- Wo hat Napoleon genächtigt? Wo stieg Max Schmeling in den Ring? In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Zeit in Köln vor, Orte ohne Gedenktafeln.
- Anselm Weyer widmet sich der Festnahme von Bischof Paul Melchers.
Irgendwann hatte der Staat die Faxen dicke und schickte Polizisten, um den Kölner Erzbischof zu verhaften und ins Gefängnis zu stecken. Nach seiner Freilassung floh er vor einer erneuten Verhaftung ins Exil. Nach seinem Tod aber wurde er nicht nur prunkvoll im Kölner Dom beigesetzt. Auch ein Kirchneubau erinnert an ihn.
„Der Mann selbst“, schrieb die Kölner Presse, nachdem Paul Melchers am 8. Januar 1866 zum Erzbischof von Köln ernannt worden war, „wird ohne Zweifel Jedermann willkommen sein. Vom Heiligen Vater selbst, im Einvernehmen mit unserer Landesregierung, ernannt, ist er schon dadurch als eine Persönlichkeit gekennzeichnet, welche der obersten geistlichen Behörde nicht minder wie der weltlichen genehm ist.“
Dann aber fürchtete Otto von Bismarck, die katholische Minderheit könnte als Parallelgesellschaft mit eigenen Gesetzen das noch junge Deutsche Reich spalten. Der Reichskanzler beschloss, die kirchliche Macht zu beschränken: Ehen durften zivil geschlossen werden. Die konfessionellen Schulen wurden staatlicher Aufsicht unterstellt. Der „Kanzelparagraph“ verbot politische Einmischungen von Seiten der Geistlichkeit. Überhaupt verlangte man Mitspracherecht bei der Besetzung von Priesterposten. Und Dank des „Brotkorbgesetzes“ erhielten nur Geistliche, die schriftlich all diese Gesetze anerkannten, staatliche Leistungen.
Katholische Kirche wehrte sich
Die katholische Kirche war brüskiert und leistete Widerstand. Auch in Köln, wo Erzbischof Melchers nicht im Traum daran dachte, die protestantischen Preußen etwa in die Besetzung geistlicher Ämter oder Lehrpläne kirchlicher Schulen reinpfuschen zu lassen. Wegen Gesetzesübertretung verhängte der Staat zunächst Geldstrafen gegen den Erzbischof. Weil diese nicht einzutreiben waren, versteigerte man im Februar 1874 seine Möbel.
Und als all dies keine Besserung bewirkte, erhielt der Erzbischof schließlich die Aufforderung, sich „zur Verbüßung der rechtskräftigen Strafe im hiesigen Arresthause einzufinden“. Melchers weigerte sich.
Morgens gegen 7 Uhr fuhr am Dienstag, 31. März 1874, in der Karwoche, der zivil gekleidete Kölner Polizeipräsident Leopold Devens mit einem Vollstreckungsbefehl in der Tasche am Erzbischöflichen Palais in der Gereonstraße 12 vor. Ein letztes Mal wollte er es mit gütlicher Überredung probieren. Als dies misslang, rief Devens Polizeikommissar Klose zur Verstärkung.
Empfang vor dem „Arresthause“
Die Nachricht, dass die Polizei einen Schlosser herbeigerufen habe, um die Tür des Erzbischöflichen Palais aufzubrechen, verbreitete sich in der Stadt. Tags darauf berichtet der Kölner Local-Anzeiger, Kommissar Klose sei genötigt gewesen, „den Erzbischof am Arme zu nehmen und ihn durch die Scharen der inzwischen herbeigeeilten, die Vorräume des Palais füllenden Geistlichen zu dem am Portal haltenden Wagen des Herrn Polizeipräsidenten zu führen.
Auch beim Besteigen des Wagens wie später beim Verlassen desselben leistete der Herr Erzbischof passiven, wenn auch geringen Widerstand.“ Durch mit Schaulustigen gesäumte Straßen ging es zum Klingelpütz. „Vor dem Arresthause“, berichtet die Kölnische Zeitung, „wurde der Herr Erzbischof von dem stellvertretenden Direktor empfangen und in die ihm vorläufig angewiesenen drei Zimmer des Mittelgebäudes geführt, welche, in der zweiten Etage über dem Direktorial-Büro gelegen, bisher die Verhörzimmer des Instruktionsrichters waren, und jetzt aus einem geräumigen Wohnzimmer, einem kleineren Kabinett und einem hellen Schlafzimmer bestehen.
Auch nach der Haft uneinsichtig
Die für den Herrn Erzbischof definitiv bestimmten Zimmer hatten noch nicht fertiggestellt werden können, doch sollten dieselben zum Bezuge baldigst bereit sein. Obwohl Melchers mit speziellem Essen versorgt werden, im eigenen herbeigeholten Bett schlafen und seine Tage mit Gebet und Einkehr verbringen durfte, erzählte sich das katholische Köln, der Erzbischof werde wie ein gemeiner Gefangener behandelt und müsse als Strohflechter arbeiten.
Als er am 9. Oktober nach sechs Monaten Haft entlassen wurde, zeigte sich Melchers immer noch nicht einsichtig. Er verweigerte die staatliche Inspektion des Kölner Priesterseminars, das deshalb geschlossen werden musste. Daraufhin kursierten Gerüchte von einer bevorstehenden neuerlichen Verhaftung des Erzbischofs. Also las Melchers am 13. Dezember 1875, morgens gegen 3 Uhr, in seiner Privatkapelle eine letzte Messe, um gegen 5 Uhr in ziviler Kleidung und einen langen Mantel gehüllt mit Privatwagen zunächst bis Longerich zu fahren und von da per Zug über Neuss, Kleve und Venlo nach Roermond zu flüchten.
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In Deutschland steckbrieflich gesuchte Person war er, als der Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten am 28. Juni 1876 seine Absetzung verkündete – allein die Verlesung der Anklage hatte zwei Stunden gedauert. Diese Absetzung durch weltliche Gerichte akzeptierte Melchers natürlich nicht. Stattdessen verwaltete er seine Diözese etwa zehn Jahre lang versteckt im Franziskanerkloster in Maastricht. Er kleidete sich hier wie ein gewöhnlicher Priester, lebte einfach, zurückgezogen.
Seine Bedienung besorgten die Franziskanerbrüder. Wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigte, trug er, um unerkannt zu bleiben, Zivilkleidung. Er ließ sich sogar den Bart wachsen, den er freilich, um nicht auffallend zu erscheinen, bei der Feier des heiligen Messopfers wieder rasieren ließ. Deshalb war der Kölner Erzbischof auch bei der Einweihung des Kölner Doms 1880 nicht zugegen. Stattdessen soll Melchers vor den Toren Maastrichts umhergeirrt sein.
Irgendwann jedoch legten Papst und Deutsches Reich den Kulturkampf bei. Bauernopfer Melchers akzeptierte seine Absetzung als Bischof und ging dafür 1885 als Kurienkardinal nach Rom, wo er am 14. Dezember 1895 starb. Der preußische Staat hatte ihm bis zu seinem Tod eine Apanage gezahlt. Seine sterblichen Überreste wurden am Freitag, 27. Dezember 1895, seinem Wunsche gemäß und gebilligt vom Kaiser im Kölner Dom feierlich beigesetzt, nachdem die Leiche zuvor in Zug von St. Gereon aus übertragen worden war.
Die 1908 eingeweihte neogotische Pfarrkirche am Sachsenring heißt auch zur Erinnerung an Erzbischof Paul Melchers St. Paul.
Anselm Weyer hat als Literaturwissenschaftler in Köln promoviert und Stadtführungen angeboten.