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Prinzip HoffnungKlimarat kassiert Klimaschutzziele von OB Reker ein

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Premium PIC Kölner Panorama

Der Energiebedarf der Millionenstadt Köln ist gewaltig. Ihn klimaneutral zu decken, wird eine Herausforderung.

Köln – Der Termin war mit Bedacht gewählt. Am „Earth Day“, dem in mehr als 175 Ländern begangenen „Tag der Erde“, stellte der von Oberbürgermeisterin Henriette Reker vor einem Jahr gegründete Klimarat am Donnerstag seine ersten Ergebnisse der Presse vor. Und er hatte auch die richtige Begleitmusik: Am selben Tag lud der neue US-Präsident Joe Biden zum virtuellen Klimaschutzgipfel ein, tags zuvor hatte sich die EU auf ehrgeizigere Klimaziele geeinigt. Doch wer konkrete Aussagen und Pläne erwartet hatte, wie die Stadt Köln das von OB Reker im Wahlkampf versprochene und von Grünen, CDU und Volt im Bündnisvertrag vereinbarte Ziel „Klimaneutrales Köln bis 2035“ erreichen will, wurde enttäuscht.

Zeitplan vom Klimarat kassiert

Man habe „ehrgeizige Zwischenziele“ für 2030 und 2040 definiert, erklärte Umweltdezernent Harald Rau. Demnach soll die Emission von Treibhausgasen (THG) bis 2030 auf unter sechs Millionen Tonnen pro Jahr gesenkt werden, was eine Halbierung gegenüber 1990 wäre (zwölf Millionen Tonnen). Bis 2040 sollen der THG-Ausstoß auf höchstens zwei Tonnen je Einwohner pro Jahr sinken.

Smart City

Zur diesmal live im Netz übertragenen Smart-City-Cologne Konferenz kamen verschiedene Akteure, darunter Vertreterinnen und Vertreter von Klimarat, Stadt, Rheinenergie sowie Initiativen zusammen. Titel der Veranstaltung: „Die große Transformation“. Nach einer Grußbotschaft von OB Henriette Reker wurden in Talkrunden und Expertengesprächen der Stand der SCC erläutert, Projekte besprochen und Kölns „Klima-Stars“ vorgestellt – fünf Startups, die sich besonders hervorgetan hatten. Im Online-Voting wurde die „Einhundert Energie“ ausgezeichnet – mit 1000 Euro. (two)

Damit hat der Klimarat den von Reker und Grün-Schwarz-Lila vorgegebenen Zeitplan kassiert. Dem zwölfköpfigen Expertengremium gehören Vertreter von Stadt, Wirtschaft und Wissenschaft an, sie halten die von der Politik gewünschte gesamtstädtische Klimaneutralität bis 2035 offenkundig für nicht umsetzbar. Auf Nachfrage sagte Rau: „Der Klimarat ist durch unsere Oberbürgermeisterin einberufen worden, aber er hat sich seine Ziele selbst erarbeitet.“

Das Gremium sei „nicht im politischen Auftrag unterwegs“. Seine Mitglieder hätten „ein Jahr gebraucht, einen Weg zur Klimaneutralität aufzuzeigen, der auch irgendwie machbar ist“. Die Akteure, die die Pläne umsetzen sollen, bräuchten dafür „die nötige Zeit, die Kraft und das Geld“, so Rau. „Im Klimarat war auch immer die Realisierbarkeit ein wichtiges Thema.“ Das Begehren vieler Kölner einschließlich der OB, Klimaneutralität bis 2035 zu schaffen, sei dem Klimarat bekannt und wichtig. „Aber wir haben es gemeinschaftlich nicht als realisierbar bewertet.“

Ein Satz, der – wäre er im Wahlkampf gefallen – wie eine Bombe eingeschlagen hätte.

Monatelanges Ringen im Vorfeld

Tatsächlich hat man im Klimarat seit Monaten um Ziele und Formulierungen gerungen. Es geht um die Glaubwürdigkeit von Politik, um die Frage, ob im Wahlkampf zu viel versprochen wurde, und darum, wie man die großen Pläne umsetzen kann. Derweil hakt es in der städtischen Koordinierungsstelle Klimaschutz. Der neu berufene Leiter Prof. Tobias Gößling hat nach drei Monaten schon wieder gekündigt, zurzeit wird das Amt kommissarisch von Alice Bauer geleitet.

Wie gewaltig die Herausforderung ist, verdeutlichte Umweltdezernent Rau, als er mit Blick auf das 2019 vom Stadtrat beschlossene Klimaschutzprogramm „Köln Klima Aktiv 2022“ sagte: „Wir wissen, dass dieses auch schon ehrgeizige Konzept allerhöchstens ein Prozent der Treibhausgasreduktion realisiert oder plant, die wir in Wirklichkeit brauchen. Ein Prozent ist viel zu wenig.“ Um die Ziele zu erreichen, brauche man „alle Akteure in der Stadt“. Neben der öffentlichen Hand also auch Bürger und Unternehmen. Man sei sich bewusst, so Rau, die ehrgeizigen Ziele für 2040 seien „für die einen viel zu wenig und für die anderen fast nicht erreichbar“.

Nach der Sommerpause wollen die sechs Projektgruppen des Klimarats konkrete Maßnahmen vorstellen. Klar ist bereits, dass ein massiver Ausbau der Photovoltaik Top-Priorität genießt. Stadtwerke-Chef Dieter Steinkamp kündigte ein Beratungszentrum für Solaranlagen an, das die Rheinenergie Mitte 2021 gemeinsam mit der Handwerkskammer und der Stadt eröffnen will. Die Zahl der Ladestationen für E-Autos soll bis 2030 auf 3200 ausgebaut werden, bis 2040 auf 12 800. Das sei nicht genug, andere Städte seien da weiter, sagen Kritiker.

Sebastian Mayer, Experte für Künstliche Intelligenz und Mitglied von „Scientists for Future“, sagte, die Ziele des Klimarats seien das, was das Gremium Stand jetzt für möglich halte. Mit neuen Ideen und Technologien ließen sich in Zukunft aber schnellere Fortschritte erzielen. Er sei überzeugt, dass vieles machbar und leistbar werde, das heute noch als unrealistisch und viel zu ambitioniert erscheine.

Es klingt nach dem Prinzip Hoffnung. Die Zeit drängt, betont Mayer. „Mit dem Klima lässt sich nicht verhandeln.“