den Häusern künstlich „frei gehalten“ werden, wie viele fälschlicherweise denken, erklärt Professor Schömig. „Alleine aus ethischen Gründen ist das nicht möglich. Unsere Intensivstation war auch vor der Pandemie schon zu 100 Prozent ausgelastet“, so der Ärztliche Direktor der Uniklinik. Der Unterschied sei jedoch, dass eine so hohe Zahl von Intensivpatienten wie bei Covid-19 einen Regelbetrieb in den Krankenhäusern nahezu unmöglich machen. „Dabei geht es gar nicht um den Platz oder die Anzahl der Beatmungsgeräte, sondern um das Personal, das zur Verfügung steht.“

Intensivmediziner fordern einen harten Lockdown

In einer Pressekonferenz forderten am Freitag auch Mediziner der „Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin“ (DIVI) einen harten Lockdown. Es gebe einen „ungebremsten“ Anstieg von Covid-Patienten, so DIVI-Präsident Gernot Marx, insbesondere in den Ballungsgebieten seien nur noch wenige Intensivbetten verfügbar. Eine Verlegung in andere Regionen sei sehr aufwendig und medizinisch sehr risikoreich, sagt Professor Christian Karagiannidis, Leiter des ECMO-Zentrums in Merheim. Natürlich gebe es eine Notfallreserve, rund 10 000 Betten sind es bundesweit. „Damit verhindern wir eine Triagesituation, die es sicher in Deutschland nicht geben wird. Aber dann funktionieren die Kliniken auch nur noch in einem Katastrophenmodus.“

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Auch an den Kliniken Köln wird der Regelbetrieb wieder heruntergefahren. „Es werden bereits wieder zahlreiche Eingriffe von Patienten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben“, sagt Professor Frank Wappler, Chefarzt in Merheim und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und lntensivmedizin. 20 Prozent der orthopädischen Eingriffe werden aktuell verschoben. Zudem müsse man ärztliches und pflegerisches Personal aus dem OP-Bereich auf die Intensivstationen versetzen, um den erhöhten Anforderungen entsprechen zu können. „Es ist ein Lockdown im OP, weil er auf der Straße nicht stattfindet“, so Wappler.