Es war ein bemerkenswerter Satz, den Jens Spahn am 22. April im Bundestag sagte: „Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.“ Die erste Corona-Welle ebbte damals gerade ab, die Bundesregierung hatte die Krise geschickt gemanagt.
Doch jetzt, am Ende dieses Jahres, ist der Vorsprung verspielt. Die Kliniken stehen am Rand der Überlastung, die Zahl der Toten ist hoch dreistellig, jeden Tag. Das Virus regiert. Und die Frage des Verzeihens bekommt Bedeutung. Was ist passiert in diesen Monaten?
Während sich die zweite Welle auftürmte, herrschte lockere Ferien-Stimmung. Statt Konzepten für hybriden Schulunterricht gab es Tipps zum Lüften. Eine Teststrategie war nicht erkennbar. Ein nachvollziehbares, datengstütztes Stufensystem für Maßnahmen wurde nie ernsthaft geprüft.
Am dramatischsten waren die Versäumnisse bei der Vorbereitung der Alten- und Pflegeheime. Allenfalls in Talkshows beachtete man das Beispiel Tübingen, wo durch kommunal finanzierte Tests und Schutzsysteme die Zahl der Erkrankungen bei Senioren unter Kontrolle ist. Schnelltests für Besucher ließen auf sich warten. Und warum wurden FFP-2-Masken nicht schon vor Monaten kostenlos an Ältere abgegeben? Das alles hätte Menschenleben retten können.
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Ist das zu verzeihen? Wenn überhaupt – was jeder Betroffene für sich entscheiden muss –, dann nur, wenn es ein Eingeständnis der Fehler gibt und das Signal, daraus zu lernen. Das würde gerade jetzt, wo das große Hoffnungs-Projekt Impfaktion anläuft, Vertrauen aufbauen. Armin Laschet hat das offenbar kurz vor Weihnachten verstanden, räumte Fehler ein und bat um Verzeihung. Jens Spahn allerdings wich wortreich aus, als er gefragt wurde, was falsch gelaufen sei. Das ist nicht zu verzeihen.
Doch von den Regierenden, die fast alles in dieser Pandemie ohne Beteiligung der Parlamente verordnet haben, war dazu wenig zu hören. Jens Spahn wurde kurz vor Weihnachten gefragt, was falsch gelaufen sei. Er wich wortreich aus. Das ist nicht zu verzeihen.
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