Severin Kantereit im Interview„Wir haben so ein dunkles Album gebraucht“
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Vor anderthalb Wochen haben AnnenMayKantereit ihr drittes Album zum Streamen bereitgestellt. Am Freitag erscheint „12“ auch auf CD und Vinyl.
Dominic Röltgen hat mit Schlagzeuger Severin Kantereit über die neue Platte gesprochen.
Mit der Veröffentlichung von „12“ ist euch ein richtiger Coup gelungen. War es länger geplant, das Album ohne große Promo herauszubringen?Nicht wirklich. Das ist eher auf dem Weg so entstanden. Auch das Album ist ja völlig überraschend entstanden – wäre alles normal verlaufen, wären wir das ganze Jahr auf Tour gewesen und hätten auf Festivals gespielt, dann würde es sicherlich jetzt kein neues Album geben. Als dann alles abgesagt wurde, saßen wir auch ein wenig ratlos zuhause und haben uns gefragt, was wir machen sollen.
Als Musiker liegt das ja quasi auf der Hand...
Genau, das Musikmachen hat uns dann auch definitiv geholfen, ein wenig Struktur in den Alltag zu bekommen. Am Anfang waren das Ideen, die wir uns hin und her geschoben haben. Irgendwann haben wir dann gemerkt, dass das doch viele Ideen sind. Wir hatten aber keinen Song, den wir daraus vorausschicken wollten, so wie es normalerweise üblich ist, wenn ein neues Album kommt. Deswegen haben wir uns dann dazu entschieden, alles gleichzeitig zu veröffentlichen. Das war natürlich auch für uns sehr spannend, weil es schon von manchen Seiten Bedenken gab.
Gab es auch Bedenken wegen der deutlichen Thematik? Es könnte ja sein, dass die Leute gar keine Lust haben, mit Corona auch noch in der Musik konfrontiert zu werden.
Ja, natürlich. Wir waren sehr gespannt, wie das ankommt. Für uns war es eine komplett neue Erfahrung, wie das Album entstanden ist, dass wir nicht zusammen in einem Raum sitzen und Musik machen. Die meisten Songs sind im Frühjahr, als der harte Lockdown war, entstanden. Im Sommer haben wir uns dann auch gefragt, ob es nicht vielleicht komisch ist, wenn jetzt so ein Album kommt, auf dem die Stimmung ein wenig negativ ist, obwohl die Euphorie herrschte, dass es etwas besser wird. Dass es gerade jetzt zur Veröffentlichung wieder alles etwas ernster wird, das haben wir natürlich nicht geplant. Es war uns dann zwar nicht egal, aber wir haben dann gesagt: Wir machen es jetzt einfach.
Wie ist die Resonanz ausgefallen?
Bis jetzt doch sehr gut. Für mich ist es doch überraschend, von wie vielen Seiten kommt, dass das gut hörbar ist. Das ist dann doch sehr erleichternd, wenn man merkt, dass es ankommt. Aber allen Recht machen kann man es ja ohnehin nicht. Wir haben so ein dunkles Album gebraucht, und es freut uns, dass das offensichtlich doch viele so annehmen können.
Kann es sein, dass die Lieder niemals live gespielt werden, weil sie dann, wenn alles vorbei ist, nicht mehr wirken?
Das wissen wir auch noch nicht. Wir haben die Lieder ja noch nicht einmal für uns live spielen können – also etwa im Studio, wo wir sonst den größten Teil gemeinsam einspielen. Wir hatten uns zwar, als es wieder möglich war, noch mal in der Eifel in einem kleinen Häuschen getroffen, um daran zu arbeiten, aber der größte Teil ist tatsächlich im Lockdown entstanden, als jeder für sich zuhause war.
Auch personell hat sich im Sommer etwas bei euch getan – Bassist Malte Huck ist vorerst ausgestiegen. Warum?
Malte hatte bei uns ja immer eine besondere Rolle, weil er später hinzu kam. Es hatte sich jetzt über die Corona-Zeit herauskristallisiert, dass er ein wenig zurücktreten will. Wir haben uns aber noch keine Gedanken gemacht, wie wir damit umgehen wollen. Akut stehen ja keine Auftritte an.
Keine leichte Zeit für die Kulturszene. Wie erlebt ihr die Stimmung in der Branche?
Nein, leicht ist das mit Sicherheit gerade nicht – für niemanden. Wir sind zwar noch in einer privilegierten Situation – das sieht bei der Crew oder bei kleineren Bands aber ganz anders aus. Es ist dann schon manchmal komisch, zu sehen, dass die Prioritäten der Politik ganz woanders zu liegen scheinen, wenn irgendwelche Wirtschaftsunternehmen gerettet werden, obwohl die Kulturszene ebenfalls eine riesige Wirtschaft ist. Vieles wird wohl erst in Jahren bei den Betroffenen so richtig zurückkommen. Das gilt natürlich nicht bloß für die Kulturszene.
Normalerweise geht man als Band mit einem neuen Album auf Tour. Arbeitet ihr stattdessen jetzt schon an eurem After-Corona-Album?
Ja, gute Frage (lacht). Wir haben in den letzten Monaten nur auf diesen Zeitpunkt jetzt hingearbeitet, und was jetzt danach kommt, wissen wir selbst noch nicht so genau. Wir haben auf jeden Fall noch ein paar Kleinigkeiten mit dem Album vor, eventuell wollen wir Lieder daraus online im Livestream spielen. Man weiß halt auch einfach noch nicht, wie es nächstes Jahr aussehen wird. Aber Musik werden wir auf jeden Fall machen.