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Nach Bluttat im Kwartier Latäng„Sind dabei, uns immer mehr Ringpublikum herzuholen“

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Am Wochenende ist viel los im Kwartier Latäng.

Köln – Es ist das erste Wochenende nach der Bluttat auf der Zülpicher Straße. Vor einer Woche hat hier, mitten im Kwartier Latäng, ein 18 Jahre junger Mann sein Leben gelassen, er starb nach einem Streit an einem Messerstich (die Rundschau berichtete). Am Tatort erinnern weiterhin Kerzen, Blumen und Bilder an ihn. Ringsum geht die Party weiter. Theoretisch ist noch Corona, aber praktisch sieht das anders aus – Scharen sind auf engstem Raum unterwegs.

Zülpicher Straße ist beliebtes Kölner Ausgehviertel

Seit den 60er-Jahren ist die Zülpicher Straße besonders für Studenten eines der beliebtesten Ausgehviertel in Köln. Nach der Gewalttat steht die Frage im Raum, ob das Viertel eine ähnliche Entwicklung nimmt wie die Partyzone auf den Ringen.

Markus Vogt lässt seinen Blick über die bunt beleuchteten Geschäfte und Lokale schweifen. Er ist Vorsitzender des „Kwartier Latäng e. V.“ und Betreiber des „Kwartier“ auf der Zülpicher Straße. „Auch wenn wir hier Probleme haben, sind wir noch weit davon entfernt, das Kriminalitäts-Niveau der Ringe zu erreichen“, betont Vogt.

Doch die Entwicklung sei seit ein paar Jahren negativ. Das Studenten-Wohnviertel, einst mit vielen Fachgeschäften und traditionellen Gastronomien, werde zu einer einzigen Feiermeile. „An den hohen Mietpreisen hat die Meile gekrankt.“

Immer mehr „Ringpublikum“ auf der Zülpicher Straße

Vogt spricht von „Waschanlagen“, die man inzwischen auf der Zülpicher Straße bekommen habe, spielt damit auf Geldwäsche an. „Wir sind dabei, uns immer mehr Ringpublikum hierher zu holen.“ Er betont, es sei noch Zeit, etwas zu tun. „Aber wenn wir nicht aufpassen, nehmen wir eine ähnliche Entwicklung.“

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Markus Vogt, Wirt vom „Kwartier“ Vorsitzender des „Kwartier Latäng e. V.“.

Das Problem habe sich seit Corona und zehrenden Lockdown-Zeiten nicht beruhigt, sondern eher verstärkt. Laut Vogt liegt das gerade an den geschlossenen Läden. „Seit wir viele Angebote geschlossen halten, ist die Szene des ,Cornerns’ (draußen an einer Straßenecke herumhängen, Anm. der Redaktion) explodiert und gefühlt um das Fünffache angewachsen. Besonders die Anzahl der Minderjährigen ist gestiegen, die rauswollen und nicht wissen wohin.“

Wochenende auf der Zülpicher: Viel Trubel, wenig Abstand

Auch am Freitag und Samstag ist es wieder rappelvoll. Von Kriminalität ist nicht viel zu spüren, aber auch nicht von Corona. Auf dem Plätzchen an der Roonstraße, wo sich am Freitag bis 23 Uhr 214 Menschen am Impfbus haben impfen lassen, drängen sich junge Menschen. Die Scherben zerbrochener Bierflaschen knirschen unter den Schuhen der Jugendlichen, es läuft Musik aus portablen Lautsprechern. Maskenpflicht und Abstandsregeln existieren in diesem Mikrokosmos nicht.

Max ist 19 und kommt aus dem Trubel, um sich am Kiosk noch ein Bier zu holen. „Ich weiß eigentlich, dass es falsch ist, aber ich bin heute trotzdem mit Freunden hier.“ Den Anspruch auf Ausgelassenheit will er sich von der Pandemie nicht nehmen lassen. Weil das viele so sehen, verschwimmen die Grenzen zwischen pandemiegerechtem und illegalen Feiern auch dieses Wochenende. Die Bars, das Mäuerchen und die freien Plätze sind ab Mitternacht voll. Immerhin bleibt diesmal alles friedlich, werden Polizei und Ordnungsamt später bilanzieren.

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Melanie ist als eine der wenigen coronakonform mit Maske auf der Zülpicher Straße unterwegs. „Ich gehe jeden Freitag mit meinem Mann und unseren Freunden hier auf der Zülpicher was essen, auch alleine um die Restaurants zu unterstützen.“ Die Bluttat hat daran nichts geändert. „Der Fall hat mich schockiert, aber Angst habe ich nicht, hier über die Straße zu gehen.“

Blumen und Kerzen erinnern an die Messerattacke

Das Restaurant, vor dem die Messerstecherei passierte, liegt im Dunkeln. Flackernde Öllichter beleuchten dutzende Blumen, die Menschen hier abgelegt haben. Viele verweilen kurz, bevor sie weiterziehen. Der 17-jährige Nicholas steht hier. „Ich kannte das Opfer seit der 5. Klasse. Seit dem Vorfall stehe ich mit meinen Freunden jeden Tag hier, und das hilft mir, die Situation zu verarbeiten. Davor war ich oft zum Feiern auf der Zülpicher Straße. Seitdem das passiert ist, nicht mehr.“

Auch Selen ist an dem Gedenkort stehen geblieben. „Ich habe nichts von dem Vorfall mitbekommen, nur jetzt, wo ich dran vorbeigehe.“ Die 21-Jährige ist auf dem Weg zum „Stiefel“, wo sie mit Freunden etwas trinken geht. „Jetzt, wo ich das so sehe, habe ich schon ein mulmiges Gefühl. Da weiß man auch nicht ganz, wie man jetzt damit umgehen soll.“

„Ich habe das Gefühl, das die Polizei nur vorbeifährt“

Max geht durch die drängenden Menschen zu seiner Wohnung. „Mich nervt, dass ich viele Menschen sehe, aber oft nur einen Einsatzwagen der Polizei. Ich habe das Gefühl, das die Polizei nur vorbeifährt und sich die Lage anschaut, aber erst was macht, wenn es eskaliert. Meistens steht am Anfang und am Ende der Straße ein Einsatzwagen, aber in der Mitte geht die Party ab, und da kümmert sich gefühlt keiner drum.“

Gastwirt Markus Vogt meint: „Die Menschen, die hier regelmäßig vor Ort sind, sollten mehr zusammenarbeiten. Momentan agieren Polizei, Ordnungsamt und Wirte im Alleingang. Die Polizei patrouilliert, aber verlässt den Wagen nicht, das Ordnungsamt traut sich in die heißen Läden nicht rein, und die Wirte würden mit ihrem Insiderwissen gerne helfen, werden aber stattdessen nur kontrolliert.“ Er schlägt eine aktive Vernetzung von Wirten, Polizei und Ordnungsamt vor, um die Lage zu stabilisieren.

An den unsicheren Aussichten für die Wirte ändert das jedoch nichts. „Wir wissen noch nicht mal mehr, wie es nächste Woche sein wird“, betont Vogt. „Wer weiß, ob wir in ein paar Wochen wieder schließen müssen. Die einen machen es mit dem Hygienekonzept gut, die anderen halb, die nächsten gar nicht. Einfach, weil die meisten jetzt noch etwas Geld einnehmen möchten, bevor bald wahrscheinlich alles wieder dicht machen muss.“